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Juliane Blank stellt eine neue Methode zur Analyse von Literaturcomics vor

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Umsetzungen literarischer Texte im Comic sind an sich nichts Neues. Die amerikanische Reihe Classics Illustrated, in der neben meist englischen oder französischen Werken auch Faust und Wilhelm Tell zum Zuge kamen, wurde bereits 1941 gegründet, der japanische Manga-Großmeister Osamu Tezuka (1928-1989) zeichnete seit 1950 gleich mehrere Faust-Versionen, und es gab immer wieder einmal Anthologien wie Alice im Comicland (1993), in denen kanonische Werke mehr oder weniger originell auf eine Handvoll Panels eingedampft wurden.

Seit der Jahrtausendwende hat sich die Situation deutlich geändert: Unter dem Etikett der „Graphic Novel“ und mit erzählerisch anspruchsvollen Werken wie Art Spiegelmans Maus (1986/91), Marjane Satrapis Persepolis (2003) und Alison Bechdels Fun Home (2006) hat das Medium Comic eine Ecke in den großen Buchhandlungen erobert. Zugleich gibt es immer mehr Comic-Adaptionen literarischer Texte, und zwar nicht mehr nur in vorgegebenen Formaten wie der einzelnen Seite oder dem 48-seitigen Comicalbum, sondern in nahezu beliebiger Form. Manche Künstler drücken ihren Arbeiten eine unverwechselbare Handschrift auf, wie Stéphane Heuet, der seit 1998 Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit adaptiert, oder Nicolas Mahler, der Werke wie Thomas Bernhards Alte Meister (2011) und Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften (2013) minimalistisch und mit lakonischem Humor nacherzählt. Andere erscheinen generisch und uninspiriert. Das Medium Comic wird dadurch geadelt, so scheint es, während der literarische Stoff – ähnlich wie bei der Verfilmung – ein Publikum erreicht, das von sich aus nicht zur Vorlage greifen würde.

Für eine sich intermedial erweiternde Literaturwissenschaft sind Comicversionen literarischer Texte natürlich ein reizvolles Objekt, ähnlich wie es die Literaturverfilmung bereits in den 1980er-Jahren wurde. Allerdings, so stellt Juliane Blank in ihrer Saarbrücker Dissertation fest, wurde die Forschung zu diesem Thema bisher nicht systematisch betrieben. Stattdessen existierten zahlreiche Einzeluntersuchungen, welche das Verhältnis zwischen Vorlage und Adaption zwar oft recht differenziert bestimmten, aber im Grunde jedes Mal einen neuen Ansatz entwickelten. Das machte die Analysen nicht nur uneinheitlich, sondern auch schwer vergleichbar.

Juliane Blanks Arbeit Literaturadaptionen im Comic sucht diesem Zustand nun abzuhelfen, indem sie ein universales Analysemodell entwickelt. Dafür greift sie auf die nordamerikanischen Adaption Studies und besonders auf die kanadische Komparatistin Linda Hutcheon zurück, die ihre Theorien vor allem anhand der Literaturverfilmung entwickelt haben. Indem die Umsetzung in ein anderes Medium als eigenständige Transformation begriffen und nach der genauen Art der Transformation gefragt wird, vermeiden es die Adaption Studies, die Umsetzungen nach dem Kriterium der Werktreue zu beurteilen. Zu unterscheiden sind die Adaptionen zudem von Appropriationen, die nur Elemente der Handlung oder einzelne Figuren verwenden (wie etwa in Alan Moores und Kevin O’Neills League of Extraordinary Gentlemen) oder als Prequels oder Sequels zum eigentlichen Werk fungieren.

Nachdem Blank ihren Ansatz in diesem Kontext situiert hat, schlägt sie ein Analysemodell vor, das jeweils acht Aspekte der Comicadaption berücksichtigt: Das Verhältnis zum Prätext, die Oberflächengestaltung des Comics, Transformationen der Handlung, Figurendarstellung, Szenerie, erzählerische Perspektivierung, Paratexte und – davon unterschieden – den nicht am Text selbst sichtbaren Kontext (z.B. Verlag, Künstler, Zielgruppe), in dem das Werk erscheint. Nach dieser detaillierten Darstellung folgt im zweiten Teil das Herzstück des Buches – die Demonstration des Modells anhand von fünf Adaptionen. Die meisten der von Blank gewählten Beispiele sind einschlägig und auf dem deutschen Markt recht erfolgreich. Das gilt vor allem für Flix` populäres Faust: Der Tragödie erster Teil (2010), aber auch für Isabel Kreitz` Die Entdeckung der Currywurst (1996) nach Uwe Timm, Chantal Montelliers und David Z. Mairowitz` Version von Kafkas Prozess (2008) und Manuele Fiors Transformation von Arthur Schnitzlers Fräulein Else (2009). Eine Ausnahme bildet Alexandra Kardinars und Volker Schlechts Ausführung von E.T.A. Hoffmanns Fräulein von Scuderi (2011), die sehr viel experimenteller gestaltet ist und weder in den Feuilletons noch beim Publikum vergleichbare Beachtung gefunden hat.

