Bei den Verschwörungstheoretikern

Agatha Christies „Passagier nach Frankfurt“ verzettelt sich zwischen Wagnerianern, Anarchisten und der britischen Upper Class

Von Miriam StriederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Miriam Strieder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Agatha Christie zieht auch mehr als 40 Jahre nach ihrem Tod die Superlative förmlich magisch an. Die Queen of Crime wird überall auf der Welt für ihre Figuren wie Miss Marple, Mr Harley Quin oder den unvergesslichen Hercule Poirot geliebt und erst Ende 2017 war Mord im Orientexpress wieder einmal im Kino zu sehen. Aber die Faszination ihrer Krimis liegt nicht nur in den Figuren, sondern besonders in der ganz eigentümlichen Stimmung, die Christie mühelos transportiert: Mit einem Augenzwinkern auf die alten Strukturen des Empires lässt sie ein England und Großbritannien entstehen, das gefangen ist zwischen Aufbruch und Nostalgie – und natürlich bewegen wir uns immer in der Upper Class, wo sich Lord, Sir und Admiral die Klinke in die Hand geben und dabei charmant entlarvend in ihrer Skurrilität sind; ob dies allerdings immer so beabsichtigt ist, sei dahingestellt.

Christie hinterließ ein umfangreiches Werk, am berühmtesten sind natürlich ihre Krimis, aber auch Kurzgeschichten und Theaterstücke hat sie während ihrer über 50-jährigen Schaffenszeit geschrieben. Vieles davon ist inzwischen in Sammeleditionen oder Anthologien gebündelt erschienen, darunter auch ihr Roman Passagier nach Frankfurt, den Hoffmann und Campe nun als Hardcover veröffentlicht haben. Eine Mischung aus Kriminalroman, Liebesgeschichte und Spionagethriller erwartet den Leser. Die Handlung schwankt zwischen amüsant und haarsträubend und lebt besonders durch ihre liebenswert schrullige Hauptfigur Sir Stafford Nye, einem Mitarbeiter des Außenministeriums, der zwischen Witzfigur und Diplomat erfrischend changiert. Wo Sir Stafford dem Leser aus dem Blick gerät, wird der Roman langweilig und besonders ideologische Erklärungen verleiten dazu, Absätze mit gutem Gewissen zu überspringen.

Die Handlung beginnt, als Sir Stafford auf dem Frankfurter Flughafen einer Unbekannten die Einreise nach Großbritannien mit seinem Pass ermöglicht. Von dort aus wird er in einen Strudel aus seltsamen Vorkommnissen gezogen, bei denen zwei halbherzige Mordanschläge nur den Auftakt zu einer irrwitzigen Verschwörungstheorie bilden, die in einem internationalen Aufstand der Jugend münden soll. Unterfüttert ist diese Weltverschwörung durch eine neonazistische Ideologie eines jungen Siegfried, der als angeblicher Sohn Hitlers die Massen begeistern kann. Sir Stafford wird zusammen mit seiner rätselhaften Unbekannten von einem britischen Gremium zur Informationsbeschaffung entsandt, weiß aber bald nicht mehr, wem noch zu trauen ist; selbst seine Großtante Matilda hat mehr Informationen, als sie zugeben will. Am Ende wird die Welt vermutlich nicht in die angestrebte Anarchie stürzen, aber der etwas biedermeierische Epilog lässt uns zumindest an Sir Staffords privatem Glück teilhaben – das Schicksal der Weltgemeinschaft jenseits der sicheren Küsten Englands wird schon nicht allzu schlimm ausfallen.

Passagier nach Frankfurt ist über weite Strecken ein amüsanter Spionageroman, der zum einen eine Welt präsentiert, die so nicht existiert hat, die aber trotzdem von einem nostalgischen Hauch umweht wird: Haushälterinnen, Tropenanzüge und ein gemächliches Tempo des Jetsets gehören der Vergangenheit an und machen viel vom Charme des Romans aus. Zum anderen lebt er, wie viele von Agatha Christies Texten, von seinen schillernden Figuren mit ihren skurrilen Zügen und unverwechselbaren Eigenarten – dazu zählen auch und besonders Christies Frauenfiguren, ohne die viele ihrer Texte platt und leblos daherkommen würden.

Allerdings wird in Passagier nach Frankfurt eben auch eine merkwürdige Dystopie gezeichnet, in der sich die Völker der Welt nicht nur vereinigen, sondern dies unter dem Zeichen der Anarchie tun, um aus den schwelenden Trümmern einer modernen Götterdämmerung eine neue neonazistische Welt zu errichten. Unterstützt werden sie dabei von Wissenschaftlern, der Rüstungsindustrie und dem Bankenwesen; Drogen werden benutzt, um ‚Schwache‘ gefügig zu machen und schließlich zu töten. In den Zeiten des Kalten Krieges – Passenger to Frankfurt wurde 1970 erstveröffentlicht – wendet Christie den Blick eben nicht nach Osten, sondern ins Innere der Gesellschaft und offenbart uns so ihre Befürchtungen. Dass gerade dieses Szenario nicht ohne ideologisches Fundament auskommt, wird schnell deutlich und nimmt dem Roman einiges an erzählerischem Schwung. Während die anarchischen Züge offensichtlich den 1960er Jahren entlehnt sind, ist die Vermischung mit Nazi-Ideologien nicht nur weit hergeholt, sondern regelrecht abstrus: Junge Anarchisten singen mit Hingabe Wagner-Motive aus dem Ring.

Echte Christie-Fans wird das nicht abschrecken und besonders das erste Drittel des Romans ist überzeugend, während gerade das letzte Drittel von Passagier nach Frankfurt, in dem auch der Protagonist fast völlig aus dem Fokus verschwindet, eher angestrengt eine Weltsicht versucht und es zu einer wenig befriedigenden Wunderheilung sowie einem dadurch seltsam esoterischen Ende kommt. Trotzdem ist Christies Roman durchaus unterhaltsam: Er ist weder einer ihrer besten noch einer ihrer schlechtesten Texte.

Titelbild

Agatha Christie: Passagier nach Frankfurt. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Julia Haefs.
Atlantik Verlag, Bremen 2017.
386 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783455002621

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