Literatur- und Kulturwissenschaft kompakt

Ein Arbeitsbuch zur literaturwissenschaftlichen Kulturwissenschaft von Franziska Schößler und ein Literaturwissenschaftliches Lexikon schließen unbemerkte Lücken

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kulturwissenschaft ist ein in den letzten Jahren gern gebrauchter Begriff. Er tritt - ähnlich wie der Terminus Kultur - in nahezu jedem Kontext auf. Dies mag in manchem Zusammenhang sinnvoll sein - im vorliegenden Fall ist die Kombination von Kulturwissenschaft und Literaturwissenschaft über die Sinnhaftigkeit hinaus noch eine theoriekonstituierende Begrifflichkeit. Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft zu betreiben, bedeutet in der gegenwärtigen Wissenschaftslandschaft, sich in ein Spannungsfeld von Methodenstreitigkeiten zu begeben. Einerseits werden so "sinnige Diskurse" wie die Verwendung des Begriffes Kulturwissenschaft(en) im Singular oder Plural diskutiert. Andererseits versucht man kulturwissenschaftliche "Nebendisziplinen" wie die Anthropologie oder die Archäologie in eine aktuelle Literaturwissenschaft zu integrieren bzw. die dort verwendeten Methoden für die Literaturwissenschaft zu nutzen. Schößler formuliert die Intention und Aufgabe des Buchs in der Vorbemerkung: "Der vorliegende Band möchte an die Tendenz anschließen, kulturwissenschaftliche Positionen in die Fächer zu integrieren und das methodologische Potential der kulturwissenschaftlichen Theoreme für die literaturwissenschaftliche Analyse auszuloten."

Der Band besteht aus zwei größeren Abschnitten, von dem der erstere sich mit den "Historischen Kulturtheorien" beschäftigt. Der zweite Teil setzt sich mit den "Aktuellen Debatten" auseinander. Dabei findet man im ersten Teil alles, was irgendwie relevant erscheint: die Positionen der kulturwissenschaftlichen Vorläufer um 1900 werden mit Heinrich Rickert, Georg Simmel, Ernst Cassirer, Max Weber und Sigmund Freud vorgestellt, eine dezidierte Analyse der Cultural Studies am Birmingham Centre for Contemporary Cultural Studies folgt und den Abschluss der historischen Positionen bildet das Dreigestirn Foucault, Bourdieu und Luhmann.

Im zweiten Teil, der die aktuellen Positionen der Kulturwissenschaft rekapituliert, sind die die jeweiligen Vertreter subsummierenden Abschnitte "New Historicism und die Poetik der Geschichte", "Gender Studies", "Postcolonial Studies", "Ethnologie, Anthropologie und literarische Anthropologie" und abschließend die "Erinnerungstheorien". Ob man den Band nun als durchgängige Lektüre oder als Nachschlagwerk nutzt, sich über Judith Butler, die "Poetik der Geschichte" bei Hayden White oder über Clifford Geertz informiert - immer trifft die Verfasserin den Kern der Theorien und schafft es oft in anschaulichen Formulierungen komplexe, im Original manchmal nahezu inkommensurable Theoriekonstrukte dem Leser transparent näher zu bringen.

Will man sich über aktuelle Diskussionen in der Literaturwissenschaft, über das Verhältnis von Literatur- zu Kulturwissenschaft oder über einzelne Aspekte der Kulturwissenschaften informieren, ist der Band von Schößler erste Wahl - ein Handbuch, das eine bisher unbemerkte Lücke füllt - so mag man Literaturwissenschaft gerne lesen.

Ähnlich verhält es sich mit der aktualisierten und auf den neuesten Stand gebrachten zweiten Auflage des literaturwissenschaftlichen Nachschlagwerkes von Brunner und Moritz. Schon die erste Auflage orientierte sich vor allem an den neuen Entwicklungen des Faches. Die feministische Literaturwissenschaft fand ebenso Berücksichtigung wie die Begriffe Dekonstruktion und Postmoderne und man ging schon dort auf kulturwissenschaftliche Konzepte und Begrifflichkeiten ein. Mit der aktualisierten Auflage liegt jetzt eine Überarbeitung in Hinblick auf die Veränderungen im Fach und vor allem hinsichtlich der Aktualisierung von Bibliografien und Begriffen vor. Beibehalten hat man das Prinzip der Begrenzung der Stichworte auf ca. 150 Termini, orientiert an den "großen" Theorie- und Epochenbegriffen. Erweitert wurde die Auswahl der Lemmata um "Allegorie", "Kulturwissenschaften", "Märe" und "Musiktheater". Zusammenfassend ein gutes Handbuch für die klassischen Studiengänge und für eine grundlegende Orientierung über die Fachbegriffe der Literaturwissenschaft. Sollte man sich allerdings über den Begriff der "Kulturwissenschaft" informieren wollen, greife man doch besser zu dem Band von Schößler.


Titelbild

Franziska Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft.
UTB für Wissenschaft, Stuttgart 2006.
275 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3825227650

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Titelbild

Horst Brunner / Rainer Moritz (Hg.): Literaturwissenschaftliches Lexikon. Grundbegriffe der Germanistik. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2006.
440 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-10: 3503079823

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