Noble Individualität

Der Briefwechsel zwischen Hermann Hesse und Stefan Zweig

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein schöner Briefwechsel. Er beginnt im Jahre 1903 als der 26jährige Hermann Hesse dem vier Jahre jüngeren "hochgeschätzten Herrn" Stefan Zweig schreibt: "Erschrecken Sie nicht, wenn ich Sie so plötzlich mit einem Gruß und einer Bitte überfalle!" Er schickt ihm beiliegend einen Gedichtband und erbittet "falls irgend etwas an dem Büchlein Ihr Gefallen findet" als "Gegengruß Ihr Verlaine-Buch". Als hätte er nur auf diese Gelegenheit gewartet, antwortet ihm daraufhin Zweig: "Ich habe seit langem schon die Absicht gehabt, mich an Sie um ihr Buch zu wenden." Mehr noch: "ich glaube auch, daß wir, die wir seelische Ähnlichkeiten in uns führen, einander nicht fremd bleiben dürfen."

Das forsch anmutende Freundschaftsangebot des Jüngeren gründet in einer Empfindung, die Hesses Gedichte, zu diesem Zeitpunkt noch kaum jemandem bekannt, bei ihm auslösen. Das Gefühl einer euphorisch durch Literatur hervorgerufenen Verbundenheit - nicht untypisch für die jugendlich-seelischen Empfindungen jener Zeit am Ausgang des 19. Jahrhunderts - überträgt sich auch auf Hesse. Zwar gibt dieser noch zu bedenken, zu "literarischen Briefwechseln bin ich gar nicht veranlagt", aber "schließlich wollen wir einander ja auch nicht heiraten!" Binnen dreier Briefe im Januar/Februar 1903 ist der Freundschaftspakt geschlossen. Und er hält 35 Jahre. Den letzten Satz des Briefwechsels schreibt Hesse am 27.7.1938: "Die Bitterkeit durchdringt einen oft wie Wasser den Schwamm. Herzlich grüßt Ihr H. Hesse" Vier Jahre später nahm Zweig sich in Brasilien das Leben. Hesse starb 1962.

Das Motiv, das den Beginn des Briefwechsels möglich machte, durchzieht ihn bis zum Ende: das Gefühl der inneren Verbundenheit, die das Resultat einer zunächst aus romantischem Künstlergeist geborenen, später einer gewissen zivilisationskritischen Haltung verbundenen Vereinzelung ist. Während sich diese bei Hesse in einer bewussten der Einsiedelei nahekommenden Lebensweise niederschlägt, ist sie bei dem vielreisenden Zweig eher eine Form der ablehnenden Einstellung gegenüber den alltäglichen Zumutungen einer zur Oberflächlichkeit tendierenden Öffentlichkeit. Das meinte aber keine Abkehr von politischen Herausforderungen.

"Ich hasse die Politik", schrieb Zweig am 12. August 1918, "aber wir müssen jetzt dem dienen, das über ihr ist, der Erhaltung des Lebens." Der Krieg hatte diese Wegweisung nötig gemacht. Und wieder erkannte Zweig in Hesse den Geistesverbündeten. Der hatte bereits im November 1914 gegen die falsche Euphorie der Kriegsbegeisterung mit einem öffentlichen Aufruf "Oh Freunde, nicht diese Töne!" gemahnt. Das brachte ihm Anfeindungen vieler Literaten und Intellektueller ein. Aber auch Klarheit: "Was ich an wirklichen Freunden habe, steht nun fester zu mir, und die anderen bin ich gerne los" schrieb er im November 1915. Zu diesen Freunden gehörte Zweig und der mittlerweile mit beiden befreundete Romain Rolland.

20 Jahre später verlangten die Zeitumstände Positionierungen. Hesse formulierte den Anspruch: "Irgendwo müssen ja doch ein paar Existenzen übrig bleiben, welche in dünnen Fäden gewisse Traditionen weiter leiten... solche alte und ehrwürdige Traditionen wie die der intellektuellen Redlichkeit usw. Vor allem rechne ich zu den Traditionen, deren Schutz uns obliegt, den Sinn für die Qualität und das Sichnichtbeugen vor der Quantität." Die Nazis hatten viele Schriftsteller ins Exil getrieben. Wie Stefan Zweig, aber auch Thomas Mann, hatte Hesse sich zunächst einer eindeutigen Parteinahme für das Exil und damit aus ihrer Sicht auch gegen ihre deutschen Verleger verweigert. Von "Verrat an der Emigration" war seitens vieler Exilanten die Rede. Erst als die Nazis ihrerseits diese Haltung gegen das Exil zu vereinnahmen drohten, war Klarheit geboten.

Zweig hatte bereits 1934 Konsequenzen gezogen. Nach einer Hausdurchsuchung durch österreichische Nazis gab er sein Salzburger Haus auf und begann ein unstetes "Studentenleben", wie er in Briefen an Freunden seine erzwungene Lebensweise verzweifelt optimistisch beschrieb. Zunehmend widmeten sich nun beide, je nach ihren Möglichkeiten, der Hilfe für notleidende Emigranten. Im Juli 1938 hatte Zweig geschrieben: "Das Traurigste, lieber Hermann Hesse, ist, daß der ständige Umgang mit Verzweifelten und Aussichtslosen einen selbst so schwach macht, und dabei sind das doch nur die ersten Wellen einer ungeheuren Flut, die uns umreißt." Darauf hatte Hesse am 27. Juli geantwortet, nicht ahnend, dass die "Bitterkeit", von der er spricht, seinem Freund schließlich noch das Leben kosten sollte.

Bis heute wird das Werk Hesses sowie auch Zweigs, darauf weist der Herausgeber Volker Michels in seinem Nachwort hin, zuweilen geringschätzig betrachtet. Man lobt die literarische Könnerschaft der Autoren, und beschränkt sie doch zugleich auf die schöne Form. Was derart zum Ausdruck komme, sei "Humanitätskitsch", wie Sartre über das Werk von Saint-Exupéry urteilte, bestenfalls "Lebenshilfe". Wer aber diese Briefe liest und nachempfindet, wie die ästhetischen Überzeugungen mit einem tief empfundenen Humanismus einhergehen, aus dem das jeweilige Werk entsteht, wird die Geringschätzung als arrogante Fehleinschätzung erkennen können und umso mehr Freude und Genuss an der schönen Sprachmelodie dieser Briefe finden.


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Hermann Hesse / Stefan Zweig: Briefwechsel.
Herausgegeben von Volker Michels.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
207 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-10: 3518224077

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