Strategien der Erniedrigung

Ute Frevert beleuchtet in „Die Politik der Demütigung“ die Systematik der öffentlichen Demütigung von mittelalterlichen Schandstrafen bis zu Hatespeech im Internet

Von Sebastian MeißnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Meißner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Cybermobbing, also das absichtliche Beleidigen und Anprangern einzelner Personen im Internet, kann psychische Folgen wie Essstörungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken nach sich ziehen. Mit der virtuellen Welt hat das Phänomen der Demütigung eine weitere Dimension bekommen.

Die Demütigung, von SRF-Redakteurin Cornelia Kazis einst als „Seelenmord“ bezeichnet, findet sich als strategisches Instrument in allen möglichen sozialen, kulturellen und politischen Situationen – in der Erziehung von Kindern und Jugendlichen, im Strafrecht oder in Diplomatie und Politik. Die öffentliche Beschämung ist das demonstrative Machtinstrument. Ute Frevert, die Historikerin ist und am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung den Bereich „Geschichte der Gefühle“ leitet, hat sich mit der Demütigung in der europäischen Kultur der letzten 250 Jahre befasst.

Entzifferung der Wirkungsweise

Mehrfach ist angemerkt worden, dass diese Beispiele nicht sortiert sind – etwa nach Zeit und Ort – und dass dadurch eine Kontextualisierung in politische oder historische Situationen unmöglich wird. Das stimmt zwar, ignoriert aber, dass es Frevert um etwas ganz anderes geht. Eben um die Aufdeckung von Mustern und Wirkungsweisen. Ihre akribische und anschauliche Art der Schilderung schafft überhaupt erst ein Bewusstsein dafür, was eine Demütigung ist und was sie etwa von einer Kritik oder einer einfachen Beleidigung unterscheidet. Anhand zahlreicher Beispiele aus der Geschichte zeigt Frevert, wie Demütigungen inszeniert werden – und wie sehr sie sich über Epochen und Kulturen hinweg ähneln. Diese Entzifferung der Wirkungsweise des Prangers ist das größte Verdienst ihres Buches. Denn sie ordnet nicht nur Täter und Opfer eine entscheidende Rolle zu, sondern eben auch dem Publikum. Je größer es ist, desto stärker wird die Beschämung.

Besonders offensichtlich wird dies bei Betrachtung moderner Formen der Demütigung. Denn Demütigung – auch das ist eine der Kernaussagen des Buches – gibt es bis heute. Sie verändert sich in Form und Sichtbarkeit, nicht aber strukturell. Auch TV-Formate wie Dschungelcamp oder Germany’s Next Topmodel arbeiten mit dem Element der öffentlichen Erniedrigung. Im Abschnitt „Entwürdigung im Konsens: TV-Formate“ stellt die Autorin fest: „Konsensuale Bloßstellungen sind seit Beginn des 21. Jahrhunderts tagtäglich und rund um die Uhr im Privatfernsehen zu betrachten“. Um eine plumpe Medienkritik geht es ihr dabei nicht. Frevert vergleicht das öffentliche Scheitern der TV-Kandidaten, ihr symbolisches Sich-in-den-Staub-Werfen und das Sezieren ihrer Fehlleistungen mit einem Initiationsritual, das so auch aus Jugendgruppen, Studentenverbindungen und militärischen Verbünden bekannt ist: „Wer dazu gehören will, muss sich erniedrigen lassen. Im zweiten Abschnitt „Beschämung online“ geht sie auf das Cybermobbing in sozialen Medien ein. Sie merkt hierzu an, dass im Internet zwar jeder seinen individuellen Pranger bauen könne, es jedoch gleichsam die Möglichkeit zur Konstitution von Gegenmacht biete.

Ein weiteres Beispiel aus der Gegenwart stammt aus den USA. Dort verurteilen Gerichte Straftäter dazu, ihre Vergehen öffentlich kundzutun. Auch in der Politik wird die Methode nach wie vor eingesetzt. Frevert interessiert in diesem Zusammenhang vor allem die Frage, wie das öffentliche (etwa auch medial inszenierte) Anprangern sich mit den Werten moderner Demokratien verträgt. Im Abschnitt „Die Sprache der Demütigung in der internationalen Politik“ zeigt die Autorin anhand zahlreicher Beispiele die Omnipräsenz von Erniedrigung im internationalen Staatsbeziehungen.

Hinter vorgehaltener Hand

Für ihre Argumentation stützt sich Frevert auf diverse Quellen wie etwa Gerichtsdokumente, öffentliche Publikationen sowie private Dokumente wie Briefe oder Tagebücher. Diese Kombination aus historischen sowie aktuellen Beispielen und einer entlarvenden Gesellschaftsanalyse macht den Reiz dieses Buches aus. Frevert gelingt es so, die Perfidität des Phänomens ebenso wie seine Tarnung zu beschreiben. Die Leser werden sensibilisiert für ein Phänomen, das sich tagtäglich vor ihren Augen abspielt.

Titelbild

Ute Frevert: Die Politik der Demütigung. Schauplätze von Macht und Ohnmacht.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2017.
326 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783103972221

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch