Da bin ich dann mal weg

Klaus Herbers und Christian Lehner geben den zweiten Band der Reihe „Unterwegs im Namen der Religion“ fünfsprachig heraus

Von Jörg FüllgrabeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Füllgrabe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Spätestens seit Hape Kerkeling seinen Weg nach Santiago de Compostela in Buchform einem breiteren Publikum zur Kenntnis brachte, ist das Pilgern als ein Weg zur Selbstfindung zeitweise sehr en vogue gewesen. Publikationen wie die vorliegende erinnern immer wieder daran, dass das Phänomen deutlich älter ist – und überdies von heute zumindest aus dem Zentrum gerückten religiösen Grundbedingtheiten motiviert war.

Dementsprechend trifft die auf der Buchrückseite gemachte Aussage vollends zu. Dort heißt es: „Pilgern ist eine der ältesten und zugleich modernsten Formen der Mobilität. Millionen von Menschen aus unterschiedlichen Kulturräumen machen sich jährlich auf den Weg.“ Wie diese Wege und Ziele im Mittelalter aussahen lässt sich dem zweiten Band zum Thema „Unterwegs im Namen der Religion“ entnehmen. Hier sind es vorrangig Wege und Ziele des Pilgerns, die von den einzelnen Autorinnen und Autoren thematisiert werden. Der im Untertitel angekündigte Vergleich zwischen den das Pilgerwesen betreffenden Verhältnissen in Asien und Europa fällt allerdings von der schieren Beitragszahl her eindeutig zugunsten der westlichen Hemisphäre aus: Elf Texten, die sich mit Europa beziehungsweise den westlichen Randgebieten befassen, stehen lediglich drei Texte über Asien gegenüber. Ungewöhnlich auch der Umstand, dass fremdsprachige Beiträge in der Mehrheit sind; nur drei Aufsätze (unter Miteinbeziehung des Vorworts von Klaus Herbers sind es dann vier Texte) sind auf Deutsch gehalten; vier auf Englisch, ebenfalls vier auf Spanisch, zwei auf Französisch sowie einer auf Italienisch. Zwar wird so ein wirklich internationales Flair geboten, ob damit jedoch einer weiteren Verbreitung im deutschen Sprachraum gedient ist, wage ich zu bezweifeln – dies umso mehr, als die angehängten Abstracts allesamt auf Englisch gehalten sind. Grundsätzlich jedoch ist es eine durchaus konstruktive Herausforderung, sich diesem Sprachparcours zu stellen, vielleicht ist damit sogar ein positiver Nachhaltigkeitseffekt gegeben.

Drei Schwerpunkte – ‚Konzeptionen des Pilgerns‘ – ‚Itinerare, Orte und Personen‘, ‚Rom, Compostela und Tours zwischen Politik, Prestige und literarischer Ausgestaltung‘ sowie ‚Asien und seine Pilgertraditionen‘ – untergliedern die im vorliegenden Band versammelten Beiträge. Felicitas Schmieder behandelt Pilgerwesen, Schreine und Verehrung in Darstellungen auf Weltkarten des lateinischen mittelalterlichen Europas („Here many saracen pilgrims wander to Mecca‘). In diesem Zusammenhang definiert sie diese Mappae mundi als geographische Darstellungen des Heils respektive der Erlösung aus christlicher Sicht, die durchaus die Einbindung neuer Räume in eben dieses Heilsgeschehen – zumindest im Sinne einer Visualisierung – ermöglichte und damit neben eines missionarischen Erweiterungsfeldes zumindest potentiell die Möglichkeit des :Dialogs in sich trug. Marco Piccat geht den Legenden um Karl den Großen als ‚Kaiser und Pilger‘ auf den Grund (‚Roma, Jerusalén et Compostela‘). Hier werden das Wirken des fränkischen Herrschers sowie seine Rezeption bis hin in den Bereich des Kirchenbaus und der Kirchenausgestaltung als ‚Fahrplan‘ für Pilger späterer Generationen vorgestellt. Michelina Di Cesare führt Pilger und rezentes Lesepublikum nach Jerusalem (‚The Dome of the Rock in Jerusalem as a Medieval Christian Pilgrimage Site‘) und verweist auf die Strahlkraft des inzwischen durch Muslime determinierten Felsendom auf die mittelalterliche Christenheit. David Jacoby schließlich folgt in einem Überblick vom 11. bis zum 15. Jahrhundert der Entwicklung westlicher Pilgerwege ins Heilige Land (‚Evolving Routes of Western Pilgrimage to the Holy Land‘). Hier werden Entwicklungen, Brüche, aber auch Kontinuitäten erkennbar gemacht, die zum Teil den kriegerischen Auseinandersetzungen während der Kreuzzüge zum Opfer fielen, zum Teil diese aber überdauerten beziehungsweise als Alternativen neu festgelegt worden waren.

Im zweiten, sowohl was die Zahl der Texte als auch den Umfang angeht, dominierenden Hauptteil wird der europäische Pilgerkontext in den Blick genommen, wie den Beiträgen von Jochen Johrendt (‚Rom als Pilgerziel. Motive der Pilgerfahrt und innerrömische Konkurrenz‘), Adeline Rucquoi (‚Littérature compostellane IXe-XIIe siècles. Textes et contextes‘), Andreas Holmdonner (‚Das Jakobsgrab in der Auseinandersetzung zwischen Compostela und Toledo im 12. Jahrhundert‘), Renato Stopani (‚„Via Franciregia“ e „via Teutonica“, i due principali itinerari romipeti nell’Italia del medioevo‘), Santiago Lopez Martinez-Morás (‚Itineraro jacobea, aventura y modelos heroicos en L’Entrée d’Espagne‘), Santiago Gutiérrez Garcia (‚Caminos de la aventura y la espiritualidad‘) sowie Bruno Judic (‚La notion de chemin de saint Martin‘) zu entnehmen ist. In den entsprechenden Aufsätzen werden Brüche und Kontinuitäten ebenso thematisiert wie nicht zuletzt die immer wieder zu beobachtenden päpstlichen Interventionen zugunsten, oder eben auch zuungunsten, entsprechender Wallfahrtsorte. Andreas Holmdonner etwa weist auf eine mittlerweile weitgehend vergessene toledanische Jakobus-Tradition hin, die inzwischen durch die Omnipräsenz Compostelas verdrängt wurde; aber auch die römischen und italischen Verhältnisse erschließen sich durch die entsprechenden Beiträge in einem neuen Licht.

Der Abschnitt über Asien und seine Pilgertraditionen ist wiederum mit drei Aufsätzen recht überschaubar; die Überschrift freilich wirkt nicht ganz glücklich gewählt. Zwei der Beiträge (Matthias Heiduk, ‚Versicherung und Selbstbehauptung‘ sowie Isaac Domoso, ‚El viaje Andalusí al extremo Oriente‘) greifen die europäische Außensicht auf die Verhältnisse im Reich der Mongolen beziehungsweise im Fernen Osten auf, während lediglich Andreas Berndt (‚Pilgrimage in the Chinese Province‘) mit seinem Text über das Ritual des Wasserholens im spätkaiserzeitlichen Shanxi stringent Aspekte des asiatischen Pilgertums sowie der praktizierten Religiosität in den Blick nimmt.

Vorliegendes Buch weist also einige Facetten auf, die der Beschäftigung wert sind. Dass dies mehr als notwendig erschwert wird, liegt in der ‚Sprachpolitik‘ der Herausgeber begründet, die bereits in dem in Deutsch und Englisch gehaltenen Titel erkennbar wird. Eine wesentliche Herausforderung der Publikation liegt in ihrer – vielleicht gar an das Pfingstwunder gemahnenden – Sprachvielfalt. Dass damit durchaus positive Aspekte verbunden sind, wurde ja bereits angedeutet; allerdings scheinen mir die Probleme nicht von der Hand zu weisen zu sein. Mag dem Rezensenten auch Provinzialität oder womöglich ‚Volkstümelei‘ vorgeworfen werden, ist es dennoch einfach schade, dass mit ziemlicher Sicherheit den meisten der potentiellen Leserinnen und Leser nicht unwesentliche Details in Text und Argumentation entgehen werden.

Bedauerlich ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Herausgeber, Klaus Herbers, in seiner Einleitung keine stringente Begründung für die Multilingualität liefert. Die Tatsache eines internationalen Kongresses allein reicht dafür nicht unbedingt aus. Und eine ketzerische Frage sei an dieser Stelle gestattet: Wäre ein japanischer Beitrag wohl auch im Original abgedruckt worden? Gleichwohl halte ich – wie bereits angedeutet – die gewählte Sprachstrategie für grundsätzlich gar nicht so schlecht; aber vielleicht wäre – nicht zuletzt angesichts der Tatsache der Publikation des Bandes in einem deutschen Verlag – eine moderatere Linie möglich gewesen. Ein Kompromiss hätte dann etwa darin liegen können, wenigstens die Zusammenfassungen in Deutsch zu halten, der Internationalität ist ja durch die einzelnen Beiträge Genüge getan.

So bietet der Band außer für Polyglotte das Problem, dass die Lektüre sehr zeitintensiv ist, mit der Folge einer nur bedingt gegebenen Eingängigkeit. Andererseits mag dadurch vielleicht eine länger anhaltende Beschäftigung geradezu provoziert werden, die, sofern sie nicht am Frustrationserlebnis scheitert, nachhaltig ist. Gleichwohl befürchte ich trotz des überschaubaren Preises eine eher geringe Verbreitungsdichte, die dem Potential des Bandes nicht gerecht wird.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

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Klaus Herbers / Hans Christian Lehner (Hg.): Unterwegs im Namen der Religion. Bd. 2/On the Road in the Name of Religion II. Wege und Ziele in vergleichender Perspektive – das mittelalterliche Europa und Asien/ Ways and Destination in Comparative Perspective – Medieval Europa and Asia.
Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2016.
306 Seiten, 54,00 EUR.
ISBN-13: 9783515114646

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