Jenseits von Melusine und Melanie

Theodor Fontane stellt „Wundersame Frauen“aus der Mark Brandenburg vor

Von Thorsten PaprotnyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Paprotny

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Theodor Fontanes Romanen, die er nach den Wanderungen durch die Mark Brandenburg verfasste, treten souveräne, zumindest unkonventionelle und schlicht betörende Damen auf – wie Effi Briest, wie Melanie in L’Adultera oder Melusine in Der Stechlin. Der alte Fontane mochte ganz einfach Frauen, die nicht weibliche Spielfiguren waren, in schablonenhafte Rollen gedrängt, dem ständischen, bieder nationalistischen Denken seiner Zeit entsprechend gestaltet. Auf den märkischen Wanderungen, wie die voluminösen Bände anzeigen, entdeckte er offenbar nur wenige Damen, die er sorgfältig porträtieren konnte und wollte. Auch wenn es aus heutiger Perspektive fast despektierlich klingt, die Herausgeber dieses Auswahlbandes charakterisieren die Wanderungen durchaus treffend, zumindest historisch gesehen, als Männerliteratur. Fontane richte sich 1865 an ein „männliches Lesepublikum“, zumal auch die Preußen vorwiegend allein oder unter ihresgleichen wandernd unterwegs waren. Gabriele Radecke und Robert Rauh merken bedauernd an, dass „unabhängig agierende und politisch engagierte Frauen“ für Fontane „kein Thema“ gewesen seien, auch später nicht. Mit der „Frauenbewegung“ habe er sich nicht identifizieren können, auch an „Gleichberechtigung“ denke er nicht, ja „nicht einmal ein Streben danach“ erwähne er. Dieses einseitige Verdikt reicht sehr weit, womöglich zu weit.

Verdienstvoll ist es, dass aus den weitläufigen Betrachtungen, die in den Wanderungen angestellt werden, sorgfältig und wissenschaftlich akkurat Fontanes Porträts einzelner Frauen der preußischen Geschichte aufgespürt und in diesem Band zusammengeführt werden. Radecke und Rauh kommentieren und erläutern die Gestalten ebenso wie Fontanes Sichtweise. Fraglich bleibt, ob beide dem schon in den Wanderungen sich herausbildenden Erzählstil stets entsprechen und gerecht werden. Fontanes Damen bewegen sich auch hier schon, zumindest in Andeutungen, mehr als nur schattenhaft. Er beobachtet genau und schildert sensibel. Der Theaterkritiker etwa würdigt die französische Schauspielerin Élisa Rachel Félix, die auf der Pfaueninsel zu Gast war und die Hoheiten betörte, insbesondere den preußischen König und den russischen Zarenen. Mehr noch als die bewunderte Dame und alle Majestäten preist Fontane, fast wie ein verspäteter Romantiker, die Insel selbst:

Das Haveltreiben zieht beinah geräuschlos an uns vorüber; Dampfschiffe, unter glückverheißendem Namen: Fortuna und Viktoria, schießen auf und ab; Segelschiffe, schwer und langsam, dazwischen. Und nun Gondeln mit Musik, und drüben schweigend der Wald, aus dem die Hirsche treten. Der Abend kommt, die Nebel steigen, die Kühle mahnt zur Rückfahrt und unser Boot schiebt sich durch das Rohr hin und in die freie Wasserfläche hinaus. Hinter uns, die verschleierte Mondsichel über den Bäumen, versinkt das Eiland. Mehr eine Feen- als eine Pfaueninsel jetzt.

Bemerkenswert, auch sichtbar interessiert werden die Beziehungen des Kronprinzen Friedrich zu Sabine Cusig und Louise von Wreech vorgestellt. Der spätere Preußenkönig hegte gewiss Sympathien für manche Damen. Ob er Sabine je begegnet ist, bleibt ungeklärt. Ein Liebesverhältnis zu Louise wäre ihm vielleicht zu wünschen gewesen. Fontane zitiert aus den Briefen des Kronprinzen. Dieser schien die Philosophie mehr zu begehren als die schöne Frau von Wreech und schrieb feierlich, pathetisch, auch ein wenig ungelenk und spröde. Der klarsichtige Fontane stellt fest,

dass das Ganze nichts anderes als die Huldigung eines etwas verliebten poetisierenden jungen Prinzen war – eine Huldigung, die, mal leichter, mal leidenschaftlicher auftretend, von Frau von Wreech abwechselnd als eine Zerstreuung, eine Ehre, eine Schmeichelei, aber gelegentlich auch als eine Last entgegengenommen wurde.

Friedrich verfasste eine „Anhäufung origineller Gedanken“, aber die Adressatin wartete darauf so wenig wie auf die offensichtlich artifizielle Dichtkunst des kommenden Königs. Friedrich ahnte sogar, dass er die kluge, schöne Frau von Wreech mit seinen bloß leidenschaftlich getönten Versen ermüden könnte. Viele Jahre später bittet sie ihn um finanzielle Unterstützung, mitten im Krieg, „wo die halbe Monarchie so verwüstet war wie die Güter der Frau von Wreech“, und er gewährt eine überschaubare Hilfe, mit der Bitte um Verständnis. Diese Beziehungsgeschichte hätte der alte Fontane novellistisch ausgestalten können. Der Band wäre dann vielleicht unter dem Titel Louise erschienen.

Schade ist auch, dass Fontane nicht mehr von Julie von Voß berichtet hat. Die Mätresse Friedrich Wilhelms II. sei eine „Schönheit im Genre Tizians“ gewesen, die außerordentlich unzeitgemäß war. Sie lehnte etwa den französischen Konversationsstil ab. Die Gattin des Prinzen wurde rasch eifersüchtig. Sie lebte am Hof der unglücklichen Gattin Friedrichs des Großen. Ständig besuchte der König – im August 1786, kurz nach der Thronbesteigung – die reizende Julie, bis sie, die ihn liebte, den Grafen Ingelheim heiratete, auch heiraten musste, ihn oder irgendeinen anderen. Sie starb, 22 Jahre alt, nur wenige Wochen nach der Geburt ihres Sohnes, an einer Lungenentzündung.

Fontane berichtet zudem von einer stolzen, großmütigen Frau, die ganz besonders war – nämlich römisch-katholisch. Er bewundert die Gräfin Emilie von Schlabrendorf, streng und mild zugleich. Ihr Katholizismus sei eine „einfache Tatsache“ gewesen. Wer katholisch sei, nehme gesellschaftlich „eine nach mehr als einer Seite hin bevorzugte Stellung unter uns“ ein – „unter uns“, unter den preußischen Protestanten also. Skeptisch, aber doch beeindruckt schreibt Fontane weiter über Katholiken:

Wie gering ihre sonstige Stellung sein mag, sie werden einer Art Religionsaristokratie zugerechnet, einer Genossenschaft, die Vorrechte hat und von der es nicht bloß feststeht, dass sie gewisse Dinge besser kennt und weiß als wir, sondern der es, infolge des Besserwissens, auch zukommt, in eben diesen Dingen den Ton anzugeben. Also zu herrschen.

Fontanes Gräfin aber verstand sich noch mehr darauf, das Gemeinsame der Konfessionen zu sehen und zu suchen. Sie erregte nie Anstoß, „bildete den geistigen Mittelpunkt“ in einer Gesellschaft, vom Wesen her anmutig und vornehm, „übrigens ohne schön zu sein“. Um Standesunterschiede kümmerte sie sich nicht. Ihrem „ausdrücklichen Willen“ wurde, als sie mit sechzig Jahren 1858 verstorben war, gern entsprochen – eine außerordentliche Begebenheit damals, in manchen Regionen auch noch 150 Jahre später: Die Gräfin wurde, obwohl eine überzeugte, auch souveräne Katholikin, „auf dem protestantischen Kirchhofe“ beigesetzt.

Staunenswerte Worte finden sich auch, über eine nur beiläufig geschilderte Frau von Quast, die sich noch mit 93 Jahren „durch Lebhaftigkeit, Esprit und Dezidiertheit hervorzutun wusste“. Nach Fontanes Ansicht übertrieb die temperamentvolle alte Dame doch: „Man kann auch zu lange frisch bleiben und die geistige Jugend, die sich viele so sehr wünschen, ist ein zweischneidig Schwert; in einem gewissen Alter muss man auch alt wirken und wenn dies Natürliche sich nicht vollzieht, so berührt es mehr oder weniger unheimlich.“ Diese Dame imponiert ihm zwar, aber dem Skeptiker ging der Wirbel und Aufruhr doch ein wenig zu weit. Alte Menschen dürfen, so mag Fontane gedacht haben, alt sein, aber nicht kraftstrotzend und vorwitzig, sondern gütig, still und weise. Überbordende Lebensfreude und scharfe Pointen sind für die Zuhörer offenbar doch anstrengend.

Aber verraten diese Bemerkungen etwas über Fontanes Frauenbild? Er widmete sich preußischen Damen ganz unterschiedlicher Art, schilderte sie sehr lebensnah, bisweilen mit Sympathie und Hingabe. Fontane war – aus seinen Romanen, Novellen und Erzählungen ist uns dies sehr vertraut – ein Menschenkenner, mitnichten nur ein Männerkenner. Er verehrte feenhafte Wesen in weiblicher Gestalt, war all den Melanies und Effis seiner Werke von Herzen zugetan und ließ ein sagenhaftes Geschöpf wie Melusine in Der Stechlin auftreten. Auch auf seinen Wanderungen hat er Damen gesehen und nuanciert gewürdigt. Dieses Buch lädt zu einer Reise in Fontanes Welt ein, zu literarischen Spaziergängen in der Mark Brandenburg, um dort wunderbaren, wundersamen, oft eigensinnigen und geistreichen Frauen zu begegnen.

Titelbild

Theodor Fontane: Wundersame Frauen. Weibliche Lebensbilder aus den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“.
Mit einem Nachwort und Erläuterungen herausgegeben von Gabriele Radecke und Robert Rauh.
Manesse Verlag, München 2019.
188 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783717525004

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