Die Möglichkeit(en) einer Insel

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Von Martina KopfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martina Kopf

Es ist ihre topografische Einzigartigkeit, die der Insel ihre Anziehungskraft auch für die Literatur verleiht. Schon seit der Antike nimmt das Insel-Motiv einen prominenten Platz ein und aus der Weltliteratur lässt es sich kaum wegdenken. Dank ihrer hermetischen Abgeschlossenheit wird die Insel zur Projektionsfläche sowohl für Wünsche und Sehnsüchte als auch für Ängste und Albträume, allerdings geschieht dies vor allem durch einen externen Blick: Erst durch die spezifische Relation von Innen und Außen, dem imaginativen Wechselspiel von Auf-der-Insel-Sein und Auf-die-Insel-Blicken kann die Insel ihr literarisches Potenzial entfalten.

Charakteristisch für die Insel ist ihre Ambivalenz. So sind Inseln nicht nur als Projektionsflächen sehnsüchtiger Phantasien, sondern eben auch als Orte der Verdammnis und Verlassenheit in die Literatur eingegangen. Dem einen, so schreibt Hans Richard Brittnacher in seinem Essay Die Insel. Idylle und Desaster, sind Inseln das Paradies, dem anderen die Hölle.

Ein Topos der Inselliteratur ist Venedig. Diesem Ort mit kaum versiegender Anziehungskraft geht Carina Berg in einer Sammelrezension nach, die nicht nur die Neuauflagen von Venedig-Klassikern vorstellt, sondern darüber hinaus zeitgenössische Texte fokussiert.

Nicht selten symbolisiert das Insulare einen alternativen Gegenentwurf – ob Paradies, Idylle, Utopie oder Dystopie. Dies wird erst möglich, wenn man der Insel eine gewisse Exotik unterstellt. Über exotisches Potenzial verfügt nicht nur der Inselentwurf, auch Literaturen von der Insel gelten hierzulande häufig noch als „exotisch“. Oft als „kleine“ Literatur abgestempelt, werden diese Literaturen zu Insel-Literatur im doppelten und metaphorischen Sinne: Losgelöst vom zentralen Festland, schwimmen sie in der Peripherie.

Doch viele Insel-Literaturen beweisen das Gegenteil. Kuba kann auf eine reiche Literaturgeschichte zurückblicken. Was der Insel nur gerade fehlt, ist ein kommerzieller Buchhandel, wie Michi Strausfeld in ihrem Essay Schreiben in Zeiten der Mangelwirtschaft. Die Literaten auf Kuba kämpfen mit beschränkter Ausdrucksfreiheit, schlechter Infrastruktur und fehlenden Außenkontakten beklagt.

Haitis Literaten sind sich der prekären Situation ihres Landes durchaus bewusst, beschränken sich aber nicht auf eine engagierte Literatur, sondern entwickeln neue Genres wie den Voodoo-Krimi oder komplexe Erzählperspektiven, während sie wie nebenbei die Missstände ihres Landes ebenso wie die komplexe kreolische Kultur zu vermitteln suchen, vgl. dazu Martina Kopfs Essay Schreie von der Insel. Die Romane der Haitianischen Autoren Gary Victor, Louis-Philippe Dalembert und Lyonel Trouillot kreisen um Voodoo, Gesellschaftskritik und Dekulturation.

Ausgehend von der Beobachtung, dass insbesondere karibische Inseln als postkoloniale Insel-Topoi fungieren, vergleicht Sandra Vlasta in ihrem Essay „The palm trees were my prison bars“. Postkoloniale Inseln in Andrea Levys „Small Island“ und Caryl Phillips’ „The Final Passage“ zwei Romane, die sich zwischen den westindischen Inseln und Großbritannien bewegen. Die Bewegung weg von der Insel kann dabei auch als weiblicher Emanzipationsprozess gedeutet werden.

Auch wenn mit dieser Ausgabe nur ein kleiner Einblick in ein komparatistisch hochinteressantes Forschungsfeld gegeben werden kann, zeigen sich doch: die Möglichkeit(en) einer Insel.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz