Ein Blick in den Himmel

Eindrucksvoller Katalog- und Bildband zu den Sternbildern des Mittelalters und der Renaissance

Von Simone HackeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simone Hacke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit jeher haben die Menschen versucht drohende Gefahren oder Plagen, ihr zukünftiges Glück oder Unglück – kurz gesagt, ihr Schicksal an den Sternen abzulesen. Eindrückliche Belege dafür sind die auf Malta gefundene neolithische Sternkarte von Tal-Qadi sowie die kreisförmige Bronzeplatte, die unter dem Namen Himmelsscheibe von Nebra bekannt wurde. Diese beiden archäologischen Funde aus der Jungsteinzeit sowie der Bronzezeit veranschaulichen, wie früh die Menschen begannen, den Sternenhimmel über ihren Köpfen zu deuten und in einen Zusammenhang zu ihrem eigenen Leben zu setzen. Im Mittelalter und der Renaissance erreichte die Beschäftigung mit den Himmelsgestirnen sowohl im wissenschaftlichen als auch im Laienbereich einen Höhepunkt.

Der zweite Katalog- und Bildband von Dieter Blume, Mechthild Haffner und Wolfgang Metzger schließt ein Jahre währendes Forschungsprojekt ab, in dem erstmals sämtliche illustrierten Handschriften mit astrologischen oder astronomischen Inhalten von 800 bis1500 systematisch aufgezeichnet wurden. Ein besonderes Augenmerk legen die Autoren im gesamten Werk auf die Bilder der Handschriften. In dem bereits 2012 erschienen ersten Band der Reihe wurden die Handschriften von 800 bis 1200 aufgezeichnet, womit für den vorliegenden Band das 14. bis 16. Jahrhundert verbleiben. Im direkten Vergleich zum ersten Band wurden einige Modifikationen durchgeführt. So folgt die Katalogisierung der Handschriften einer anderen Ordnung als zuvor. Anstatt die Handschriften nach dem Aufbewahrungsort zu sortieren, sind diese nach Texten und in sich chronologisch gegliedert. Der zweite Band ist zudem in drei Teilbände unterteilt. Einen Text- und Katalogband sowie den umfangreichsten Teil mit den Abbildungen der Sternbilder. Der Einleitungstext, der sich ausgewählten Beispielen widmet und der Katalog, der das Gebrauchsprofil der Handschriften auslotet, stehen laut den Autoren „in einem wechselseitigen Dialog miteinander und können vom Leser flexibel genutzt werden.“ Es ist demnach gewünscht und zum besseren Verständnis auch durchaus ratsam, die drei Bände parallel zu nutzen, um die herausragende Stellung der Sternbilder in den Handschriften zu begreifen.

Gut nachvollziehbar legen die Autoren in ihren Texten das steigende Interesse für die Astrologie im 13. und 14. Jahrhundert dar. Dieses war vor allem durch die Entstehung eines neuen Publikums für die Sterndeutungen bedingt – die gebildeten Laien. Dadurch kam es zu einer Verlagerung der Ausgangspunkte der Handschriften weg von den Kloster- und Kathedralschulen, hin zu den höfischen Zentren der Könige und Kaiser. Die Zukunft mit Hilfe der Astrologie vorhersagen zu können, etablierte sich zum wichtigen Herrschaftswissen. Als bedeutendster Hof wird in diesem Kontext der Hof des Staufer-Kaisers Friedrich II. genannt. Genau dort verfasste der Universalgelehrte Michael Scotus sein Werk zur Himmelskunde, welches sich zum einflussreichsten astronomischen und astrologischen Text des Mittelalters und der Renaissance entwickeln sollte. In seinem Liber de signis et imaginibus celi lieferte Michael Scotus eine eigene Zusammenstellung des astronomischen und astrologischen Wissens. Es gelang ihm, dem Leser Text und Bild in einer leicht verständlichen Sprache mit Bezug zur alltäglichen Erfahrungswelt zu präsentieren. Die Bilder des Michael Scotus prägten – vor allem auch dank der Rezeption durch den Buchdrucker Erhard Radoldt 1482 – lange über den Text hinaus die Vorstellungen vom Sternenhimmel.

Der Fokus des vorliegenden Werkes ist bewusst auf den europäischen Kulturkreis gelegt, jedoch findet erfreulicherweise auch die arabische Sternkunde durch die abendländische Rezeption des Fixsternbuches des persischen Astronomen Abd al-Rahman al-Sufi Eingang in den Katalog. Al-Sufis Sternbilder zeichnen sich besonders durch ihre fremdartige Exotik und die phantastische Gestalt der Menschen und Tierwelt aus. Zwei Phänomene lassen sich laut dem Autorentrio bei der Rezeption der Al-Sufi’schen Bilderreihe beobachten. Zum einen wurde häufig versucht, sämtliche fremdartigen Elemente aus den Bildern zu tilgen und sie so europäischen Gegebenheiten anzupassen. Dies erfolgte unter anderem durch die Ersetzung von Turbanen durch Kappen, Veränderungen von Gewändern oder der Mimik und Gestik der Figuren. Zum anderen gab es aber auch eine bewusste Beibehaltung der exotischen und für das europäische Auge faszinierenden Merkmale, um die geheimnisvolle Macht der dargestellten Sterne zu betonen. Wie bei Michael Scotus fällt auch bei al-Sufi bei der Rezeption die konstante Tradierung der Bilder und nicht des Textes auf.

Es wird deutlich, dass die Bilder der Sternkonstellationen in allen Kontexten, ob höfisch, städtisch oder universitär, und in allen Jahrhunderten unverzichtbar bleiben. In den hier katalogisierten Handschriften vom 14. bis 16. Jahrhundert offenbart sich die fortwährende Suche nach den richtigen Bildern der Sterne, die jedoch nie vollkommen zum Abschluss kam. Denn wie die Autoren richtig herausstellen: „Die Unendlichkeit des Universums verträgt sich nicht mit der Zusammenfassung auf die 48 ptolemäischen Sternbilder.“

Zusätzlich zu den Handschriften sind im Katalog zwei weitere Darstellungsformen des Sternenhimmels enthalten: Der Himmelsglobus von Kues sowie das Sternfresko in der Kuppel über dem Altarraum der alten Sakristei San Lorenzo in Florenz. An diesen Beispielen der Sternenhimmeldarstellung außerhalb von Handschriften zeigen sich die zunehmenden Bemühungen um eine genaue Kartographie des Sternenhimmels im 15. Jahrhundert. Das Abbild der Sterne und Planeten in der Kuppel von San Lorenzo ist sogar so exakt, dass sich der genaue Zeitpunkt der Betrachtung über Florenz berechnen lässt. Am 4.7.1442 um 10:30 Uhr (MEZ) standen alle damals bekannten sieben Planeten in der abgebildeten Konstellation am Himmel. Aus astrologischer Sicht lässt sich durch das Fresko außerdem eine besonders positive intellektuelle und kulturelle Blüte- und Herrschaftszeit für Florenz vorhersagen, die wohl auf den Staatsmann und Mäzen Cosimo de’ Medici bezogen war.

Formal lässt sich sagen, dass einige Verweise im Text nicht eindeutig zu identifizieren sind. Hier wäre eine kleine Einführung hilfreich gewesen. Auf den ersten Blick wirken die vielen Zahlenverweise sehr verwirrend. Die Zahlen am Rand beziehen sich dabei auf den Abbildungsband und sind noch einmal in Farbtafeln sowie Schwarz-Weiß-Abbildungen unterteilt. Die meisten Nummern im Text verweisen auf die jeweilige Handschrift im Katalog, jedoch bleiben nach wie vor einige Verweise im Text unklar. Die Möglichkeit die Bände durch die zahlreichen Verknüpfungen parallel nutzen zu können, ist eine besonders positive Eigenschaft des vorliegenden Werkes. Somit bieten die Einleitungstexte erste Zugänge zum Katalog und den Abbildungen an, können aber natürlich keineswegs die gesamte Masse der Handschriften abbilden. Negativ fallen im Textband nur einige Rechtschreibfehler auf, die im Lektorat sicherlich hätten vermieden werden können. Der Katalogteil, der sich jeder Handschrift nach demselben Schema nähert, bietet darüber hinaus noch einmal Seitenverweise auf den Text sowie die Abbildungen. Lediglich vom Bildband ist kein Rückschluss auf den Katalog und den Text möglich.

Alles in allem bietet der zweite Katalog- und Bildband des Autorentrios eine beeindruckende Zusammenstellung der Sternbilder des 14. bis 16. Jahrhunderts. Er offenbart die anhaltende Faszination der Menschen für das Firmament über ihren Köpfen und ist nicht nur interessant zu lesen, sondern auch wunderschön anzuschauen.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Dieter Blume / Mechthild Haffner / Wolfgang Metzger (Hg.): Sternbilder des Mittelalters und der Renaissance. Der gemalte Himmel zwischen Wissenschaft und Phantasie.
Band 2, I-III.
De Gruyter, Berlin 2016.
1662 Seiten, 298,00 EUR.
ISBN-13: 9783110376012

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch