Alles, was man haben kann

Anke Heimberg hat Lili Grüns Roman „Junge Bürokraft übernimmt auch andere Arbeit…“ neu herausgegeben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wieder einmal hat sich Anke Heimberg um Lili Grün und ihr Werk verdient gemacht. Nach den Romanen Zum Theater! und Alles ist Jazz sowie dem Gedicht- und Geschichtenband Mädchenhimmel! hat sie mit Junge Bürokraft übernimmt auch andere Arbeit… wiederum einen Roman der Schriftstellerin neu herausgebracht und auch ihn mit einem wie immer kenntnisreichen Nachwort versehen. Da er bislang nur als Fortsetzungsroman in der Tageszeitung „Der Wiener Tag“ in den Jahren 1936/1937 erschienen war, ist die Edition umso begrüßenswerter.

Es hätte damals vermutlich keinen passenderen Publikationsort geben können, spielt sich das Geschehen des Romans doch von der ersten bis zur letzten Seite in der Österreichischen Hauptstadt ab. Im Zentrum steht die 1907 geborene Wienerin Susi Orban, deren Lebensweg die auktoriale Erzählinstanz von der Kindheit an bis zum 19. Lebensjahr folgt. Zwar wirft sie auch schon einmal einen Blick in das Herz der einen oder anderen Figur oder verweilt für einen Moment bei der geschwätzigen „Hausbesorgerin“, vor allem aber kennt sie sich in Susis Seelenleben bestens aus. Nur selten einmal mischt sie sich kommentierend in das Geschehen ein und erklärt etwa, dass die Opfer, die man für andere erbringt, ihnen nie so viel bedeuten wie einem selbst. Ansonsten beschränkt sie sich darauf, so unprätentiös zu erzählen wie das Susi selbst wohl auch nicht anders tun würde; einerseits etwas naiv, andererseits leicht melancholisch und doch – oder vielleicht gerade darum – oft genug humoristisch entlarvend. Darin sind Figur und Erzählweise denjenigen der ersten beiden Romane von Irmgard Keun nicht unähnlich, wenngleich Susi Doris‘ hochtrabende Hoffnungen völlig fremd sind und sie nicht einmal im Traum daran denkt, „ein Glanz“ zu werden. Obgleich der Begriff schon einmal – und wie es scheint ganz beiläufig – fällt, wenn es heißt, dass die Tage „ohne Glanz“ vergehen. Er dürfte vielen der zeitgenössischen LeserInnen in den Ohren geklungen haben. Auch lässt sich annehmen, dass Grün selbst Keuns Roman Das kunstseidene Mädchen gelesen und geschätzt haben wird.

Grüns eigenes literarisches Mädchen Susi ist „ein Spätling, mit dem niemand mehr gerechnet hat“, hat zwei weit ältere Geschwister und stammt aus einer wohlsituierten Bürgerfamilie. Eigentlich fehlt dem Kind wenig. In die Schule zu gehen, findet es zwar nicht gerade „schrecklich“, aber doch recht „fad“. Und das ist auf Dauer vielleicht ja auch schrecklich. In diese behütete Kindheit platzt für Susi gänzlich unerwartet der Erste Weltkrieg. Die Männer ziehen Hüte schwenkend aus der Stadt und es herrscht allgemeine Fröhlichkeit. Nur die Mutter weint. Susi versteht weder das eine, noch das andere.

Der Vater, ein mittelständiger Geschäftsmann, bleibt auf dem Schlachtfeld zurück, der ältere Bruder kommt hingegen zwar heim, tut Fragen nach den Kriegserlebnissen jedoch nur mit einem halbstarken und entsprechend dummen Spruch ab – und landet irgendwann im Gefängnis. Durch den Krieg und später die Inflation verarmt die Familie zwar nicht schnell, aber umso gründlicher. Seither lebt Susi mit Mutter und Schwester sowie einem Untermieter in einer kleinen Wohnung, wobei sie und die Mutter sich ein Schlafzimmer teilen müssen. Die große Schwester hat hingegen natürlich ein eigenes. Schon von klein auf kam Susi nicht besonders gut mit ihr zurecht, und nun ist die Ältere zu einem rechten Biest herangewachsen, das auf vornehm tut, mithin also zu „einem scheinheiligen Trampel“, wie Susis Freundin Mitzi treffend meint.

Überhaupt, die Mitzi. Immer ist sie auf der Höhe der Zeit und der Mode. Und ihr Urteil ist „hart und unbestechlich“. So weist sie Susi zurecht, als diese meint, „heutzutag“ könnten die Frauen zwar „über ihr Leben selbst bestimmen“, seien aber auch nicht glücklicher als ihre Mütter. Stattdessen habe ihnen der Versuch, „auf eigene Fasson selig zu werden“, nur „einen Haufen Enttäuschungen“ beschert. Vielleicht aber ist, „auf eigene Fasson unglücklich werden“, auch „schon alles, was man haben kann“. Mitzi hat auch allerlei Weisheiten über die (Männer-)Welt parat. Etwa, dass die Männer nur zur Unterhaltung da sind und man sie ausnutzen muss. Und nicht zuletzt hat Mitzi oft einen guten Rat zur Hand. „Verrenn dich doch nicht in die Idee, daß du nichts kannst“, ermutigt sie Susi einmal. Das Wichtigste von allem aber ist, dass Mitzi immer für Susi da ist. Nicht nur, „weil arme Leutʼ zusammenhalten müssen“, sondern vor allem, weil sie ihre Freundin ist. Kein Wunder also, dass sie für Susi bald wichtiger wird als der einst so sehr vergötterte Bruder – als die ungeliebte Schwester sowieso.

Mit 16, 17 Jahren beginnt Susi langsam, sich von dem „häuslichen Zwang zu emanzipieren“. Eine echte Emanzipation ist das allerdings nicht, denn nun wird ihr Freund Egon „vollständig der Inhalt und das Motto ihres Lebens“. Natürlich dauert es nicht allzu lange und er verlässt sie. Weint die Heranwachsende einmal des Nachts aus Liebeskummer in die Kissen, so hört ihre Mutter, die nun schon „seit vielen, vielen Jahren seufzt“  nichts davon, weil bei aller Enge des Zimmers doch „viel Raum zwischen den beiden“ ist.

„Das Leben ist nichts Besonderes“ findet die jugendliche Susi, erst muss man lernen und später muss man arbeiten. Nach der Schule ist die Heranwachsende mit einer stumpfsinnigen Tätigkeit im Knopfgeschäft ihres Onkels geschlagen, für den sie nebenbei Liebesbriefe austragen muss. Nach Jahren der Demütigung und Vernachlässigung wagt sie ihm gegenüber endlich eine wahre und darum rebellische Rede, die in ihre Kündigung mündet. Sie tritt nun eine Stelle als „Büromädel“ bei einem Rechtsanwalt an, der sie nicht zuletzt auf ein gutes Wort seiner Frau hin einstellt. Bar jeglicher Steno- und Schreibmaschinenkenntnisse ist sie allerdings für die täglich anfallende Arbeit völlig ungeeignet, sodass sie öfter dessen Kinder hütet, als am Schreibtisch zu sitzen.

Erst gegen Ende des Romans reift die einst „kleine Susi“ zu „Susi Urban, deren Leben jetzt beginnen soll“, heran. Wir wünschen gutes Gelingen. Die Möglichkeiten hierfür sind zwar begrenzt, die Hoffnungen aber nicht gänzlich unbegründet, denn es wird „das ernste, gefahrvolle Leben einer alleinstehenden, arbeitenden Frau“ sein. Der Roman endet zwar etwas unvermittelt, dafür nimmt das Leben der nunmehr 19-jährigen Susi Urban seinen Anfang.

Die patriarchalischen Strukturen und die allgegenwärtige Misogynität der Zeit aber sprechen aus jeder Zeile des Romans, sei es nun die mütterliche Bevorzugung des nichtsnutzigen Bruders, die Situation im Geschäft von Susis ehebrecherischem Onkel oder die unglückliche der Rechtsanwaltsgattin. Grün zeigt all das nicht selten fast schon nebenbei und skizziert manchmal ganze Lebensläufe in wenigen Zeilen.

Titelbild

Lili Grün: Junge Bürokraft übernimmt auch andere Arbeit…. Roman.
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Anke Heimberg.
AvivA Verlag, Berlin 2016.
220 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783932338861

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