Guter Wein, guter Käse und die Wunden der Liebe

Zwei Veröffentlichungen lassen das Werk von Graham Greene in neuem Glanz erstrahlen

Von Christian MariotteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Mariotte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als 1950 ein neuer Roman von Graham Greene veröffentlicht wurde, war es der Autor selbst, der im Vorwort Zweifel an seinem literarischen Wert durchblicken ließ: „Der dritte Mann wurde nicht geschrieben, um gelesen, sondern nur um gesehen zu werden.“ Tatsächlich kannte das Publikum die wesentlichen Elemente der Handlung bereits aus dem gleichnamigen Film, der unter Regie von Carol Reed ein Jahr zuvor höchst erfolgreich in die Kinos gekommen war und der bis heute sehr hohes Ansehen genießt.

Bekannterweise ist die Nähe zwischen einem Klassiker der Filmkunst und seiner weniger berühmten literarischen Vorlage für letztere sowohl eine Chance als auch ein Fluch. Durch zahlreiche Wiederholungen des Films wird auch der Roman immer aufs Neue ins Gedächtnis des Publikums gerufen. Andererseits stellt sich die Frage, ob es wirklich Sinn ergibt, einen Text zu lesen, zu dem das persönliche Kopfkino vermutlich keine anderen Bilder produzieren kann als diejenigen, die zuvor auf dem Bildschirm flimmerten. Im Fall des Dritten Mannes werden diese Bedenken obendrein verstärkt durch die überraschende Erklärung Greenes, dass eigentlich der Roman das „Rohmaterial“ und der Film die „Endfassung“ gewesen seien. Gerade die liebenswerte Bescheidenheit des Autors in seinem Vorwort dient allerdings auch dazu, dass wir uns schließlich doch noch auf die Lektüre einlassen.

Wer die Geschichte des Harry Lime und seiner Machenschaften im besetzten Wien der Nachkriegszeit aus dem Kino kannte, wird vermutlich die expressionistische Eindringlichkeit mancher Bilder vermissen, so zum Beispiel einer Großaufnahme der Hände des Bösewichts, die sich an ein Straßengitter klammern und es nicht schaffen, in letzter Minute die Grenze zwischen der dämonischen Unterwelt der Kanalisationen und einer Rettung verheißenden Wiener Straße zu überwinden. Dagegen wird man aber feststellen, dass manche Aspekte der Handlung in literarischer Form subtiler herausgearbeitet werden, so zum Beispiel die unwiderstehlich komische Koexistenz zwischen derber Brutalität und ausgezeichneten britischen Manieren, die seltsamen Rituale des literarischen Lebens oder die Tragik des plötzlichen, anonymen und sinnlosen Soldatentodes fernab der Heimat. Anders als Greene es nahelegt, stehen letztendlich der Film und der Roman nicht in einem hierarchischen Verhältnis zueinander, sondern sie bilden zwei gleichwertige Varianten einer „seltsame[n], ziemlich traurigen Geschichte“ (so der Ich-Erzähler im Roman), welche die jeweiligen Möglichkeiten ihrer Kunstform ausschöpfen. Und genau wie der Film kürzlich in einer restaurierten Fassung im Blu-ray-Format erschienen ist, hat sich der Zsolnay Verlag als langjähriger Inhaber der deutschen Rechte dazu entschlossen, den Roman in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. War die ursprüngliche Übersetzung von Fritz Burger (mitte der 1990er-Jahre von Käthe Springer revidiert) im Großen und Ganzen durchaus gelungen, so unterwarf sie sich den damaligen Gepflogenheiten und versuchte, die Arbeit des Schriftstellers vermutlich gegen seinen Willen oder ohne sein Wissen noch einmal zu „verbessern“. Zum ersten Mal kann man eine deutsche Ausgabe des Textes lesen, in der die vielen Wiederholungen („He told me promptly and I believed him. It was then I believed him altogether.“) nicht beseitigt worden sind und in der nicht versucht wurde, manche Beschreibung noch eindrucksvoller als im Original zu gestalten (ein „large white handkerchief“ bleibt einfach ein „großes, weißes Taschentuch“ und mutiert nicht zum „riesigen weißen Taschentuch“). Auch wenn man bei dieser neuen Fassung einige Grammatikfehler hat durchgehen lassen, ist die Initiative durchaus zu begrüßen.

Noch erwähnenswerter ist allerdings die Neuauflage eines anderen Werkes von Greene: Unter dem Titel Verleihe niemals deinen Mann veröffentlicht der Wagenbach Verlag die zwei längsten Erzählungen aus dem Band May we borrow your husband and other comedies of sexual life, der 1967 zum ersten Mal in England erschien und kurz darauf von Walter Puchwein und der „Grande Dame der österreichischen Literatur“ Hilde Spiel ins Deutsche übertragen wurde. In diesem Fall wurde zwar keine Neuübersetzung in Auftrag gegeben, aber mehrere der Fehler, die Marcel Reich-Ranicki in einer Zeit-Rezension des Bandes damals monierte (ganz besonders an den vielen Austriazismen schien er sich zu stören) sind behoben worden. Zum Inhalt erklärte der Literaturkritiker, hier erweise Greene sich als „ausgezeichneter Psychologe“: „mit Skepsis und Ironie, aber ganz ohne Härte oder gar Hochmut“ würde er dem Leser seine Figuren näherbringen. Besonders auf die Titelerzählung trifft dieses Lob zu. Sie wird aus der Perspektive eines erfolgreichen britischen Schriftstellers erzählt, „der das Lebensalter erreicht hat, in dem er nicht mehr verlangt als guten Wein, guten Käse und ein wenig Arbeit“. Als Richard Harris in Antibes zufällig ein britisches Paar auf Hochzeitsreise kennenlernt, gerät sein abgeklärt-hedonistischer Lebensentwurf unerwartet ins Wanken. Anmutig und sanft wie nur selten im Werk von Graham Greene wird das Gefühl des Wiedererwachens vermittelt, das vermutlich jeder Liebe im Anfangsstadium innewohnt. Über die junge Gemahlin schreibt der Ich-Erzähler: „Sie besaß die Fähigkeit, alles neu zu machen: Antibes wurde zu einer Entdeckung, und wir waren die ersten Ausländer die sie machten.“ Mit den großen Gefühlen kommt aber auch der Eintritt in eine Welt aus Lüge, Tarnung und Manipulation, dessen Fäden – anders als im Dritten Mann – nicht Offiziere oder Schwarzhändler, sondern freundliche Feriengäste ziehen. Auch wird die Schlacht hier nicht auf dem Feld der internationalen Politik und Geldmacherei geschlagen: Es geht den Figuren vielmehr darum, ihr privates Glück entgegen der Konventionen der Gesellschaft und der eigenen Mutlosigkeit oder Naivität zu finden und zu behaupten. Wie der Ausklang dieses Kammerspiels (ursprünglich hatte Greene den Plot für ein Theaterstück vorgesehen) zeigt, beruht manch vermeintliche Wende zum Guten auf einem tragischen Missverständnis, und jede noch so schlaue und lebenserfahrene Figur kann sich selbst eine Falle stellen, aus der es kein Entrinnen mehr gibt.

Auch wenn sie nicht denselben Sinn für Understatement aufweist und ihre Komik zum Teil auf einer etwas voraussehbaren Kritik des Phänomens Massentourismus basiert, bietet die Inszenierung von transatlantischen Liebesreigen und Kulturunterschieden in der zweiten Erzählung durchaus unterhaltsame und anregende Momente. Die literarische Qualität des im Text erwähnten Vorbildes Henry James steht zwar in gewisser Ferne, doch hier wie ganz allgemein für die zwei besprochenen Neuerscheinungen gilt ohne Zweifel die leicht verwandelte Aussage einer der Hauptfiguren: Neben gutem Wein, gutem Käse und ein wenig Arbeit können auch die Geschichten von Graham Greene den Alltag etwas lebenswerter machen.

Titelbild

Graham Greene: Der dritte Mann. Roman.
Mit einem Nachwort von Hanns Zischler.
Übersetzt aus dem Englischen von Nikolaus Stingl.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2016.
159 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783552057678

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Graham Greene: Verleihe niemals deinen Mann.
Übersetzt aus dem Englischen von Walther Puchwein und Hilde Spiel.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2016.
104 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783803113160

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch