Eine Mutter-Kind-Geschichte in Zeiten der Katastrophe

Megan Hunters kunstvoller Debütroman „Vom Ende an“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Da ist eine junge Frau, namenlos und hochschwanger. Sie wartet auf ihren Mann, der lediglich R genannt wird. Doch R ist nicht da. Ort dieser an sich schon schwierigen Situation ist London, die Handlung spielt in der Gegenwart. Am 14. Juni, die Frau hat ihren Sohn zur Welt gebracht, bricht die Katastrophe aus. „London. Unbewohnbar.“ Was ist geschehen? „Ein Hochwasser wie noch nie.“ So beginnt der Debütroman der 1984 in Manchester geborenen Autorin Megan Hunter, Vom Ende an. Ein Text, der einerseits eindringlich und beklemmend ist, andererseits artifiziell und lyrisch, eine Art Roman als Langgedicht, durchzogen von religiösen und mythologischen Texten aus aller Welt, die die Autorin gekonnt platziert. Sie verstärkt durch diese Technik ihre eigenen Worte. Nicht, um diesen Halt zu geben, weil sie möglicherweise nicht ausreichen könnten, um das, was gesagt werden soll, angemessen zu artikulieren. Nein, diese zeitlosen wie in Stein gemeißelten allgemeingültigen Sentenzen bringen eine zusätzliche und umfassende Bedeutung in einen in der Gegenwart geschriebenen und in der Gegenwart handelnden Text und entheben ihn dadurch der Gegenwart. Ein erstaunliches Verfahren.

R ist zurück, doch in der Klinik können sie beide nicht länger bleiben. Die Wohnung ist nicht mehr erreichbar, was bleibt, ist die Flucht mit dem Säugling, den sie Z nennen. Die erste Zuflucht dieser vom Unwetter zu Flüchtlingen gemachten Familie, sind Rs Eltern. Doch auch dort ist es nicht sicher, der Tod wird real, der Schrecken hat sie erfasst: „Vor Urzeiten stieg das Meer an, bis es alles Sichtbare verschlang.“ Das ist ein solcher Satz: stimmig in der Aussage, perfekt in der Platzierung. Noch gibt es Strom, ein Auto, Lebensmittel, doch ohne zu viel vorwegzunehmen, weiß man, dass es so nicht bleiben wird. Wer Texte und Filme apokalyptischen Inhalts kennt, weiß, dass die Dramaturgie in diesem Genre kleine Lichtblicke und hoffnungsvolle Intermezzi gegen niederschmetternde Ereignisse und dunkle Momente setzt. So auch hier, obgleich Megan Hunter in ihrem erstaunlichen Buch viel mehr Platz lässt, Platz für Gedanken vor allem. Dadurch, dass Vom Ende an nicht als Fließtext angelegt ist, sondern selten Abschnitte von mehr als fünf Zeilen aufweist, die dann von einer Leerzeile abgelöst werden, auf die wiederum ein weiterer sehr kurzer Absatz oder eines der bereits erwähnten Zitate folgt, ist die Konzentration des Lesers auf den jeweiligen Absatz stärker, als bei einem herkömmlich verfassten Roman. Dieser Stil bewirkt einerseits ein langsames, in Teilen auch rhythmisches Lesen, andererseits hat Megan Hunter ihr Buch so gekonnt durchgearbeitet, dass man diesem Rhythmus und ihrer Sprache durchaus erliegen und den Text somit trotz der scheinbar sperrigen Form flüssig, gebannt und begeistert am Stück durchlesen kann. Dass das in der deutschen Übersetzung möglich ist, ist Karen Nölles großes Verdienst.

Die Flucht, die Unterbringung in immer einfacheren Unterkünften, die dramatischer werdende Versorgungslage, Verluste – all das sind Themen, die weit über den Text hinausweisen, auch wenn Vom Ende an – der Titel hat bei allem Schrecken etwas überraschend Optimistisches – keine politische Klageschrift, kein lyrisches Pamphlet der Ökobewegung, keine Stellungnahme für oder gegen eine politische Haltung ist. Das tragende Element des Buchs ist die völlig neue und vor allem für die Mutter überwältigende Beziehung zu ihrem kleinen Sohn. Dieses Paar erträgt die Entbehrungen und belastenden Umstände, die gegenseitige Liebe gibt beiden immer wieder Kraft. Das letzte der alten Zitate lautet, „Die Erde breitete sich aus und wurde zu Bergen und Feldern, wurde nach und nach zur ganzen Welt.“

Titelbild

Megan Hunter: Vom Ende an.
Übersetzt aus dem Englischen von Karen Nölle.
Verlag C.H.Beck, München 2017.
160 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783406705076

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