Im Großen und Ganzen funktioniert Blanks modulares Analysemodell hervorragend. Die gewählten acht Kategorien erweisen sich als erkenntnisfördernd, und trotz der sehr unterschiedlichen Adaptionsstrategien der einzelnen Comics stellt Blank damit eine gewisse Vergleichbarkeit her. Zwar werden manche Aspekte im Einzelfall eher oberflächlich abgehandelt. Speziell zum Zeichenstil und zu den narratologischen Aspekten würde man bei fast allen Analysen gern mehr lesen. Da es aber weniger um erschöpfende Einzeldeutungen als um die Überprüfung des Grundmodells am konkreten Beispiel geht, lässt sich dieser Verlust verschmerzen. Eher schon ließe sich fragen, ob ein einheitliches Analyseverfahren – das Blank im Anhang in tabellarischer Form noch einmal prägnant zusammenfasst – wirklich allen potenziell zu untersuchenden Comics gerecht wird oder ob in Einzelfällen zentrale, im Modell nicht erfasste Momente unter den Tisch fallen. Dies wäre aber an einer größeren Zahl von Literaturadaptionen zu überprüfen, was selbstverständlich in diesem Rahmen gar nicht zu leisten ist.

Obwohl Blank nicht allzu viele Querverbindungen zwischen den verschiedenen Literaturcomics aufzeigt, wird deutlich, dass die allgemeine Durchsetzung der Graphic Novel und die immer größere Zahl von Literaturadaptionen dazu führt, dass die Comics im Lauf der Zeit komplexer und experimenteller geworden sind. Eine experimentelle und eklektische Umsetzung wie Kardinars und Schlechts Fräulein von Scuderi funktioniert nur für ein Publikum, das nicht nur mit Comicversionen literarischer Texte, sondern auch mit deren zunehmend verschachtelten Erzählstrategien und heterogenen Zeichentechniken vertraut ist.

Im dritten und letzten Teil der Arbeit fasst Blank ihre Ergebnisse zusammen und versucht zu einer Klassifikation der Literaturadaption im Comic zu kommen. Dabei kritisiert sie Monika Schmitz-Emans` Typologie, die bisher wohl einzige im deutschsprachigen Raum, die von „Vermittlung“, „Verwandlung“ der Vorlage und dem „Vergleich“ mit ihr spricht, als zu grobschlächtig – so würden sowohl die diskutierte Goethe- wie auch die Kafka-Bearbeitung in diesem Schema als „Verwandlung“ firmieren, obwohl beide sonst kaum miteinander vergleichbar sind. Ebenso wenig sei nach der Funktion und Intention der Umsetzung zu fragen, weil sonst – ähnlich wie im Fall des „Werktreue“-Konzeptes – die Analyse wieder unzulässig auf den Aspekt der Wertung reduziert werde. Stattdessen schlägt Blank in Anlehnung an Wolfgang Gasts Überlegungen zur Literaturverfilmung eine offene Klassifikation von zehn Adaptionsstrategien vor: Straffung und Begradigung, Vereinfachung und Bereinigung, Intensivierung und Vereindeutigung, strukturelle Aneignung, Historisierung und Modernisierung, Erzeugen von Empathie, Komisierung, Erweiterung des Bezugshorizonts, Erhalten bzw. Erzeugen von Komplexität sowie Dekonstruktion von ästhetischer Illusion.

Von den kleinteiligeren Adaptionstechniken sollen sich diese Strategien unterscheiden, insofern sie zum einen abstrakter sind, sozusagen hinter der konkreten technischen Umsetzung stehen, zum anderen sollen sie nicht nur auf das Medium Comic, sondern auch auf andere Arten der Adaption anwendbar sein. Ein solcher Versuch zur Systematisierung ist begrüßenswert. Sympathisch daran ist vor allem, dass es sich um eine offene Klassifizierung handelt, denn wenn man die rapide Entwicklung der Literaturadaption im Comic berücksichtigt, ist es gut möglich, dass in den nächsten Jahren weitere Strategien zum Zuge kommen – von den Auswirkungen der allgemeinen Digitalisierung und dem damit verbundenen Medienwandel ganz zu schweigen, wenn man Blanks Postulat einer Geltung ihres Modells über den Comic hinaus ernst nimmt.

Faktisch lässt sich allerdings die Grenze zwischen Technik und Strategie nicht so einfach ziehen. So ist die Straffung und Begradigung der Handlung, wie Blank selbst einräumt, eher auf der Ebene der Technik als der Strategie anzusiedeln und spielt in ihren Analysen im zweiten Teil bereits eine wichtige Rolle, was sie aber nicht daran hindert, sie dennoch auf der Technik- und auf der Strategieebene abzuhandeln. Und wenn Blank schon das Instrumentarium zur Analyse von Literaturverfilmungen für Comicadaptionen literarischer Texte fruchtbar machen kann (und das gelingt ihr in der Tat!), hätte man gern Grundsätzlicheres zur Vergleichbarkeit und zum Unterschied zwischen beiden Arten der Umsetzung gelesen, und sei es nur auf fünf oder zehn Seiten – eine detaillierte Beispielanalyse zum Beispiel von Monteillers und Mairowitz` Kafka-Adaption und Orson Welles` Verfilmung von Der Prozess (1962), auf den der Comic vielfach anspielt, hätte vielleicht den Rahmen gesprengt, bleibt aber ein reizvolles Desiderat. Trotz dieser einzelnen Kritikpunkte ist Juliane Blanks Arbeit ein wertvoller Beitrag zur Comicforschung, dessen Thesen hoffentlich eine Diskussion über eine mögliche Systematisierung der Analyse von Literaturadaptionen im Comic in Gang setzen.

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Juliane Blank: Literaturadaptionen im Comic. Ein modulares Analysemodell.
Ch. A. Bachmann Verlag, Berlin 2015.
404 Seiten, 36,00 EUR.
ISBN-13: 9783941030602

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