Wenn Glauben zur Krise wird

Shūsaku Endō erzählt in seinem Roman „Schweigen“ von der Christenverfolgung in Japan

Von Stefan TuczekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Tuczek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das eiskalte und stahlblaue Meer schweigt. Ohne Gnade oder Reue nimmt es alles in sich auf, egal ob Menschen oder Tiere. Mit stoischer Gelassenheit wälzt es sich dahin. In Shūsaku Endōs Schweigen ist das Meer eine zentrale Metapher für das Schweigen Gottes angesichts der Grausamkeiten der Menschen gegenüber Christen, und an Grausamkeiten mangelt es nicht im Roman: Menschen werden mit kochendem Wasser übergossen oder kopfüber blutend in eine Grube mit Fäkalien und Unrat gehangen. Auch werden sie über Wochen hinweg freundlich behandelt, nur um dann in einem Augenblick der Unachtsamkeit vor eine ausweglose Wahl gestellt zu werden: Entweder schwören sie dem christlichen Glauben ab oder Menschen werden getötet. Die psychologische Folter beherrschte man in Japan der Tokugawa-Dynastie (auch Edo-Zeit, 1603–1868) perfekt.

Endō erzählt in nüchternen Bildern von der Reise der beiden Missionare Pater Sebastião Rodrigues und Pater Francisco Garpe nach Japan, wo sie den undenkbaren Gerüchten, dass ihr alter Lehrmeister Ferreira seinem Glauben an den christlichen Gott abgeschworen habe, auf den Grund gehen wollen. Die beiden Missionare machen sich auf den gefahrvollen Weg in das ihnen fremde Land, das sich schon teilweise von der westlichen Welt abgeschottet und jede christliche Missionierungstätigkeit verboten hat. Die christliche Minderheit der Japaner wird grausam verfolgt und all jene, die an ihrem Glauben festhalten, werden gefoltert und getötet. Rodrigues und Garpe stehen dieser Grausamkeit ratlos gegenüber. Sie werden zwar freundlich von den Gläubigen aufgenommen und vor den Häschern versteckt, jedoch werden sie immer wieder vom Christen Kichijirō verraten. Die Christen stellen sich schützend vor Garpe und Rodrigues und werden ihretwegen ebenfalls getötet. Garpe und Rodrigues werden so mit der Frage konfrontiert, inwieweit es richtig sein kann, dass die Gläubigen sich für sie opfern, obwohl es doch die Pflicht der Pater ist, für die Gemeinde zu sorgen. Vor allem bei Rodrigues führen diese Umstände zu einer Glaubenskrise: Als er gefangen wird, stellt man ihn immer wieder vor die Wahl, ob er entweder seinem Glauben abschwört oder weitere Mitglieder der christlichen Gemeinde sterben werden. Soll er sich opfern und seinen Glauben verleugnen? Täte er dies jedoch, dann wäre das gesamte Vorhaben, für die kleine Gemeinde da zu sein und den Glauben in Japan zu bewahren, sinnlos. Aber ist es nicht genauso sinnlos, dass sich die Menschen für ihren Glauben aufopfern, damit er leben kann? Rodrigues steht vor der Wahl, ein Verräter am Glauben zu werden oder für seinen Glauben Menschen zu opfern – und immer wieder fragt er sich, warum Gott dazu schweigt und wie er dieses Dilemma zulassen kann.

Schweigen wirkt oberflächlich betrachtet wie ein normaler Historienroman, der die Geschichte der beiden Missionare auf der Suche nach ihrem Lehrer erzählt, die sie durch das feindliche Japan des 17. Jahrhunderts führt. Es ist jedoch mehr: Es ist auch eine Geschichte über den persönlichen Glauben eines Christen, der in Japan auf die Probe gestellt wird, gleichzeitig wird hier wieder die Theodizee-Frage aufgegriffen. Wie kann Gott zum Leid und Schmerz schweigen?

Endō wählt drastische Bilder, um den Lesern die Christenverfolgung vor Augen zu führen: Kochendes Wasser und die Grubenfolter sind beliebte Foltermethoden, die zum Abfall vom Glauben führen sollen. Doch ebendiese Gewalt und Grausamkeit, die nur zum Zweck angewendet wird, dass man sich offiziell vom Christentum abwendet und inoffiziell daran festhalten soll – so empfehlen es immer wieder die Folterknechte –, führen zu einem dunklen Reiz, den der Roman besitzt. Endō schafft es, ein Japan zu zeichnen, in dem die einfache Landbevölkerung, die nichts als ihren Glauben an ein besseres Leben im Paradies hat, von den Samurais und Shogunen geknechtet wird.

Die Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit, in der der Glauben an Gott der einzige Hoffnungsschimmer ist, zieht sich durch das ganze Buch. Und diese Hoffnungslosigkeit überfällt auch die Missionare und der „Sumpf Japan“ schafft es, sie in ihrem Glauben zu erschüttern. Trotz der Düsterkeit gelingt es dem Autoren, seine Figuren überraschend einfühlsam zu zeichnen. Selbst der Verräter Kichijirō wird zu einer glaubwürdigen Figur, der man den innerlichen Schmerz über seinen Verrat glaubt.

Endō geht konsequent der Frage nach dem Glauben an Gott nach und inwieweit der christliche Glauben überhaupt in Japan wurzelt. Muss sich eine Religion der Bevölkerung oder muss sich das Volk an die Religion anpassen? Das ist eine der zahlreichen interessanten Fragen, die der Autor aufwirft – seine Antwort darauf ist jedoch eindeutig: Religion muss auch flexibel sein, damit der Baum des Glaubens Wurzeln schlagen kann und nicht verdorrt.

Für den westlichen Leser ist die Geschichte Japans exotisch, einem Land, das sich über Jahrhunderte völlig vom Westen abschottete und sich doch intern mit den westlichen Exporten der Religion auseinandersetzten musste. Das Nachwort von William Johnston, der die englische Übersetzung besorgte, betten Endōs Roman in den dazugehörigen historischen Kontext ein, damit auch der Leser, der die Geschichte Japans nicht kennt, sich im Roman gut zurechtfinden kann. Weit weniger nützlich und informativ ist das Vorwort von Martin Scorsese. Darin erzählt er ausschließlich, wie gut er das Buch findet – was eher als Werbung für Scorseses Verfilmung von Schweigen zu werten ist.

Bei der 2015 erschienen Ausgabe von Schweigen handelt es sich um eine überarbeitete Version der 1977 erschienen deutschen Übersetzung. Wieder hat Ruth Linhart sorgsam übersetzt und muss dafür ausdrücklich gelobt werden, da die aktuelle Übersetzung viel näher am originalen japanischen Text ist. Ohne Frage ist Schweigen ein düsteres, aber zartes Meisterwerk, mit dem sich Endō seinen Platz unter den bedeutendsten japanischen Schriftstellern redlich verdient hat.

Titelbild

Shusaku Endo: Schweigen. Romanvorlage zum Film SILENCE.
Übersetzt aus dem Japanischen von Ruth Linhart.
Septime Verlag, Wien 2015.
310 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783902711403

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