Eine Art Am-Leben-Bleiben

Charles Bukowski sinniert in „Über das Schreiben. Briefe an meine Weggefährten und Gönner“ über die Literaturwelt und seinen Platz darin

Von Rafael Arto-HaumacherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rafael Arto-Haumacher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Schreiben ist eine Art Am-Leben-Bleiben […], diese Schreibmaschine ist eigentlich die gute Seele des Hauses, sie kocht und putzt, sie bringt Stabilität in mein Leben“. So formuliert Charles Bukowski (1920-1994), der Dirty Old Man der amerikanischen Literatur, die existenzielle Bedeutung des Schreibens in einem Brief an seinen Autorenkollegen Harold Norse im Jahr 1967. Er stammt aus einer Sammlung unveröffentlichter Briefe, die Bukowski im Lauf seines Schriftstellerlebens an Kollegen, Verleger und Herausgeber gerichtet hat. Abel Debritto hat mehr als 2000 Briefseiten gesichtet, um Briefe und Briefstellen, in denen Bukowski im weitesten Sinne das Schreiben und den Literaturbetrieb thematisiert, im vorliegenden Buch zugänglich zu machen.

Die Briefe umfassen den Zeitraum von 1945 bis 1993. Sie zeigen den jungen Bukowski, der in billigen, schäbigen Absteigen wohnt, von einem Riegel Schokolade am Tag und massenweise Bier lebt, und der besessen ist vom Schreiben, „um nicht verrückt zu werden.“ Sie präsentieren einen scharfsinnigen Proleten, den der American Dream nicht erreicht hat, der sich außerhalb der Gesellschaft und des Literaturbetriebs am untersten Existenzminimum durchschlägt, der in der Einsamkeit Lyrik am Fließband produziert und seine Manuskripte an verschiedene amerikanische Underground-Literaturzeitschriften schickt, nicht ohne darauf hinzuweisen, im Falle einer Absage möge man alles zurückschicken, er fertige grundsätzlich keine Durchschläge an. Man mag sich gar nicht ausmalen, was auf diesem Weg vom frühen Œuvre Bukowskis verlorengegangen ist.

Bukowski in späteren Jahren mag nach bürgerlichen Vorstellungen als arriviert gelten: Nach jahrelanger Hilfstätigkeit bei der Post als Briefsortierer kann er, nachdem sein Verleger John Martin ihm seit 1970 eine monatliche Zahlung zukommen lässt, vom Schreiben endlich leben. Zudem wird sein Leben steter, nicht zuletzt durch die dauerhafte, jedoch keinesfalls konfliktfreie Beziehung zu Linda Lee Beighle, die bis zu seinem Tod 1994 seine Lebenspartnerin bleibt. Die zwanghafte Besessenheit zu schreiben besteht allerdings fort: Der desillusionierte Außenseiter schreibt weiterhin gegen das öde Leben in der Gosse an, das sich in ungezieferbefallenen Absteigen zwischen Prostituierten, Dauersuff und Pferdewetten abspielt. Immerhin hat sich Bukowski mittlerweile der Kurzgeschichte und dem Roman zugewandt, was auch auf eine gewisse Stabilität in seinen Lebensverhältnissen zurückzuführen ist. Noch 1965 schreibt er an Henry Miller: „An Prosa arbeite ich nur selten, denn wenn das abgelehnt wird, bin ich tot. All die vergeudete Energie. Bei einem Roman hätte ich Angst, dass er mir zwar alles abverlangt, aber später in der Schublade verrottet.“

