"Er war ein Verlorener"

Géza von Cziffra erinnert sich an Joseph Roth

Von Achim KüpperRSS-Newsfeed neuer Artikel von Achim Küpper

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war". Dieser Satz Heinrich von Kleists bildet den Auftakt zu den Joseph Roth-Memoiren Géza von Cziffras, die in einer ersten Fassung bereits 1979 erschienenen sind und nach mehreren Neuausgaben nun schließlich in einer Edition des Berliner Berenberg Verlages (2006) vorliegen. Den Satz Kleists habe Roth selbst angeführt, so berichtet Cziffra, er habe ihn 1928 als Inschrift für seinen eigenen Grabstein vorgeschlagen. Als dann aber elf Jahre später auf einem kleinen Pariser Friedhof tatsächlich ein Grabstein für Joseph Roth, der sich buchstäblich zu Tode getrunken hat, errichtet werden muss, stehen darauf allein die kargen Worte: "Joseph Roth, Poète Autrichien, 2.9.1894-27.5.1939". Der Grabstein wird im Grunde zum Inbild des gesamten Lebens Joseph Roths, eines Lebens, das stets zwischen den Fronten einzelner Sinngemeinschaften und jenseits eindeutiger Zugehörigkeiten stand, ein Leben ohne Halt, ohne eigentliche Identität: "Ein häßlicher grauer Klotz, ohne Symbol irgendeiner Religionszugehörigkeit. Kein Kreuz, kein Davidstern", so schildert Cziffra jenen Grabstein Roths.

Géza von Cziffra (1900-1985), ungarischer Regisseur und Autor, hatte seinerzeit in den Kaffeehäusern Freundschaft mit Roth geschlossen. In seinen "Erinnerungen" nun versucht er jedoch gar nicht erst, eine allumfassende, detailgenaue Biografie des Dichters zu liefern, sondern lediglich seine persönlichen Erfahrungen und Begegnungen mit Roth wiederzugeben: "Ich möchte nicht seine Lebensgeschichte schreiben, sondern mich nur an ihn erinnern, so, wie ich ihn gekannt habe, mit seinen Fehlern, Verirrungen und wechselnden Weltanschauungen". Gewiss, was hierbei entsteht, kann sicher nicht als wissenschaftliche Arbeit verstanden werden, schließlich betont der Autor selbst auch nachdrücklich, dass seine Erinnerungen sich "aus einem ganz privaten Blickwinkel" entwickelten. Doch gerade darin besteht letzten Endes der besondere Reiz der Darstellung: Hier werden in einem leichten und unterhaltsamen Ton unterschiedliche und oft zufällige Stationen der Begegnung mit Joseph Roth geschildert. Es ist nicht die Geschichte seines Lebens, es sind Geschichten seines Lebens, erzählt von einem, der ihm nahe stand.

Dabei entsteht ein Porträt von Roth, das ihn als äußerst schwierigen und widersprüchlichen Zeitgenossen zeigt. Zugleich erscheint er aber in Cziffras Darstellung als ein Mensch, der den Fortgang der Welt stets unerbittlich klar gesehen hat, ein fast mystisch umwitterter Prophet. "Als ich zum erstenmal ihm gegenüberstand", so berichtet Cziffra, "wußte ich nichts von ihm; ich wußte nicht, wer er war, und bei seinem Tode" - so heißt es weiter - "ahnte ich es nur". Roth erscheint hier von den ersten Begegnungen an als "ein Mann der Gegensätze, voll von inneren Spannungen und Schwankungen". Immer wieder ertappt Cziffra ihn dabei, wie er sein eigenes Leben und seine Vergangenheit offensichtlich umdichtet: In den Erzählungen über seine Kindheit, sein Elternhaus, seine Militärzeit, seine Frau, - überall erfindet Roth sich ein anderes Leben. So stellt Cziffra etwa bei Roths lebhaften Berichten über die Kriegsschlachten fest: "Ich wußte, daß er nie an der vordersten Front war, und er wußte, daß ich es wußte - aber es machte ihm Spaß, seine Mitmenschen zu verblüffen, das schillernde Chamäleon zu spielen. So schätzte ich ihn wenigstens ein, bis ich darauf kam, daß das kein Spiel war, daß er mehrere Persönlichkeiten in sich barg, daß er ein Zerrissener war." Über Roths Gesinnung schreibt Cziffra schließlich: "Er war Antikommunist. Aber er war auch Antifaschist, Antizionist, er war gegen die bürgerlichen Parteien, gegen die Bürokraten, gegen seine Feinde, gegen seine Freunde, und vor allem gegen sich selbst." "Er war ein Verlorener", so lautet hier das Lebensfazit.

Cziffras "Der heilige Trinker" - der Titel ist an Roths letzte Erzählung "Die Legende vom Heiligen Trinker" angelehnt - berichtet aber nicht allein von Begegnungen mit Joseph Roth, sondern sie kreuzt im Fortgang zugleich auch die Lebenswege zahlreicher bekannter und teils auch nicht so bekannter Personen aus dem weiteren Umkreis: Egon Erwin Kisch, Heinrich Mann, Ben Huebsch, Stefan Zweig, Irmgard Keun, Ödön von Horvath, Paul Gordon und viele andere tauchen in Cziffras Roth-Erinnerungen auf, sodass die Darstellung in Ansätzen zugleich auch eine kleine Skizze bestimmter Künstler- und Intellektuellenkreise jener Zeit entwirft und kurze Einblicke in deren persönliche Begegnungen und Verbindungen gewährt.

Als Einstieg in den Band ist dem Text Cziffras ein Vorwort von Marcel Reich-Ranicki vorangestellt. Illustriert wird die Darstellung durch etliche großformatige, zum Teil farbige Abbildungen, abgerundet durch einige Angaben zum Autor und ein Nachwort, in dem dieser sich bemüht, sein, wie er erschrocken feststellt, womöglich "allzu negatives Bild" von Joseph Roth durch Hervorhebung seiner positiven Eigenschaften noch nachträglich in ein besseres Licht zu rücken. Manchmal zeigt sich Cziffra wirklich unschlüssig. Und in der Tat trifft es wohl nicht ganz den Kern der Sache, wenn er Roths schwierigen Kampf mit dem Dasein, jenes verzweifelte Ringen mit der 'Wirklichkeit', mitunter - und zwar im Widerspruch zu seinen sonstigen Ausführungen - als einfache "Fälschung" abtut und im Laufe seiner Darstellung zuweilen auch von Roths "Irrtümern" oder gar von "hochtrabenden, ja aufschneiderischen Gedankengängen" spricht. Mit diesen Kategorien lässt sich die Existenz Joseph Roths wohl kaum greifen.

Doch der große Wert von Cziffras Darstellung liegt eben darin, dass er wie kaum ein anderer auf die Ambivalenz und Widersprüchlichkeit von Roths innerem Wesen hinzudeuten vermag und aus dem Blickwinkel seiner persönlichen Erfahrungen, auf seine eigne Weise freilich, ein Bild des Dichters zeichnet, das am anderen Ende des noch schattenhaften Korridors die Gestalt eines schwankenden, getriebenen und innerlich zerrissenen Menschen erahnen lässt. Denn der "Hotelbürger" Joseph Roth war im wahrsten Sinne ein "Verlorener", immer auf der Suche nach einer solchen Ungeheuerlichkeit wie dem rechten Weg, der doch letzten Endes stets im Unerreichten bleibt. Selbst wenn Cziffras kurze biografische Reise streckenweise auch über Um- oder Abwege führen mag, es lohnt sich nach wie vor in jedem Falle, ihm auf den Stationen seiner Begegnungen zu folgen und dabei die Erfahrung zu machen, dass sich dort noch jemand erinnern will an einen Autor namens Joseph Roth, einen Autor, der, in den Grauzonen unserer Geschichte, irgendwie doch immer schon zu den Vergessenen gehörte.


Titelbild

Geza von Cziffra: Der heilige Trinker. Erinnerungen an Joseph Roth.
Mit einem Vorwort von Marcel Reich-Ranicki.
Berenberg Verlag, Berlin 2006.
140 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-10: 3937834141

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