Prosa mit Punch

Leonard Gardners legendärer Boxerroman „Fat City“ liegt in neuer Übersetzung vor

Von Johannes GroschupfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Groschupf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ring frei für einen modernen Klassiker: Der Boxerroman Fat City von Leonard Gardner wurde bald nach seinem Erscheinen 1969 zu einem Kultbuch. Joan Didion sagte damals: „Fat City hat mich mehr bewegt als die gesamte Gegenwartsliteratur der letzten Jahre.“ Der Roman wurde 1972 vom Boxliebhaber John Huston verfilmt, immer wieder neu aufgelegt und übersetzt. Vor 25 Jahren gab es eine Übersetzung von Michael Naumann und Ursula Locke-Groß bei Rowohlt, jetzt legt der Blumenbar Verlag die neue Übersetzung von Gregor Hens vor: Ein düsteres Leseerlebnis für helle Sommertage.

Der kurze Roman erzählt die Lebenswege dreier Männer in Stockton, einem verdreckten Nest in Nord-Kalifornien, am Ende der 1950er-Jahre:

An El Dorado und Center Street, zwischen Mormon Slough und dem Tiefwasserkanal, standen an den warmen Sommerabenden Hunderte von Erntehelfern und Arbeitslosen herum. Sie unterhielten sich, schauten herum, ließen sich von einer überfüllten Bar zur nächsten treiben, in Spielhallen, Imbissbuden, Billardsalons, Schnapsläden und Kinos, und ihre Wege wurden immer wieder gekreuzt vom Urin, der aus den dunklen Hauseingängen rann. Streifenwagen, aus denen paarweise Gesichter spähten, kreisten um das Viertel. Die Gestürzten, die Torkelnden, die Gewalttätigen wurden abtransportiert. Krankenwagen kamen, die von Polizisten gefahren wurden. Löschfahrzeuge kamen, und durchnässte, qualmende Matratzen wurden auf die Bürgersteige gezerrt. Wanderprediger kamen mit kleinen Blaskapellen. Manchmal wurde eine Leiche aus einer Pension getragen.

Billy Tully ist Mitte 30, ein abgehalfterter Boxer, der ahnt, dass seine Zeit vorbei ist. Seine Frau hat ihn verlassen, er wechselt von Hotelzimmer zu Hotelzimmer, von Pfirsichpflücker-Job zu Zwiebelschneider-Job, von Kneipe zu Kneipe. „Es hatte Zeiten gegeben, da war er überzeugt gewesen, dass ihm die Fünfziger großen Ruhm bringen würden. Jetzt waren sie beinahe vorüber, und er war ausgebrannt.“ Er geht eine lieblose Beziehung mit einer Trinkerin ein und versucht sich doch noch einmal als Boxer.

Der 18-jährige Ernie Munger, ein begabter Boxer, meint das Leben noch vor sich zu haben. Doch der erste Sex wird zu einer Enttäuschung, die in eine öde Beziehung mündet. Und die erträumte Boxerkarriere versandet im Nirgendwo verschobener Provinzkämpfe.

Ruben Luna versucht sich noch einmal als Coach und Manager, er organisiert einen Kampf zwischen Billy Tully und dem reisenden Profi-Boxer Lucero, bei dem Tully einen schweren Treffer einsteckt und zu Boden geht: „Sein ganzes Gesichtsfeld war von einer diagonalen Zickzacklinie durchschnitten, wie bei einem zersprungenen Fenster. Er erinnerte sich weder daran, wie er hochgekommen war, noch, wie er es über die Runde geschafft hatte.“ Die Kampfbeschreibungen sind kundig und bemerkenswert unglamourös, sie strahlen dafür die körperliche Faszination aus, die der Boxsport bis vor wenigen Jahren noch hatte.

Das Boxer-Milieu dient in Literatur und Film oft als Schauplatz von Verlierergeschichten, der Boxring als Bühne des Überlebenskampfs, in dem alle zu Boden gehen, jedenfalls in diesem fulminanten und gnadenlosen California Noir. Leonard Gardner, selbst ein passabler Boxer in seinen jungen Jahren, schreibt eine Prosa mit hartem Punch. Er kennt sich in diesem Milieu aus, in den verschwitzten Hinterhof-Boxgyms ebenso wie in den schäbigen Hotelzimmern. Die Treffer sitzen. „Die Jalousie war zerfleddert, die Glühbirne schummrig, und seine Nachbarn waren offenbar alle lungenkrank.“ Die Dialoge zwischen den Alkis in den Kneipen sind ebenfalls präzise recherchiert. Die Nebenfiguren wie der reisende Boxer Lucero oder die Trinkerin Oda, die weiße Männer hasst, sind unglaublich stark. Der Roman ist leider zu kurz geraten, aber ein heftiges Vergnügen.

Die Romanverfilmung von John Huston, auch er als junger Mann ein leidenschaftlicher Boxer, wurde eine geniale, düstere Kleinstadtballade. Anders als Martin Scorsese mit seinem hitzigen Boxerfilm Raging Bull, der den unverwüstlichen Steher feiert („You never got me down, Ray! You hear me, you never got me down!“), zeigen Huston im Film und Gardner im Roman das trübe Leben der mittelmäßigen, der chancenlosen Boxer, die wirklich zugrunde gehen – nicht an den Schlägen im Ring, sondern am Alkohol, an den Frauen, an sich selbst.

Fat City ist nicht nur ein alter Spitzname der kalifornischen Kleinstadt Stockton. Leonard Gardner erzählte zum Titel seines Romans in einem Interview 1969: “Lots of people have asked me about the title of my book. Itʼs part of Negro slang. When you say you want to go to Fat City, it means you want the good life. […] The title is ironic: Fat City is a crazy goal no one is ever going to reach.“

Es ist ein echter Gewinn, dass dieser Roman wieder erhältlich ist. Gregor Hensʼ Übersetzung ist gelungen, sie bringt den Sound jener Zeit und des speziellen Milieus elegant in die deutsche Sprache.

Titelbild

Leonard Gardner: Fat City. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Gregor Hens.
Blumenbar Verlag, Berlin 2017.
224 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783351050399

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