Zwischen Kummerkörper und Kleinstadthirnwichsen

Porträt der Generation WhatsApp: Über Birgit Birnbachers (Nicht-)Romandebüt „Wir ohne Wal“

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wir ohne Wal – ein irritierender Titel, den die Österreicherin Birgit Birnbacher da für ihren Debütroman gewählt hat. Nicht nur, weil man beim Lesen sofort an das homonyme „Wir ohne Wahl“ denken muss und sich das Heimatland der 31-Jährigen gefühlt ja ständig vor einer Wahl befindet, jedenfalls zu der seines Bundespräsidenten.

Sondern auch, weil der Titel gar nicht stimmt: Birnbachers Figuren haben einen Wal, sogar einen, der fliegt – hoch über der Stadt, deren Name zwar nicht genannt wird, bei der es sich aber offenbar um Salzburg, den Wohnort der Autorin, handelt. Dieser im Wolkenmeer über der Salzach weiß und lautlos dahinziehende Wal ist eigentlich eine 20 Meter lange, heißluftgefüllte Plane und Teil einer Kunstinstallation. Wer will, kann an dem Seil, an dem er hängt, zum Beispiel ziehen und ihn damit sachte in Bewegung bringen.

Was allerdings nur eine von Birnbachers Figuren, Antonia, tatsächlich einmal macht. Dass sie wenig später wild entschlossen und mit Anlauf über ein Brückengeländer springt, ist bezeichnend: Dieser Kunst-Wal mag für jeden in dieser Stadt unübersehbar das ganz Andere verkörpern, eine Utopie von Freiheit und Leichtigkeit. Doch im Hier und Jetzt gibt es für die zehn Protagonisten dieses Buches meist eben doch keine Wahl, sondern nur ihren ausweglos scheinenden Alltag.

Zehn Teenager und Twentysomethings lässt Birgit Birnbacher, eine in der Kinder- und Jugendarbeit tätige Soziologin, in ihrem Erstlingswerk zu Wort kommen, in zehn monologisch-präsentischen Kapiteln mit je eigenem, mal mehr, mal weniger überzeugenden Sound. Zwischen den jungen Männern und Frauen gibt es einige Querverbindungen, viele offensichtliche, aber auch sehr versteckte, die von bloßen Zufallsbegegnungen bis zu richtigen Beziehungen reichen. Die aber keineswegs ausreichen, aus diesen Texten ein „Roman“-Ganzes zu machen, auch wenn das auf dem Umschlag steht. Sie bleiben, was sie eben sind: eine Sammlung von zehn auch eigenständig funktionierenden Ich-Erzählungen.

Was sie aber als Ganzes ergeben, ist ein vielschichtiges, lesenswertes Porträt, nämlich das der Generation WhatsApp. Irgendwo zwischen (Nackt-)Party, Drogen, Provinzlangeweile, Antiaggressionstraining, Therapie und Beziehung suchen Birnbachers Figuren nach ihrem Lebensweg, plagen sich mit einem „Kummerkörper“, dem allgemeinen „Kleinstadthirnwichsen“, der Trauer um ihren Hund oder einer magnetischen „Leere“ in sich. Wie Anna, die zwar ihr prekäres Künstlerinnendasein dem Spießerdasein ihrer Schwester Johanna, einer Tierärztin, vorzieht – aber eines Tages erfahren muss, dass ihr Vater doch lieber ihre Schwester um eine Spenderniere bittet. Oder Marko, der sich von einem Freund überreden ließ, zugekokst im Hasenkostüm eine Tankstelle zu überfallen, und nun vor der Aufgabe steht, der Richterin glaubwürdig seine Reue zu präsentieren. Oder Markos Ex Sanela, die zu Hause ihre Drogenparanoia zu überwinden versucht und sich dabei beobachtet, wie sie sich an ihren neuen Freund Manuel „gewöhnt“.

Birnbachers Ich-Erzählungen setzen meist gekonnt auf Verdichtung, Andeutungen und Leerstellen; sie springen gleich mitten ins Geschehen oder in die dahinjagenden Gedankenströme ihrer Figuren und richten sich mal empört, mal voller Trauer an ein noch unbekanntes Gegenüber. Es dauert, bis man sich die jeweilige Situation des Sprechers erschlossen hat, was ebenso reizvoll ist wie das Herstellen der (auch chronologischen) Bezüge der Texte untereinander. Kurz: Ein geglücktes Debüt, auch wenn der Umstand, dass die junge Autorin nun schon vier Preise abgeräumt hat, zuletzt den Theodor-Körner-Förderpreis und den Literaturpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung, doch etwas zu viel des Guten erscheint.

Titelbild

Birgit Birnbacher: Wir ohne Wal. Roman.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2016.
166 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783990270899

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