Immer nah an den Dingen und den Gefühlen

Abschiedsgedichte von Robert Creeley: "Alles, was es für immer bedeutet"

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Goodbye"

Now I recognize
it was always me
like a camera
set to expose

itself to a picture
or a pipe
through which the water might run

or a chicken
dead for dinner
or a plan
inside the head

of a dead man.
Nothing so wrong
when one considered
how it all began.

It was Zukovsky's
Born very young into a world
already very old...

The century was well along

when I came in
and now that it's ending,
I realize it won't
be long.

But couldn't it all have been
a little nicer,
as my mother'd say. Did it
have to kill everything in sight,

did right always have to be so wrong?
I know this body is impatient.
I know I constitute only a meager voice and mind.
Yet I loved, I love.

I want no sentimentality.
I want no more than home.

Abschied nimmt hier Robert Creeley, einer der wichtigsten Dichter der englischen Sprache. Als sehr junger Mann lernte er nach dem Krieg Rainer M. Gerhardt kennen, einen ebenso jungen Dichter und Verleger in Karlsruhe, und Charles Olson, einen etwas älteren Dichter und Rektor des berühmten Black Mountain College. Von beiden lernte Creeley und lehrte sie etwas und schuf, fast von Anfang an, seine eigene Kunst. Er vereinfachte den Vers, wie Pound in seinen Anfangsjahren, er brach mit den Konventionen und hörte auf sich, auf seinen Atem, der ihm der Maßstab für den Rhythmus seiner Lyrik war.

1926 in Arlington geboren, starb Robert Creeley 2005 in Texas. In einer schön gestalteten Ausgabe von Gedichten kann jetzt auch der deutsche Leser noch einmal Abschied von ihm nehmen. Es ist eine Auswahl aus seinen hochgelobten und mit dem Bollingen Prize ausgezeichneten Bänden "Life & Death" (1998) und "If I were writing this" (2003). Es sind Gedichte, die von einem ältergewordenen Ich sprechen, von einem aufmerksamen, dialogfreudigen Ich, das neugierig in die Welt sieht und die Einzelheiten registriert und mit ihnen in einen inneren Dialog tritt. Wie in "Place to be":

Days the weather sits
in the endless sky,
the clouds drifting by.

The winter's snow,
summer's heat,
same street.

Nothing changes
but the faces, the people,
all the things they do

'spite of heaven and hell
or city hall -
Nothing's wiser than a moment.

No one's chance
is simply changed by wishing,
right or wrong.

What you do is how you get along.
What you did is all it ever means.

"Nicht ist weiser als ein Moment" - und nichts ist schöner als ein Gegenstand, der im Inneren eines Menschen eine Antwort bekommt. Stets hat Creeley die einfachen Dinge gepriesen, getreu W. C. Williams' Motto "No ideas but in things". Er erzählt von Dingen, an die er sich erinnert, und vergleicht sie mit heute, melancholisch spricht er von "Penelope's sicial / suitors, whom I envy, envy" und seufzt: "Age. Age." Seine "toes broken, skin / wrinkling up": So entwickelt sich ein Mensch, bis zum Alter, bis er stirbt. Aber er weiß auch: "There is no irony, no patience."

Auch wenn Creeley den langen, rhythmischen Vers beherrschte, in dem er schöne, langatmende Geschichten erzählte, man erkennt ihn vor allem in seinen kurzen, knappen und lakonischen Beobachtungsreflexionen wieder:

You thought
you were
writing
about
what you felt

You've left it out
Your love
Your life
Your home

your wife
You've
left her
out

Sein letzter Gedichtband ist voller Erinnerungen an:

distances, odors,
how far from the one
to the other, stalls

for the cows,
the hummocks one jumped to,
the lawn's webs

So lässt er sein ganzes Leben in atmosphärisch aufgeladenen Bruchstücken an sich vorbeilaufen, vor seinem geistigen Auge, das vor allem ein Sensorium für Stimmungen und Gefühle ist, für Gedankenblitze und Seelenlagen. Immer, auch bei seinen Erinnerungen an Reisen, an gefährliche Situationen, an seine Kindheit, bleibt Creeley konkret, bleibt ganz nah bei den Dingen. Er beschreibt Situationen, für die manchmal nur ein oder zwei Zeilen braucht, und bleibt damit auch ganz nah bei sich und lässt dem Leser Zeit und Raum, sich an den Stimmungen und Gefühlen zu beteiligen, mit eigenen Gefühlen, mit eigenen Gedanken, mit eigenen Erinnerungen. Creeleys Gedichte sind immer eine Dialogkunst gewesen, zwischen Gedicht und Leser.

Und so wird der Abschied von Robert Creeley und seiner Gedichtkunst nicht ohne Sentimentalität sein und nicht ohne eine Träne im Auge, eine Freudenträne, dass man diese Gedichte entdecken und an ihnen teilhaben durfte (auch wenn das jetzt ein wenig pathetisch klingt).

Wie froh kann man darüber hinaus sein, wenn es dann auch noch Verlage gibt, die Gedichte zweisprachig abdrucken. Gedichte zu übersetzen ist viel schwieriger als Prosa. So komprimiert, so differenziert, so dehydriert ist jede Zeile, noch dazu in einem eigenen Rhythmus, dass man das eigentlich gar nicht übersetzen kann. Kann man nicht. (Gepriesen sind die, die es dennoch können. Es gibt sie. Aber sie machen eben etwas Eigenes daraus, eigener als die Prosaübersetzer.) Da Creeleys Gedichte einfach und leichtverständlich sind, werden sie hier im Original wiedergegeben. Ohne dass ich damit den Übersetzer Mirko Bonné kritisieren möchte, der seine Sache ganz ausgezeichnet gemacht hat.


Titelbild

Robert Creeley: Alles, was es für immer bedeutet. Gedichte.
Übersetzt aus dem Amerikanischen und mit einem Nachwort von Mirko Bonné.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2006.
134 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3902497149

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