Da die Briefe viel über den Schreibprozess und die Entstehungsbedingungen von Bukowskis Werk aussagen, kann man sie auch als Poetik lesen: als eine Poetik des Scheiterns, der Aussichtslosigkeit und des Überlebenskampfes. Sein Schaffen spiegelt seinen Gemütszustand: „Kurzgeschichten kann ich nur schreiben, wenn es mir gut geht, und das war zuletzt nicht gerade der Fall, daher die vielen Gedichte, Gedichte, Gedichte … Ohne die würde ich wahrscheinlich Selbstmord begehen oder säße bis obenhin mit Medikamenten zugeballert in der nächsten Nervenheilanstalt.“ Ohnehin gilt ihm Lyrik als Königsdisziplin, die kaum jemand besser als er, der „keinen Vertrag mit dem Leben hat“, meistert: Zeitgenössische Autoren brächten, da allzu behütet aufgewachsen, allenfalls nichtssagende „gediegene Spitzendeckchen-Lyrik“ zustande. Überhaupt sind ihm der ganze Literaturbetrieb und die Qualität gegenwärtiger Literatur ein Graus: Henry Miller, William Faulkner, Tennessee Williams, Conrad Aiken, Ernest Hemingway – alles Autoren mit großen Momenten, aber mit noch mehr schwachen. Bei aller Kritik hat Bukowski sie natürlich insgeheim bewundert, wobei er, trotz ironischer Untertöne, keinen Zweifel daran lässt, dass er sich als verkannter Literat der Extraklasse, als „Dostojewski der Siebziger“, sieht.

Die Sprache in den Briefen ist Bukowski-typisch: hart, direkt, auf den Punkt, tabulos. Es spielt keine Rolle, ob er jemandem zum ersten Mal schreibt, oder den Korrespondenten schon länger kennt. Ohnehin nutzt er das inszenatorische Potential der Gattung Brief ausgiebig. Er inszeniert sich als saufendes, ausgegrenztes, schreibbesessenes und literaturkompetentes Genie, ohne dass er einen anderen Charakter schaffen müsste: Sein Alter Ego ist er selbst, Bukowski inszeniert Bukowski.

Nicht selten nehmen Briefe literarische Form an, etwa der Brief an Guy Owen aus dem März 1960:  Hier sinniert Bukowski über das Schreiben und das Malen und über die Kurzlebigkeit mancher Künstler, um eine Anekdote aus seinem Arbeitsleben zum Besten zu geben und mit einer abschließenden rhetorischen Frage den American Way of Life zu konterkarieren. Ohnehin verschwimmen für Bukowski die Grenzen zwischen Literatur und Brief: Beides entsteht aus einem Prozess der Unmittelbarkeit, beides transportiert die Botschaft des Autors in die Welt ‚da draußen‘: „Ich finde ja, der Brief als eigene Form ist ebenso wichtig wie das Gedicht, und darin lassen sich Dinge sagen, die das Gedicht nicht ausdrücken kann und umgekehrt.“

Abel Debritto hat eine aufschlussreiche Zusammenstellung bislang unveröffentlichter Briefe zugänglich gemacht, die nicht nur kurzweilig zu lesen ist, sondern viele Aspekte des Schaffens und der Person Bukowskis erhellt: biografische, poetologische, werkgeschichtliche, literaturhistorische. Einige wenige Briefe sind im Faksimile wiedergegeben, ebenso einige karikaturenhafte Zeichnungen, mit denen Bukowski seine Nachrichten zu verzieren pflegte. Beides vermittelt über den Sprachduktus hinaus einiges von der Eigenwilligkeit und Einzigartigkeit des Autors, der Pate für die Gattungsbezeichnung Dirty Realism stand. Zu erwähnen ist die Übersetzung von Marcus Ingendaay, die, solide gearbeitet, die sprachlichen Eigenheiten Bukowskis gut einfängt und nur an einigen seltenen Stellen irritiert, etwa wenn aktuelle Jugendsprache benutzt wird, um den Bukowskiʹschen Straßenjargon wiederzugeben („für umme“ für: umsonst, kostenlos).

Die Briefe zeigen vor allem eins: Bukowski ist ein Unikat, ungehobelt, packend, authentisch, polarisierend, mit einem untrüglichen Gespür für ebenso banale wie treffende Lebensweisheiten. Die vorliegende Briefausgabe ist umso begrüßenswerter, als der Briefnachlass Bukowskis auf dem deutschsprachigen Markt bislang nur in wenigen und immer noch nicht vollständigen Ausgaben erschienen ist.

Titelbild

Charles Bukowski: Über das Schreiben. Briefe an meine Weggefährten und Gönner.
Herausgegeben von Abel Debritto.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017.
287 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783462049183

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