Mein Bauch gehört dem Staat

Vicki Baums Feuilletons liegen nun erstmals in Auswahl in einem Band vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Das Leben ist zu kurz um schlechte Bücher zu lesen.“ Dieses Bonmot wird Marcel Reich-Ranicki zugeschrieben. Veronika Hofeneder hat es dahingehend variiert, dass das Leben „zu kurz für lange Literatur“ sei. Das ist zweifellos nicht ernstgemeint, aber eine nette Einstimmung auf einen Band voller kleiner Feuilletons. Es handelt sich um (eigentlich) über 160 kurze Texte, die von der erfolgreichen Romanautorin und „Lifestyle-Journalistin“ Vicki Baum im Laufe fast eines halben Jahrhunderts in mehreren Dutzend Zeitschriften veröffentlicht wurden.

Hofeneder hat sie erstmals zwischen zwei Buchdeckeln versammelt, wie sie in der Einleitung wohl nicht ohne Stolz vermerkt. Allerdings räumt sie in einer Fußnote ein, dass tatsächlich keineswegs alle Feuilletons Baums Eingang gefunden haben. Aufgrund der „finanziellen Rahmenbedingungen“ musste sie die „englischsprachigen Kurzgeschichten, Rezensionen sowie Gedichte und Essay aus Baums früher Schaffensperiode“ außen vor lassen. Übrig geblieben sind schließlich nur 70 Texte, also nicht einmal die Hälfte.

Diese hat die Herausgeberin strikt chronologisch angeordnet. So lassen sich Verschiebungen der Interessensschwerpunkte von Baum leicht erkennen. Ins Auge sticht zunächst die frühe Beschäftigung der ausgebildeten Harfenistin mit musikalischen Themen in der einschlägigen Publikation Ton und Wort. In diesen Feuilletons der Vorkriegszeit (gemeint ist der Erste Weltkrieg) lässt sich einiges Musikhistorisches erfahren. Etwa, dass Taktstöcke vor gut 300 Jahren noch mannshoch waren und mit ihnen der Takt auf den Boden geschlagen wurde, wobei sich der Dirigent respektive Kapellmeister durchaus tödlich verletzen konnte.

Später wendet sich Baum zwar verstärkt anderen Themen als musikalischen zu. Über das von ihr geliebte Ballett schreibt sie allerdings noch in den späten 20er Jahren. Überhaupt hielt sie ihm über die Jahrzehnte hinweg die Treue. So hat sie 1958 im amerikanischen Exil ihren Ballettroman Theme for Ballet (Die goldenen Schuhe) veröffentlicht.

Gegen Ende der 1920er Jahre steigt die Zahl ihrer feuilletonistischen Texte exorbitant an. Sie erscheinen nun nicht mehr in Ton und Wort, sondern vornehmlich in der Zeitschrift Die Dame, aber auch im Uhu oder der Berliner Illustrierten Zeitung. Baums Feuilletons der ausgehenden Weimarer Republik sind zwar nicht modern im Sinne des 21. Jahrhunderts, doch sind sie ganz auf der Höhe der wilden 20er Jahre, deren Ton sie genau trifft, wobei stets Baums eigene Stimme kenntlich bleibt. So bedauert sie 1929 die „armen Mütter von 1890“, deren Welt „so eng wie ein Kaninchenstall“ gewesen sei, und blickt optimistisch auf die Zukunft der zeitgenössischen „sechzehnjährigen Amazonen“. Ein, wie die folgenden anderthalb Dezennien zeigen sollten, keineswegs begründeter Optimismus.

Bis in die frühen 1930er Jahre hinein bleibt Baum in den deutschsprachigen Zeitschriften gut vertreten. 1931 berichtet sie unter dem Titel „Ein bißchen New York: Vom guten Aussehen“ anlässlich ihrer ersten USA-Reise von ihren dortigen Eindrücken. Sie findet alles Amerikanische ganz fabelhaft. Insbesondere die allesamt „wundervoll“ aussehenden Menschen dort. Sie seien „unvorstellbar schlank“, besäßen „die klarste Haut, die glänzendsten Haare, die zierlichsten Gelenke, Füße, Hände, die man sich denken kann“. Baum vermutet, all dies sei ein „Resultat der Rassenmischung“. Allerdings essen sie auch „unbegreiflich wenig, diese Amerikanerinnen“. Offenbar war in den USA die Magersucht also auch damals schon eine Zeitkrankheit. Zumal wenn man sich ein von Baum aufgelistetes typisches Tagesmenü einer Diät ansieht.

Schon im gleichen Jahr erscheint ihr erstes Feuilleton in einer US-amerikanischen Zeitschrift.  Doch auch für das deutsche Publikum berichtet sie weiterhin. So 1932 etwa, dass ihr ein „Ziegfeldgirl“ erklärte, „wir sind nicht einen Cent mehr wert, als wir aussehen, jede von uns; ich meine nicht nur uns Girls, ich meine jede Frau“. Widerspruch hat die Revuetänzerin von Baum offenbar nicht erfahren. Nur gegen deren Ansicht, dass Frauen aller Berufsstände das freie Wochenende ihrer aufwändigen ‚Verschönerung‘ opfern sollten, erhebt die Feuilletonistin leise Bedenken.

Auch zeigt sich Baum in den folgenden, nun nicht mehr so zahlreichen feuilletonistischen Texten von den USA zunehmend weniger begeistert, jedenfalls soweit sie in Deutschland erscheinen. Hollywood etwa charakterisiert sie 1932 im Uhu als „Schlachtfeld, das im Paradies liegt“. Ebenfalls 1932 erscheint ihr mit Abstand längstes Feuilleton „I Discover America“ in der noch immer erscheinenden Frauenzeitschrift Good Housekeeping. Wie alle englischsprachigen Texte wurde er für den vorliegenden Band von Thomas Pesl ins Deutsche übertragen. Sicher allzu schmeichelhaft lobt Baum in dem Beitrag die stets „unterhaltsamen und anregenden“ Gespräche in ihrem Gastland, wo selbst Installateure beim „Entkalken von Wasserhähnen“ gebildet über Eugene O’Neills Stück Trauer muss Elektra tragen oder gar Schopenhauers Philosophie parlieren.

Es ist dies eines ihrer letzten Feuilletons. Erscheinen um 1930 jährlich wohl einige Dutzend, so in der Folgezeit nur noch alle Jubeljahre einmal eines. Genau gesagt, listet die vorliegende Sammlung nach 1932 nur noch deren zwei auf: 1936 in der Pariser Zeitung einen Beitrag über Zwangsarbeit in Hollywood und im Reader’s Digest fünf Jahre darauf The Lesson of the Old Sock.

Baum selbst nennt sich einmal „eine wortungewandte Frau“. Dies ließe sich leicht als Widerspruch heischende Koketterie kritisieren, wäre der fragliche Artikel nicht unter dem von ihr gerne verwandten Pseudonym Mix erschienen. Jedenfalls formuliert sie ihre Feuilletons stets präzise, aber unprätentiös. Dabei entwirft sie Alltagssituationen und -charaktere in wenigen Strichen. Unangestrengt wirft sie kurze aussagekräftige Portraits bestimmter Menschentypen aufs Papier.

Nicht selten greift Baum aktuelle Themen auf. So protestiert sie gegen die Damenmode des Jahres 1929, beleuchtet „das kosmetische Zeitalter“, gibt in einem anderen Text auch den Herren Kosmetiktipps und tritt als Erziehungsratgeberin auf. Ihre Tipps gipfeln in dem sicher nicht sonderlich originellen, zweifellos aber zeitlos richtigen Satz: „Seid gut zu den Kindern.“

Selbstverständlich erkundet Baum auch das Terrain intimer Beziehungen, erzählt etwa Kleine Geschichten von der Eifersucht, wirft einen Blick auf das Thema „Ehebruch“, geißelt die „sinnlose Überschätzung der Jungfräulichkeit mit ihrem Rattenschwanz von Bleichsucht, Verlogenheit, Angst, Schwindel, Frigidität und sonstigem Frauenjammer“ und beleuchtet die ihr zufolge „im Grunde nur drei Tänze auf der Welt“ sowie die „vier Arten von Liebe“. Auch plaudert sie gerne kurzweilig über „die langweilige Erotik“.

Natürlich hält das meiste davon vor den Erkenntnissen heutiger Gender Studies nicht stand. Und dass sie 1927 die „Frauenfrage“ zu derjenigen nach dem schönen Hut herunterbricht, war schon damals ein Missgriff. Mag er auch durch Baums Feststellung relativiert werden, dass „die letzten zwanzig Jahre die Frau an die richtige Stelle gesetzt haben“, nämlich weg vom Herd hinein ins Leben.

Geradezu den Atem verschlägt es, wenn sie die titelstiftende Frage eines Feuilletons „Wie will eine Frau gewonnen werden…?“ mit der Auskunft beantwortet „Erstens einmal, und ob das nun beschämend ist oder nicht: durch rauhe [sic] Gewalt.“ Nun behauptet der Volksmund zwar, „schlimmer geht’s immer“, aber hier geht es einmal wirklich nicht mehr schlimmer. Oder doch? Nun vielleicht. Denn Baum fährt fort:

Zweitens: ganz bestimmt nicht durch jene Mittel und Eigenschaften, von denen Frauen sich immer selber vorlügen, daß sie dadurch zu gewinnen seien. Nicht durch Rücksicht, nicht durch Güte, nicht durch irgendeine Art von Zartheit. Die Frau ist erst vor ganz kurzem aus dem Urwald gekommen und gehört nicht dem Werbenden, sondern dem Eroberer.

Auch ihre Ausführungen über den Paragraphen 218 und abtreibende Frauen sind nicht eben besser. Die Hälfte letzterer gehe „recht leichtsinnig den Weg des geringsten Widerstandes“, meint sie. Denn sie entzögen sich der „Verantwortung für ein Kind“. Zumal „der Ausweg der Abtreibung“ trotz des Verbotes „heute leicht, allzu leicht gefunden“ werde. So stelle die „Mädchengeneration“ die „Möglichkeit der Abtreibung ganz selbstverständlich in ihren Lebensplan, und verliert dadurch jedes Verantwortungsgefühl bei sexuellen Bindungen“. Allerdings will Baum nicht alle ungewollt schwangeren Frauen zur Zwangsmutterschaft verdonnert sehen, wie es jene heutigen fundamentalchristlichen AbtreibungsgegnerInnen fordern, die mit geradezu teuflischen Transparenten und Parolen vor Kliniken demonstrieren. Denn der Feuilletonistin zufolge werden zwar „viele Kinder nicht geboren, deren Mütter es sich leisten können, ein Kind, oder ein Kind mehr zu bekommen“, aber es werden andererseits auch „viele Kinder geboren, die nicht geboren werden sollten, weil ihre Mütter zu arm, zu elend, zu schwach, zu belastet sind“. Daher verlangt sie „eine vernünftige Geburtenregelung unter staatlicher Protektion und Aussicht [sic]“, damit „die Richtigen Kinder kriegen und die Richtigen davor bewahrt werden“. Mithin will sie staatlich geregelt wissen, welche Frauen abtreiben dürfen bzw. sollen und welche nicht. Mit der feministischen Parole „Mein Bauch gehört mir“, hätte sie sicher nicht viel anfangen können.

Andere ihrer Feuilletons wiederum erinnern an die Anstrengungen des heutigen Fitnesskultes und des Schönheitswahns. „Die Sache des Altwerdens wollen wir nicht mehr so einfach hinnehmen“, schreibt sie 1927 im Uhu. Die – von Baum sämtlich verworfenen – Mittel der Stunde waren schon damals windige medizinische Kuren. Sie gingen bis hin zur „Überpflanzung von Affendrüsen auf Menschen“. Hinzu kamen „kosmetische Operationen“ eines Professors Holländer, die sich damals noch auf Gesichtsstraffungen beschränkten. Man habe den Eindruck, kommentiert Baum, „daß die meisten Menschen, die sich kosmetisch operieren lassen, an seelischen Defekten, Minderwertigkeitsgefühlen, fixen Ideen leiden; und für solche Menschen ist freilich durch den kleinen Eingriff in die Epidermis alles zu retten“. Den gesellschaftlichen Druck, jung und schön sein zu müssen, um erfolgreich zu sein, zieht sie nicht in Betracht. Aber vielleicht war er damals auch noch nicht so groß wie heutzutage.

Baums Feuilletons sind zweifellos noch immer recht unterhaltsam zu lesen. Allerdings muten manche ihre Ansichten gelegentlich doch sehr misogyn an. Und dies ist nicht nur dem damaligen Zeitgeist anzulasten. Die Texte zusammengetragen und veröffentlicht zu haben aber ist ein Verdienst, den nicht nur die Forschung, sondern auch das Publikum Hofeneder zu danken wissen wird.

Titelbild

Vicki Baum: Makkaroni in der Dämmerung. Feuilletons.
Herausgegeben von Veronika Hofeneder.
Edition Atelier, Wien 2018.
320 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783903005396

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