Ungesühnte Gewaltspiele

Pete Dexter lässt seine Helden Golf spielen und Leute umbringen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Grunde genommen hat dieses Buch den falschen Titel. Denn nicht Train, der junge schwarze Caddy, der im Los Angeles des Jahres 1953 in einen Mordfall verwickelt wird, steht in seinem Zentrum. Es ist eigentlich sein Gegenüber Miller Packard, der im Titel auftauchen sollte. Denn Packards Unvermögen, Risiken wirklich angemessen einzuschätzen, treibt die Handlung immer weiter voran und ihrem einigermaßen verhängnisvollen Ende zu.

Packard ist ein Spieler, und sein Einsatz ist er selber. Und nichts scheint ihn mehr zu amüsieren, als wenn er zu hoch setzt und sein riskantes Spiel gründlich daneben geht. Allerdings spielt er keine Karten und selbst die Wettspiele, die er mit dem hochtalentierten Train organisiert, sind nicht das eigentliche Spiel. Das Leben selbst ist das Spiel, und Packard spielt mit Gewalt und damit, dass sie angedroht und eingesetzt wird.

Das geht am Anfang schief, in einer vorangestellten Szene aus dem Jahr 1948. Hier lacht er noch. Und es geht am Ende schief. Dann aber lacht er nicht mehr. Er hat endgütig überreizt, das Spiel gleitet ihm aus den Händen. Er hat, wie er sich eingestehen muss, nichts mehr im Griff. Das bringt ihn nicht um - wie es ja uns alle nicht umbringt, dass wir eigentlich unser Leben nicht im Griff haben. Aber der gesamte Lebensentwurf Packards, dem er seit dem Krieg folgt, ist dahin. Und das ist vielleicht auch gut so. Denn die Unberührtheit Packards hat etwas Unwirkliches an sich, ist offensichtlich nicht wirklich normal. Insofern ist das Ende des Romans auch Packards Exit in die Normalität. In der haben Menschen Angst davor, verprügelt zu werden, scheuen Risiken, sind nervös, wenn es drauf ankommt, und verlieren deswegen auch schon mal.

Aber erzählen wir von vorne: Das Ganze beginnt auf einem der exklusivsten Golfclubs von Los Angeles, auf dem sich Packard und der jugendliche Caddy Train das erste Mal begegnen. Dass Train ein ungewöhnlicher Junge ist, scheint Packard schnell zu verstehen. Und so vertraut er ihm einige hundert Dollar an, mit dem Auftrag, es der Frau eines Caddy-Kollegen zu geben, der auf dem Platz stirbt. Natürlich wird das Geld Train abgenommen, und zwar von Sweet, der die Caddys auf dem Platz einteilt. Das aber ist nur der Auftakt zu einer Gewaltorgie, in der die einzelnen Ereignisse denkwürdig unverbunden nebeneinander stehen.

Sweet überfällt mit einem Kumpan eine Yacht, tötet den Besitzer und den Bordtechniker, vergewaltigt und verstümmelt die Frau des Eigentümers. Die Frau flieht. Packard stellt die beiden, tötet sie und heiratet das Opfer, Norah. Train wird mit den anderen Caddys verhaftet, kann aber fliehen, als man ihn zum Tatgenossen machen will. Aus der Flucht aber wird nach und nach nur die Variante eines Jobwechsels, denn natürlich werden alle Caddys, die Sweet gekannt haben, entlassen. Irgendwann trifft Packard Train wieder und entdeckt, dass der Junge ein ungemein talentierter Golfer ist. Er bildet ihn weiter aus und arrangiert Wettspiele, die sich schließlich um Schwindel erregende Summen drehen. Am Ende des Ganzen aber schießt Packards Frau auf ihn und verletzt ihn schwer. Aber er stirbt daran nicht.

Dabei hätte er es, nach landläufiger Moral, mehr als verdient. Denn die Morde an den beiden Schwarzen, deren Gewalttätigkeit unbezweifelt ist, bleiben ungesühnt. Es gibt nicht einmal die Drohung einer Aufklärung. Die Recherchen, die der Herausgeber einer Zeitung für Farbige beginnt, werden nahezu beiläufig behandelt. Auch bleibt offen, weshalb Norahs Name im Notizbuch Sweets stand, in dem angeblich alle Frauen stehen, mit denen er etwas gehabt hat. Auch Train ist eigentlich fällig, erschlägt er doch auf seiner Flucht den Freund seiner Mutter. Es scheint niemanden zu interessieren. Train lebt einfach weiter, sucht einen neuen Job, findet ihn, bleibt solange es geht, und spielt Golf, als ihn Packard dazu animiert.

Und er spielt es so gut, dass Packard damit eine Menge Geld verdienen kann. Als er einen lokalen Gangster und Schläger besiegt, und das vernichtend, schützt ihn sein Freund Plural, ein blinder Schwarzer, der offensichtlich nicht ganz bei sich ist, aber immer noch in der Lage einen guten Punch zu landen oder einen treffenden Satz zu sagen, wenn es geboten ist.

Insgesamt ist Dexters Ensemble also von merkwürdiger Qualität. Wie auch der Text selber interessant gemacht ist: Dexter löst seine Erzählung in einzelne, knapp erzählte Szenen auf, die dieselbe Gelassenheit ausstrahlen, die auch Packard und Train eigen ist. Genau und auf den Punkt erzählt, fallen die Handlungslücken überhaupt nicht auf, während das moralische Defizit immer mächtiger wird, ohne dass irgendetwas darauf folgen würde. Die Schreibweise lässt sich vielleicht damit erklären, dass Dexter auch Drehbücher schreibt. Die merkwürdige Antimoral aber widerspricht der durchgängigen Hollywoodmoral. Auch das lässt sich vielleicht mit einem Seitenblick aufs Golfen erklären: Denn entgegen dem Selbstbild, das Golfer gerne von sich und ihrem Sport zeichnen, schult dieser Sport nicht den Charakter, sondern verführt nur zu Eigensucht, Überheblichkeit und Geldgier. In der Welt dieser Reichen werden Verbrechen nicht verfolgt, solange sie nicht mit Verarmung einhergehen, scheint es. Packard und Train jedenfalls gehören dort nicht hin, auch wenn sie von der auf dem Platz herrschenden Amoralität zu profitieren scheinen.

Gerade aber diese losen Enden, die Widersprüchlichkeit von Gelassenheit und Handlungsdruck, die Verstöße gegen das eherne Gesetz von der notwendigen Bestrafung der Bösen macht die Qualität von Pete Dexters Roman aus. Wir schauen immerhin gern dabei zu, wie die Welt vor die Hunde geht. Golfer aber werden das Buch hassen. Selber schuld.


Titelbild

Pete Dexter: Train. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Jürgen Bürger.
Liebeskind Verlagsbuchhandlung, München 2006.
400 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-10: 3935890389

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch