Eine weltweite Spurensuche nach Luthers reformatorischem Vermächtnis

Über den Begleitkatalog zur Ausstellung des Deutschen Historischen Museums

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Martin Luther hat in seinem Leben nur ein einziges Mal die Alpen überquert, als er als fast 30-jähriger Mönch mit anderen Ordensbrüdern nach Rom reiste. Die „Stadt der Päpste“ beeindruckte ihn allerdings nur mäßig. Luthers Welt war überschaubar, er bewegte sich sein Leben lang in engen Grenzen. Seine Ideen und Werke lösten jedoch eine weltweite Bewegung aus, die bis heute anhält und zu der sich mehr als 800 Millionen Menschen rund um den Erdball bekennen.

Anlässlich des 500. Reformationsjubiläums präsentiert das Deutsche Historische Museum Berlin im Martin-Gropius-Bau die Ausstellung „Luthereffekt“ (vom 12. April bis 5. November 2017), die nach den Spuren sucht, die der Protestantismus weltweit hinterließ. Mit einer großen Anzahl einmaliger und ungewöhnlicher Objekte wird seine Vielfalt und Wirkungsgeschichte gezeigt. So trennten sich verschiedene Leihgeber aus aller Welt zum ersten Mal von ihren Schätzen.

Im Hirmer Verlag ist der umfangreiche und reich illustrierte Begleitkatalog zu dieser bemerkenswerten Ausstellung erschienen, der nicht nur die Ausstellungsstücke verzeichnet, sondern mit zahlreichen Essays die „Luthereffekte“ in ausgewählten Regionen beleuchtet. Bereits vor Luther war in Kirchenkreisen die Auffassung weit verbreitet, dass die Kirche einer „Reform an Haupt und Gliedern“ bedürfe, aber erst mit ihm kam Bewegung in diesen Reformstau. In einer kompakten Einführung wird dieser Aspekt neben Luthers Wirken im Europa des 16. Jahrhunderts allgemein betrachtet. Außerdem wird der Frage nachgegangen „Was ist ein lutherisches Bild?“, denn in der Frühen Neuzeit erhielten die Bilder eine spezifische konfessionelle Identität.

Luthers Auftreten war gleichzeitig ein regionales, nationales und globales Ereignis. Das Echo und die Aufmerksamkeit, die seinen Schriften zuteilwurden, überschritten politische und sprachliche Grenzen. Am Beispiel des Schwedischen Reiches, das damals dünn besiedelt und bäuerlich geprägt war, wird anschaulich in drei Textbeiträgen dokumentiert, wie die Reformation in Nordeuropa schnell Fuß fasste. Bereits 1527 setzte der schwedische König Gustav Wasa die Trennung von Rom durch und in der Folge entwickelte sich eine lutherische Staatskirche und ein konfessionell einheitlicher Staat, der nach dem Westfälischen Frieden von 1648 zu einer lutherischen Großmacht wurde.

Mit der europäischen Expansion gelangte das reformatorische Gedankengut auch nach Übersee. Diese „Globalisierung“ der Reformation wird in drei gesonderten Länder-Kapiteln herausgearbeitet: Unter die Lupe werden die Vereinigte Staaten von Amerika, Korea und Tansania genommen. Durch die Einwanderung verschiedener Gruppen und Konfessionen gelangte der Protestantismus in die britischen Kolonien Nordamerikas und entwickelte sich dort sehr vielgestaltig. Er trug dabei erheblich zur Entwicklung der amerikanischen Nation und zur Ausbildung ihres Selbstverständnisses bei. Eine Staatskirche existiert aber bis heute nicht, stattdessen stehen viele unabhängige Kirchen nebeneinander.

In Korea gibt es seit dem 19. Jahrhundert protestantische Gemeinschaften, Missionare konnten sich aber erst ab den 1880er-Jahren dauerhaft ansiedeln. Heute ist Korea (vor allem Südkorea) das einzige ostasiatische Land mit einem großen protestantischen Bevölkerungsanteil. Nach der Teilung des Landes hatten die meisten Christen Nordkorea verlassen und das Verhältnis in dem geteilten Land ist weiterhin eine Schlüsselfrage für die beiden protestantischen Kirchen.

Der tansanische Protestantismus ist vielgestaltig, wobei die Evangelisch-Lutherische Kirche (ELCT) mit sechs Millionen Mitgliedern die größte lutherische Kirche Afrikas und die zweitgrößte lutherische Kirche der Welt ist. Heute beschränkt sich ihr Einfluss nicht mehr nur auf das eigene Land, Missionare aus Tansania arbeiten auf dem ganzen Kontinent. Gegenüber den Kirchen in Europa sehen sie sich als Vertreter der ursprünglichen Ideale Luthers.

Der abschließende Ausblick setzt sich mit „Reformation global?“ auseinander, wo in der heutigen Zeit zahllose neue Religionen mit den etablierten Weltreligionen konkurrieren. Komplettiert wird der bemerkenswerte und historisch interessante Begleitkatalog durch ein umfangreiches Literaturverzeichnis (immerhin 22 Seiten). Der Luthereffekt. 500 Jahre Protestantismus zwischen den Kulturen der Welt ist eine exemplarische Darstellung der weltumspannenden Geschichte und Spurensuche der Reformation.

Titelbild

Deutsches Historisches Museum Berlin (Hg.): Der Luthereffekt. 500 Jahre Protestantismus in der Welt.
Hirmer Verlag, München 2017.
432 Seiten, 45,00 EUR.
ISBN-13: 9783777427188

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