Ziemlich queer

Riki Wilchins Einführung in die Gender Theory enttäuscht

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Titel "Gender Theory. Eine Einführung", weckt eine Erwartung, der Riki Wilchins Buch nicht gerecht wird. Im amerikanischen Original lautet er denn auch: "Queer Theory, Gender Theory - An Instant Primar". Das kommt dem Inhalt schon wesentlich näher, trifft die Sache allerdings auch noch nicht so ganz. Denn schließlich darf man aufgrund beider Titel eine Einführung in eine akademische Theorie erwarten, die sich an angehende AkademikerInnen richtet. Das ist jedoch nicht das, was Wilchins zu bieten hat. Tatsächlich geht es ihr vielmehr darum, "einige Ideen der Gender Theory im Allgemeinen und Butler im Besonderen zu übernehmen und sie dann auf den politischen Aktivismus anzuwenden". Ein durchaus begrüßenswertes Vorhaben. Allerdings garantiert dies noch nicht, dass es auch glückt. Und tatsächlich kann davon nicht ohne weiteres die Rede sein.

Auf dem deutschen Buchmarkt ist das Buch schon alleine darum fast eine Fehlbesetzung, weil es sich dezidiert an ein US-amerikanisches Publikum junger queergender-AktivistInnen richtet. Insbesondere der geschichtliche Abriss der US-amerikanischen Bewegungen für Frauen-, Homosexuellen- und Transgenderrechte kann man ohne einschlägige Insiderkenntnisse kaum nachvollziehen, geschweige denn mit Gewinn lesen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Text sich auch schon mal auf das Niveau gender-aktivistischen Agit-Props begibt. So heißt es etwa von Jacques Derrida, eine "[t]iefe Wut auf westliche Denkweisen" habe ihn zu seinen "Angriffe[n] auf die Sprache, Vernunft und Bedeutung" veranlasst; also nicht etwa theoretische Überlegungen, wie bisher gemeinhin angenommen. Sodann müssen sich die Lesenden belehren lassen, dass Derrida "proklamiert" habe, "wir seien in die Ära des 'Postmodernen' eingetreten", was nicht eben von einer gründlichen Lektüre seiner Schriften zeugt. Butler wiederum wird dafür gescholten, dass sie am "postmodernen Zynismus gegenüber der Möglichkeit von Befreiung" festhalte.

Wilchins Schlaglichter auf die Geschichte des 'westlichen' Denkens sind zwar durch eine dezidierte Ablehnung geprägt, nicht jedoch immer durch Kenntnisreichtum. So geißelt sie etwa dessen "transzendent[e]" "monolithische Wahrheiten", zu denen sie "die perfekte Vernunft des Immanuel Kant" zählt. Was sie meint, kann man allerdings nur raten. Bei Kant selbst jedenfalls kommt der Begriff nicht vor. Und dass "endgültige, einzigartige Wahrheiten" in Bezug auf messbare physikalische Probleme "absolut sinnvoll" seien, kann man nur behaupten, wenn man die Entwicklung der theoretischen Physik seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert nicht zur Kenntnis genommen hat. Von wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Reflexionen ganz zu schweigen.

Ähnlich dunkel wie Wilchins Ausführungen zu Kant bleiben diejenigen zu den Geschlechterkategorien. Etwa wenn sie ausführt, es sei ein "Problem", dass "männlich [...] die Bedeutung 'maskulin' zugeschrieben werde" und "weiblich als 'feminin'" gelte. Zwar zückt Wilchins sogleich die Faschismuskeule und erklärt, ein solcher "Bedeutungsfaschismus" sei "eine Art Verbrechen". Nicht aber erklärt sie, wie sie die vier Kategorien fasst und wie sie männlich von maskulin und weiblich von feminin unterschieden wissen will. Wilchins Aussage erscheint jedenfalls nur dann nicht frei von Sinn zu sein, wenn männlich und weiblich als tatsächliche, wesensmäßige oder - um einen Terminus Heideggers zu verwenden - eigentliche Seinsweisen, maskulin und feminin hingegen als Zuschreibungen verstanden werden. Wieso aber männlich und weiblich keine Zuschreibungen sein sollen, sollte jemand, die sich auf die Theorien Butlers stützt und weiß, dass Geschlecht ein "System von Bedeutungen und Symbolen" ist, schon erläutern.

Natürlich ist es legitim und kann sogar verdienstvoll sein, schwierig und komplexe Zusammenhänge und Theorien einem breiten, (oder wie in diesem Fall einem nicht-akademischen Szene-)Publikum zugänglich machen zu wollen. Allerdings sollte man dabei Verballhornungen möglichst vermeiden, und zwar sowohl von Theorien, die man angreift, als auch derjenigen, denen man anhängt. Einführungen zur Gender Theorie gibt es auf dem deutschsprachigen Markt in zwischen eine ganze Reihe. Fast sämtliche sind eher zu empfehlen als die vorliegende. Und sucht man eine Einführung zur Queer Theory, so ist man mit der im gleichen Verlag erschienen Einführung von Annemarie Jagose ungleich besser bedient.


Titelbild

Riki Wilchins: Gender Theory. Eine Einführung.
Übersetzt aus dem Englischen von Julia Roth.
Querverlag, Berlin 2006.
187 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3896561308

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch