Urfeminist, Wutbürger, Befreiungstheologe – wer war Karl Marx?

Über drei Neuerscheinungen zum Gedenkjahr mit Hang zur Dogmatisierung

Von Maurizio BachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Maurizio Bach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gedenktage für bedeutende verstorbene Gelehrte sind immer auch Sternstunde für deren Epigonen und die hagiografische Industrie. Es  liegt in der Natur der Sache, die betreffende Persönlichkeit zu feiern, nicht zuletzt dadurch, dass ihre Bedeutung für die Gegenwart besonders herausgestellt wird.  Auch Karl Marx’ 200. Geburtstag folgt dieser Logik: Obenauf in der Flut an Publikationen zu dem Trierer Gesellschaftstheoretiker schwimmen solche, die für das Marx’sche Denken eine ungebrochene Geltung und Aktualität reklamieren. Die Geschichte habe Marx grundsätzlich recht gegeben, lautet die Botschaft vieler einschlägiger Neuerscheinungen, man habe ihn bisher nur falsch verstanden. Wie verfänglich eine solche Würdigung gerade im Hinblick auf Karl Marx sein kann, zeigen drei nach dem Zufallsprinzip ausgewählte, gleichwohl einschlägige Neuerscheinungen.

Marx’ Denken sei „kein Schnee von gestern“, lautet etwa die Einschätzung von Christoph Henning, einem der ausgewiesensten deutschsprachigen Marx-Experten der jüngeren Generation, in Marx und die Folgen; vielmehr rückten uns die Gegenwartsprobleme, von Hartz IV über die Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse bis hin zum Klimawandel und der Biotechnologie „Marx gerade nicht in die Ferne, sondern […] in die Nähe“. „Eine so explosive Mischung aus Antikapitalismus und Zerstörung linker Illusionen, wie die von Marx ausgeheckte, hat man seither nicht mehr erlebt“, behauptet in ähnlicher Weise der Schriftsteller und Journalist Dietmar Dath in seinem Büchlein Karl Marx. 100 Seiten. Er gelangt zu dem Fazit: Noch immer sei „nichts Stringenteres zu haben“. Und der Wiener Theologe und Publizist Bruno Kern postuliert in seinem biografisch-werkgeschichtlich angelegten Buch Karl Marx. Ökonom – Redakteur – Philosoph: „der Philosoph Marx (hat) einen Maßstab gesetzt, hinter den man […] heute nicht mehr zurückfallen darf“.

Bei einem solchen vitalen Marx-Enthusiasmus, mehr als 150 Jahre nach dem Tod des Protagonisten, ein halbes Jahrhundert nach der Selbstauflösung der SDS sowie fast 30 Jahre nach dem Fall der Mauer in Berlin und dem Untergang der Sowjetunion, gerät man ins Staunen und Grübeln. Bei den neuen Interpreten handelt es sich um eher jüngere Autoren. Vielleicht vermag das den überraschenden gegenwärtigen Marx-Hype zu erklären: Sie  haben weder die erbitterten ideologischen Kämpfe der 1960er und 70er Jahre um das geistige Erbe von Marx noch die ruinöse Systemkonkurrenz zwischen dem „kapitalistischen“ Westdeutschland und der „sozialistischen“ DDR, die sich auf Marx als ihren obersten Staatsideologen berief, erlebt. Welche Motive kommen in solcherart apologetischer Marx-Exegese zum Tragen? Welches Bild von Marx zeichnen die Autoren, welcher Zugang zu dessen geistigem Erbe legen sie nahe? Wo liegen die Schwächen dieser Interpretationen?

Die von den genannten Autoren veröffentlichten Bücher zu Marx können darüber Aufschluss geben. Exemplarisch lassen sich in ihnen drei unterschiedliche Typen der neo-marxistischen Legendenbildung beobachten. Diese korrespondieren mit unterschiedlichen persönlichen Zugängen und Haltungen der Autoren zu Marx. Gemeinsam ist ihnen eine große Sympathie für dessen Persönlichkeit sowie ein grundsätzliches Festhalten an dem Wahrheitsgehalt seiner Lehre. Wie oft steht beides auch bei den zu besprechenden Werken einer kritischen und distanzierten Auseinandersetzung mit Marx eher entgegen.

Vorausgeschickt sei, dass, wer das Marx’sche Denken in seinen Grundzügen kennenlernen möchte, von der frühen Publizistik und den philosophisch-anthropologischen Reflexionen bis zum – unvollendet gebliebenen – Haupt- und Spätwerk Das Kapital, gleichwohl von keinem der für diesen Essay herangezogenen Büchern wirklich enttäuscht sein wird. Konzise, kenntnisreich und überwiegend in lebendiger Sprache findet sich die Theoriearchitektur mitsamt den wichtigsten Querverbindungen dargestellt. Die Autoren sind herausragende Marx-Kenner und in der Lage, seine oft komplexen Gedankengänge auf den Punkt zu bringen. Das macht die drei Bücher nicht nur zu einem Lesevergnügen, sie inspirieren auch zu einer intensiveren Beschäftigung mit dem großen deutschen Philosophen und Gesellschaftstheoretiker. Umso bemerkenswerter ist, dass ihnen ein Hang zur Dogmatisierung von Marx gemeinsam ist.

Grob lassen sich daran drei repräsentative Strategien der Dogmatisierung der Marx’schen Lehre erkennen: eine akademisch-exegetische, eine politisch-rebellische sowie eine theologisch-humanistische.

In seinem als Einführung angelegten, durch solide Werkkenntnis und sprachliches Können ausgezeichneten, aber letztlich in einer pedantischen Apologetik mündenden Werk Marx und die Folgen verfolgt Henning wohl die bedenklichste Dogmatisierungsstrategie. Die Verdichtung zur Glaubenslehre kommt hier nicht nur in der weitgehend unkritischen Rekonstruktion der Marx’schen Theorieentwicklung zum Ausdruck. Verankert ist sie zudem in der fragwürdigen Behauptung einer ungebrochenen Kontinuität zwischen der Marx’schen Gesellschafts- und Kapitalismuskritik sowie der politischen Programmatik und Ideologie der Neuen Sozialen Bewegungen, namentlich des Feminismus, der Ökologiebewegung sowie des Postkolonialismus. Der Autor erhebt damit Marx zum wichtigsten Vordenker und Hauptinspirator der Protestbewegungen unserer Gegenwart. Gewiss, es ist nicht schwierig bei Marx Textstellen zu finden, in denen er die Ausbeutung der Frauen in den frühkapitalistischen Fabriken anprangert, den schrankenlosen Raubbau an der Natur beklagt und den Kolonialismus verurteilt.

Henning unterliegt dabei jedoch zwei fundamentalen Denkfehlern, wenn er eine bruchlose Kausalität von Marx bis zu den gegenwärtigen sozialen Bewegungen unterstellt und in den vermeintlichen Folgen der Theorie die empirische Bestätigung des Wahrheitsanspruchs seiner Lehre zu erkennen glaubt.

Erstens bilden einzelne Formulierungen von Marx, wie etwa diejenige von den „unvorhergesehenen Wirkungen“ des „menschlichen Siegs über die Natur“ oder die von den „Bourgeois“, denen die „Weiber und Töchter ihrer Proletarier zur Verfügung stehen“, noch lange keine tragfähige Theorie. Die im Umfeld der erwähnten Bewegungen geführten, durch große Vielfalt an Ansätzen charakterisierten Kontroversen zeigen anschaulich, wie wenig sich die aktuellen politischen, sozialen und kulturellen Konflikte in das Prokrustesbett des Marxismus zwängen lassen.

Schwerer wiegt jedoch ein zweiter Fehlschluss, ein klassischer Zuschreibungsirrtum: Nicht die intellektuelle, schon gar nicht die universitäre Rezeption der Werke von Karl Marx treibt die Feministinnen oder Umweltschützer an. Vielmehr sind es die wirklichen Erfahrungen anhaltender Diskriminierung (Stichwort: Einkommensungleichheit) und (sexueller) Unterdrückung von Frauen beziehungsweise die real erfahrbare Zerstörung der natürlichen Ressourcen, die Folgen des Klimawandels und die Risiken der Atomkraftwerke, von den dramatischen Problemen des globalen Südens ganz zu schweigen. An mehr oder weniger elaborierten intellektuellen Deutungs- und Orientierungsangeboten mangelt es keiner der neueren Strömungen, Marx ist da bestenfalls ein Denker unter vielen. Naiv und zu kurz gegriffen erscheint es deshalb, ihn zum wichtigsten oder gar geheimen Referenztheoretiker zu stilisieren und daraus im Umkehrschluss die empirische und normative Geltung  seiner Lehre ableiten zu wollen.

Schon für die historische Arbeiterbewegung galt ja bekanntlich, dass nicht die politische Theorie handlungsleitend war. Das Proletariat organisierte sich in der Praxis, das heißt primär um konkrete ökonomische und politische Interessen (Lohn, Arbeitsbedingungen, Bürgerrechte et cetera). Nicht ausgefeilte Doktrinen und deren Schöpfer, also die Intellektuellen bewegen die Geschichte, das kann man von Marx lernen, sondern reale gesellschaftliche Konflikte und leidvolle kollektive Erfahrungen. Auf einem anderen Blatt steht freilich die Inanspruchnahme des Marx’schen Denkens als politisch-herrschaftliche Legitimationstheorie, wie in den kommunistischen Staaten geschehen, wo dieser zur Doktrin erhoben und entsprechende Deformationen erfahren hat.

So gehaltvoll, seriös und gut lesbar Hennings Abhandlung über die Grundzüge von Marx’ Denken auch sein mag, sein Versuch, den Klassiker dadurch aufzuwerten, dass er ihn quasi zu einem Gegenwartsautor erklärt und ihm aktuelle Provokations- und Orientierungskraft zuschreibt, wirkt aufgesetzt und führt in die Irre. Erst recht gilt das für Hennings Abschweifungen in die Semiotik des Gegenwartsfilms, wo er ebenfalls nach Spuren von Marx’ wuchtiger, oft Gespenstisches und Unheimliches evozierender Metaphernsprache sucht.

Einen betont anti-akademischen Typ Marx-Dogmatik vertritt dagegen der Essay von Dietmar Dath. Der Autor versteht sich als Marxist-Leninist und unterhält in diesem Jahr regelmäßig mit Marx-Glossen die Leser der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Schwungvoll stilisiert er Marx zum epochalen Genius der Kapitalismuskritik und zum Schöpfer einer säkularen Heilslehre. Die Highlights der wahrlich nicht unkomplizierten Marx’schen Gedankenwelt – von der Lobrede über das Bürgertums als „revolutionärer Klasse“, über die schneidende Kritik an Georg Wilhelm Friedrich Hegel, seinem großen Vorbild, bis hin zu den theoretischen Peripetien der Kapital- und Mehrwerttheorie und zum Mysterium des „Warenfetischismus“ –  fasst der Autor in dieser kleinen Schrift zu einer Welterklärungsdoktrin zusammen. Dieser schreibt Dath nicht nur bis heute unübertroffene Schlüssigkeit zu, sondern auch große Erklärungskraft und uneingeschränkte Geltung.

Dabei kommt ebenfalls Persönliches zur Sprache, das zum Teil zur Bekräftigung der richtigen politischen Haltung seines Helden und ihrer noch heute gegebenen praktischen Nützlichkeit dient. Dath outet sich als geborenen Sozialrebell, der bereits auf dem Schulhof gelernt habe, die „heiße Wut“ über die Ungerechtigkeiten und Willkür der Lehrer in „kalte Wut“ zu transformieren – mithin immer erst zu denken.

Marx verkörpert ihm zufolge genau diese politische Psychologie der „kalten Wut“, also den realistischen und strategischen, stets auch mit Rückschlägen und Verlusten rechnenden Kampf für eine gerechtere Welt. Das würden die sich immer in die Fakten vertiefenden und die gegebenen Machtverhältnisse nüchtern abwägenden politischen Schriften von Marx exemplarisch zeigen, etwa Der 18. Brumaire des Loius Bonaparte (1852) oder auch die Kritik des Gothaer Programms (1875).

„So arg die heiße Wut […] in ihm geglüht haben muss, die kalte lag ihm näher. ‚Kalte Wut‘ nenne ich einen Zustand der Unzufriedenheit über Leiden und ausbleibendes Vergnügen, der zum kühlen, auf langfristigen Erfolg angelegten Plan aushärtet, statt sich in spontanen Eruptionen zu verausgaben“. Marx, ein früher Wutbürger also. Das richtet sich wohl in erster Linie gegen die Heißsporne, Spontis und  Krawallmacher unter den Genossen, also gegen die Illusionen und den ‚reinen Aktivismus‘ vieler Linken. Diese hätten einfach weder Marx’ historische Methode noch die universale, sämtliche sozialen Verhältnisse durchdringende Alchemie des Kapitals richtig verstanden.

Weniger naseweis, aber raffiniert gelingt es Bruno Kern, Marx zu mystifizieren. Sein Buch liefert eine gediegene Darstellung der Lebensumstände von Marx, in welche die Werkentwicklung elegant eingewoben wurde. Durch seine geschliffene Sprache und die lebendige Erzählweise steht der Band, was Qualität und Solidität anbetrifft, für sich. Mit seinen Sympathien für Marx’ Denken hält der Autor nicht hinter dem Berg. Doch hindert ihn das nicht daran, auch kritische Punkte anzusprechen und auf bestimmte Schwachstellen in Marx’ Gedankengebäude hinzuweisen. So erblickt Kern etwa in der vielfach missverstandenen politischen Formel von der Diktatur des Proletariats totalitäre Anklänge, die auf Marx’ unentschiedene Haltung zur parlamentarischen Demokratie zurückgingen. Darüber hinaus kritisiert er seine Ökologieblindheit. Gegenüber dem Problem der objektiven Grenzen fossiler Energien und den langfristigen Folgen des industriellen Raubbaus an der Natur zeige sich seine Lehre gleichgültig.

Trotzdem zeichnet auch Kern sein Marx-Bild letztlich nach dem Muster von Heiligenlegenden. Es basiert auf einem theologischen Grundmotiv: Kern, ein studierter Theologe, interpretiert Marx als säkularen Erlösungspropheten für die moderne Industriegesellschaft, womit er allerdings durchaus ein zentrales Motiv des Trierer Revolutionärs trifft.

Der Autor setzt bei der Kontinuität einer Marx’schen Schlüsselidee an, die sich von den Frühschriften bis in das Hauptwerk Das Kapital verfolgen lässt: die der „Entfremdung“. Kern erblickt darin den Dreh- und Angelpunkt der Marx’schen emanzipatorischen Ethik, deren Aktualität bis heute ungebrochen sei. In den Jugendschriften begegnen uns der Entfremdungstopos und der eschatologische Erlösungsgedanke primär in Gestalt eines hoch abstrakten Philosophems. Ausdruck dessen ist die berühmte Reflexion über die Produkte der menschlichen Arbeit, die den Menschen als „ein fremdes Wesen, als eine von den Produzenten unabhängige Macht gegenüber(treten)“. Marx versteht das Problem in diesem Zusammenhang noch religionskritisch, wie aus folgendem Zitat aus der Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie hervorgeht:

Das religiöse Elend ist in einem Ausdruck des wirklichen Elends und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt […]. Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung eines wirklichen Glücks … Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertals, dessen Heiligenscheins die Religion ist.

Die Verwirklichung des Reiches des „wirklichen Glücks“ der Menschheit ist demzufolge für Marx der Telos der Geschichte.

