Psychologisch nicht immer einsichtig

Berbeli Wannings "Friedrich Schlegel zur Einführung"

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Brüche und Widersprüche kennzeichnen Friedrich Schlegels Leben und Werk. Zuerst ein überzeugter Protestant, bekannte er sich später uneingeschränkt zum katholischen Glauben. Von seiner Herkunft war er ein politisch Wertkonservativer, dann entwickelte er sich zu einem Verteidiger der republikanischen Verfassung mit heimlichem Hang zur Anarchie. Er wurde zu einem Verfechter bürgerlicher Emanzipationsideen. Doch 1809 wurde er Hofsekretär bei der Wiener Armeekommission, machte sogar als Beamter Metternichs Karriere und vertrat in seinem letzten Lebensabschnitt erzkatholische Positionen. Größere Gegensätze, meint Berbeli Wanning, seien sicherlich kaum denkbar. Zuerst sei der wichtigste Theoretiker der Frühromantik seinem Zeitalter weit voraus, später sei er rückwärtsgewandt gewesen. Auch sein Gesamtwerk ist von heterogener Struktur.

Berbeli Wanning erzählt, wie sehr Erfolge und Enttäuschungen Schlegels Leben (er wurde 1772 in Hannover geboren und starb 1829 in Dresden) geprägt haben. Häufig habe er, ohnehin von labilem Charakter, an Depressionen gelitten. Die Autorin beschreibt die Rastlosigkeit seines Denkens und seine zahlreichen Betätigungsfelder. Sie zeichnet ihn als facettenreiche Persönlichkeit und rückt ihn vor allem als Dichter, Ästhetiker, kritischen Philosophen, geschichtsbewussten Polittheoretiker und überzeugten Anhänger des Idealismus ins Blickfeld.

Schlegel habe, betont sie, eine neue Form der Literaturkritik entwickelt und literarische Formen entdeckt, die aufgrund ihrer Modernität über seine Zeit hinausreichen. Insbesondere mit seinem damals skandalträchtigen Roman "Lucinde", in dem er ein romantisches Liebes- und Eheideal entwirft, habe er wichtige Anstöße für den modernen Roman bis hin zu Thomas Mann und Robert Musil gegeben. Dabei sei es ihm in erster Linie darum gegangen, den Gegensatz von Kunst und Leben zu überwinden. Nach 1800 allerdings distanzierte er sich von der in "Lucinde" verwirklichten Ästhetik.

Mit der Publikation seiner Vorlesungsreihe "Philosophie des Leben" im Januar 1828 trat Schlegel erstmals explizit als Philosoph an die Öffentlichkeit. Bis dahin kannten ihn seine Zeitgenossen in erster Linie als Literaturkritiker oder als skandalumwitterten Dichter. Wenige Wochen vor seinem Tod im Dezember 1828 hielt er in Dresden seine letzte Vorlesungsreihe "Philosophie der Sprache und des Wortes".

Berbele Wanning ist bemüht, Schlegels Denken durch alle Widersprüche und vorgeblichen Ungereimtheiten hindurch als innere Einheit dazustellen und betont wiederholt, dass sein Leben durch Kontinuität im Wandel geprägt gewesen sei. Im Umgang mit anderen Menschen sei er wohl kompromisslos gewesen, doch sei er sich selbst stets treu geblieben. Gründlich und gewissenhaft verfolgt die Verfasserin die einzelnen Stationen in Schlegels Leben, geht, oft anhand von Zitaten, auf seine geschichtsphilosophischen, politischen und anderen Schriften ein. Zwischendurch wirft sie einen Blick auf seinen Freundeskreis und seine Liebesbeziehungen sowie auf die gesellschaftlich-politischen Umstände seiner Zeit. Aber sonderlich aufregend oder gar mitreißend liest sich diese Biografie nicht. Innerlich unbeteiligt und unberührt von Lebensweg und Werk Friedrich Schlegels legt man nach Ende der Lektüre das Buch wieder aus der Hand. Es macht zwar Schlegels vielseitigen Wandel sichtbar, erscheint aber psychologisch nicht immer einsichtig.

Kein Bild

Berbeli Wanning: Friedrich Schlegel zur Einführung.
Junius Verlag, Hamburg 1999.
184 Seiten, 12,70 EUR.
ISBN-10: 3885063069

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch