Eine Alternative zur Autokastration

David Foster Wallace berichtet über die Pornobranche

Von Philipp JakobRSS-Newsfeed neuer Artikel von Philipp Jakob

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Die Branche ist nicht nur vulgär, sie ist berechenbar vulgär. Alle Klischees stimmen.“ Diese Aussagen über die Pornoindustrie trifft David Foster Wallace in seiner Reportage Der große rote Sohn bereits auf den ersten Seiten und damit ist eigentlich auch schon alles gesagt.

1998 besuchte er für die Zeitschrift Premiere die Adult Video News Awards, eine Art Oscar für Pornofilme, und die dazugehörige „Messe für Pornosoftware“ in Las Vegas. Aus diesem Besuch entstand ein 100-seitiges Essay, in dem Wallace einen Blick hinter die Kulissen des „bösen Zwillings“ von Hollywoods Filmbranche wirft.

Der Autor, der sich 2008 im Alter von 46 Jahren das Leben nahm, beschreibt diese Szene, die 1998 der Öffentlichkeit noch weitestgehend verschlossen war und über deren Messen und Preisverleihungen damals nur branchenintern berichtet wurde, mit der gewohnten Detailtreue und einer gewissen Ironie. Ebenfalls zu Beginn seiner Ausführungen verspricht er, diese Reportage all jenen zu widmen, die eine Autokastration aufgrund einer nicht mehr ertragbaren Spannung, entstanden durch den Wunsch nach „vollkommener Triebbefriedigung bei gleichzeitiger realer Unmöglichkeit vollkommener Triebbefriedigung“, erwägen.

Für all jene armen Seelen hofft er, mit seinen Zeilen eine Alternative bieten zu können. Tatsächlich gelingt es ihm, durch seine Beschreibungen beim Leser einen gewissen Ekel aufzubauen. Es sind abstoßende Beschreibungen von abstrusen Sexpraktiken, Voyeurismus und der Stumpfheit des Gewerbes, die leider selten besonders interessant oder komisch sind und eben oft nur Klischees bestätigen.

Wie beispielsweise schon in Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich, der Reportage über eine Kreuzfahrt, finden sich auch hier die typischen Schachtelsätze, die auswuchernden Fußnoten (die oft mehr Platz als der Haupttext einnehmen) und die wilden Vergleiche, die Wallaces Texte ausmachen. Erneut tritt der Autor hier als pedantischer Beobachter auf, der keine Informationen ausspart.

Allerdings wirken viele Vergleiche meist weniger treffend und humorvoll als in seinen vorherigen Werken. Das macht das Ganze wenig unterhaltend, hat aber den interessanten Effekt, dass man beim Lesen abstumpft vor den ekelerregenden Details, den plumpen Figuren und den aufgesetzten Gepflogenheiten der Branche, die wirklich jedes Klischee bedient – ein Effekt des Gefühlsverlusts, der auch für den Pornokonsumenten beschrieben wird. Irgendwann lässt sich das nicht mehr steigern und dann verschwimmen die durchaus ernsten Klänge über Geschlechtskrankheiten unter den Darstellern und einer zunehmenden Brutalität in den gedrehten Filmen mit den banalen Aussagen von Personen aus der Szene, die solch plumpe Namen wie Dick Filth und Max Hardcore führen.

In den USA erschien die Reportage in Buchform erstmals 2005 in der Sammlung Consider the Lobster and Other Essays. Die Frage, weshalb Kiepenheuer & Witsch nun gerade diesen fast 20 Jahre alten Essay, der nicht durch seine Qualität, sondern nur durch sein schlüpfriges Thema aus der Sammlung heraussticht, nun herausgelöst veröffentlicht, bleibt in den Raum gestellt.

Der Text wurde von Ulrich Blumenbach übersetzt, der unter anderem auch Wallaces große Romane Unendlicher Spaß und Der bleiche König ins Deutsche übertragen hat. Zusätzlich zur Übersetzung wurden zahlreiche Anmerkungen ergänzt, die auch bitter nötig sind, um viele der Anspielungen und Vergleiche, etwa auf Personen der damaligen amerikanischen Fernsehlandschaft, zu verstehen. Durch ihre lang zurückliegende Erstpublikation wirkt die Reportage etwas angestaubt und ist daher nur eingefleischten Wallace-Fans ans Herz zu legen. Insgesamt kann man dem Werk eine gewisse Qualität nicht absprechen, des Englischen mächtigen Lesern ist aber eher zur genannten Essaysammlung zu raten.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

David Foster Wallace: Der große rote Sohn.
Übersetzt aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017.
112 Seiten, 7,99 EUR.
ISBN-13: 9783462048216

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