Im Kapital taucht dieses eschatologische Motiv Kern zufolge erneut auf: Die Realität des irdischen Jammertals bleibt hier aber nicht unbestimmt, sondern sie wird auf die „immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise“ zurückgeführt, mithin auf handfeste Mechanismen der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse. Diese verselbständigen sich gegenüber der sozialen Welt und entwickeln eine unheimliche Eigengesetzlichkeit, die im „rücksichtslosen Zwang zur Produktion um der Produktion willen“, in der „Akkumulation um der Akkumulation willen“ und im „absoluten Bereicherungstrieb“ der Kapitalisten wurzeln. Die „ungeheure Warensammlung“, als welche die „verkehrte Welt“ den Menschen im modernen Kapitalismus erscheint, charakterisiert Marx dabei als einen Fetisch. „Gemeint ist damit“, bemerkt Kern, „dass unter kapitalistischen Vorzeichen das, was den Händen und Köpfen der Subjekte selbst entspringt, sich verselbständigt und über sie Macht gewinnt; Subjekt und Objekt kehren sich um!“. Das Jammertal gewinnt auf diese Weise konkrete Gestalt – eine wesentliche Voraussetzung für das Marx’sche Programm der revolutionären Praxis.

Denn Marx formulierte damit im Kapital, wie Kern richtig hervorhebt, das Entfremdungsproblem neu, nämlich als ökonomisches und soziologisches Problem. In den inneren Widersprüchen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, die sich in Krisen manifestierten, glaubte Marx auch den entscheidenden Hebel für eine endgültige Überwindung des Kapitalismus und den Aufbruch in eine neue Welt, in der Solidarität, Freiheit und Gerechtigkeit herrschen, gefunden zu haben.

Überraschenderweise erhält Marx’ ökonomische Analyse dadurch eine theologische Färbung; sie offenbart sich in der Substanz als Heilsbotschaft auf wissenschaftlich-positivistischer Grundlage. Indem Kern nun darin das zentrale Kontinuitätsmoment des Marxʼschen Lebenswerks zu erkennen glaubt, stilisiert er ihn zum Herold einer säkularen Befreiungstheologie. Solange das Reich der Solidarität und Freiheit jenseits des Kapitalismus nicht durch eine im Geist des Humanismus wurzelnde sozialistische Revolution verwirklicht wird, solange bleibt Marx’ Lehre für Kern aktuell. Diese sei zudem von der unerschütterlichen wissenschaftlichen Gewissheit über die grundsätzliche Veränderbarkeit der sozialen Realität durchdrungen. Dass Marx die Exkludierten, die Armen und Schwächsten der Gesellschaft als jene im Blick hatte, die am ehesten den „wahren Charakter einer Gesellschaft offenbaren“ und das größte „Potenzial schöpferischer Veränderung in sich bergen“, macht ihn für Kern zur Lichtgestalt der Sozialkritik und des Humanismus. Kerns Marx ist der Marx eines religiös grundierten Humanismus, der als säkularisierter Prophet der Befreiung der Ausgestoßenen und Fremden, der Leidenden und Entrechteten auftritt. Damit steht Marx aus Sicht Kerns gewissermaßen in der biblischen Tradition von Jesus’ Bergpredigt.

Drei Neuerscheinungen über Marx, drei unterschiedliche Lesarten, ebenso viele Marx-Bilder. Das Bemühen der Autoren, die anhaltende  Aktualität der marxistischen Lehre zu demonstrieren, mündet in den besprochenen Arbeiten in eine je eigene Mystifizierung des Großtheoretikers des modernen Kapitalismus. Wie fundamental dies Marx’ dialektischem Selbstverständnis entgegensteht und wie wenig monolithische Supertheorien in unsere postmoderne Welt mit ihrer Fragmentierung und Pluralität an Weltbildern passen, hätte ein Blick über Marx hinaus, etwa auf Theodor W. Adornos Selbstkritik des Marxismus oder auf Max Weber, Marx’ zwillinghaften Antipoden, deutlich gemacht. Stattdessen präferieren die besprochenen Autoren die immanente Nacherzählung. Diese jedoch stellt Marx eher still, statt ihn in der Konfrontation mit seinen späteren Kritikern mit neuem Leben zu erfüllen.

Titelbild

Dietmar Dath: Karl Marx. 100 Seiten.
Reclam Verlag, Stuttgart 2018.
100 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783150204542

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Christoph Henning: Marx und die Folgen.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2017.
149 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783476026750

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Bruno Kern: Karl Marx. Ökonom – Redakteur – Philosoph.
Verlagshaus Römerweg, Wiesbaden 2017.
157 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783737402576

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch