Die Affinität von Jugendbuch und AgitProp

Über Ingrid Strobls Roman "Ende der Nacht"

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es bildete sich in den letzten Jahren ein Genre heraus, das man den "68er-Roman" nennen könnte. Nie geht es nur um das Jahr 1968 an sich, immer auch um das, was aus den 68ern wurde, ob und wie Linke Linke bleiben oder nicht. Uwe Timm hat bisher drei Versuche vorgelegt, '68 und die Folgen im Roman zu erfassen; Erasmus Schöfers Geschichte der bundesdeutschen Linken von 1968-89 in dem Epos "Die Kinder des Sisyfos" ist mit dem vierten dicken Band demnächst komplett.

In die meisten Versuche geht das eigene Leben mit ein. Ingrid Strobl ist zu spät geboren, als dass sie 1968 hätte dabei sein können, aber seit dem Alter von 16 Jahren, seit 1969 also, so erfährt man auf ihrer Homepage, habe sie "einen Hang zum Rebellischen". Später wurde sie Feministin, gehörte zur radikalen Linken, war Redakteurin bei "Emma" und wurde mit einer selten dreisten Konstruktion wegen "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" verurteilt. In den 1990ern theoretisierte sie zum Thema Bevölkerungsplanung noch ein wenig in der radikalen Linken mit, löste sich dann aber von ihr, weil sie sich mit der Shoah beschäftigte, was diese Szene damals noch nicht interessierte - oder, wie diese meinte, nicht mehr: man kümmerte sich lieber um die so genannten "Opfer der Opfer", die Palästinenser.

Inzwischen ist Strobl eine makellose Journalistin und Autorin, aber den linksradikalen Sinn für Politik und den dazugehörigen Alltagsverstand hat sie behalten. Politiker, so regt sie in einer Glosse auf ihrer Homepage an, sollten mal selbst von "Hartz IV" leben, damit die mal sehen, 'wie das ist'.

Strobls Protagonistin Anna war 1968 siebzehn, als sie nach London kam. Dort tauchte sie zunächst befremdet, aber sofort fasziniert und dann begeistert in die Welt der Hippies ein. Dazu gehörte der Haschisch-Konsum, dazu kamen - man kennt die strenge Vektorenlinie aus der Trias von Religions-, Politik- und Biologie-Unterricht - sukzessive LSD und Heroin. Annas Verwahrlosung findet ihren traurigen Tiefpunkt, als sie sich unter Heroin für SM-Pornos verdingt.

Strobls Roman aber spielt in der Gegenwart. Anna ist durch Meditation und selbst zusammen gebastelte Spiritualität clean geworden, arbeitet nun als Übersetzerin, lebt in Köln (Strobl baut ein wenig Lokalkolorit ein) und in fester Beziehung. Von ihrer Vergangenheit erfahren wir durch ihre Briefe aus jener Zeit, die sie - wieso auch immer - von ihrer langjährigen besten Freundin Lotta zugeschickt bekam. Lotta, der Name ("Kampf"), verrät es, war 1968 die intellektuelle Politische, die Marx und später Freud las. Mit Anna und Lotta hat Strobl die Linke gewissermaßen in ihren Extremen umfasst, denn zwischen Subkultur, Religion und Marxismus pendelte diese hin und her. Durch ihre eigenen alten Briefe wird Anna an die Heroinsucht erinnert und bekommt wieder Lust auf den Kick. Sie hört wieder die Musik von damals und verfällt in merkwürdige Stimmungen. Doch auch die Gegenwart konfrontiert sie mit Drogen: die fremdländischen Kinder aus der Nachbarschaft, denen sie unentgeltlich Nachhilfe in Englisch gibt, haben Kontakt mit Heroin.

Das ganze liest sich wie ein Jugendbuch oder wie eine Geschichte aus dem Religionsbuch für die Mittelstufe: ästhetisch und erzählerisch platt und bieder, ohne jede literarische Ambition. Die Wirklichkeit wird abgebildet - als ob das ginge - um die Realität mal zu zeigen, um 'Denkanstöße zu geben', zu 'mahnen' und 'aufzurütteln'. Unglaubwürdig sind vor allem die Dialoge; so spricht niemand, so glatt läuft kein Gespräch ab, selbst die so genannte 'Kommunikation' nicht, alles passt immer zueinander, alles fügt sich. Nicht, dass heile Welt herrschte - behandelt werden schließlich 'sozialkritische' Themen. Alles was Strobl schreibt, alles, was ihre Figuren sagen, ist banal. In der literarischen Manufaktur der Sozialreportage wird die Wirklichkeit zu fügsamer Masse, der kein Eigenleben innewohnt, sondern der nur der gute Wille des Autors übergeklebt wurde - und das ist zu wenig.


Titelbild

Ingrid Strobl: Ende der Nacht. Roman.
Orlanda Verlag, Berlin 2005.
203 Seiten, 17,50 EUR.
ISBN-10: 3936937338

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