Die Selbstbeweger

Ulf Geyersbach versammelt Bilder und Texte zu Autoren und ihren Autos

Von Christophe FrickerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christophe Fricker

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was für eine famose Idee! Und so schöne Bilder! - Solche Reaktionen ruft Ulf Geyersbachs Buch über Schriftsteller und ihre Automobile hervor. Der von Thomas Mann geborgte Titel, das Titelbild mit lässig über die Beifahrertür lehnendem Nabokov und überhaupt die Konzeption des Bandes überzeugen sofort: Das Land der Dichter und Denker ist auch das Land des ADAC, und hier kommt beides unterhaltsam zusammen. Es geht freilich nicht nur um deutsche Autoren: Von Kipling über Proust, Joyce und Beckett bis zu Françoise Sagan reicht die Spanne. Jedem Autor ist ein Essay gewidmet, und auch der Leser erkennt sich gern selbst darin wieder. Die Begeisterung über den ersten Wagen, erkundende Ausfahrten, abenteuerlich lange Strecken, frustrierende Pannen und so weiter.

Die Essays sind chronologisch angeordnet, flott erzählt und reich bebildert. Jedes Kapitel beginnt mit einem starken Satz, der sofort zündet und die folgenden Seiten antreibt. Der Autor bringt eine Vielzahl faszinierender Beobachtungen zum Automobil zusammen, etwa Joyces Ausspruch, im Mittelalter sei 'Automobil', der Selbstbeweger, die Definition Gottes gewesen.

Für einige der besprochenen Autoren ist das Automobil nur eine nützliche oder zuweilen lästige Zutat zu einem sonst bereits erfüllten Leben, für andere ist es zentral, etwa für Jack Kerouac. Amüsiert wird notiert, dass sowohl dieser Beat Poet als auch Hermann Hesse einem Werk den Titel "Unterwegs" gaben. Der Mensch ist ein Reisewesen, und im Zeitalter des Individualismus ist das Gefährt dafür eben das Auto. Geyersbach lässt sich von der potenziell endlosen Bandbreite dieses archetypischen Themas nicht einschüchtern, sondern nimmt sie als Aufforderung zum Erzählen. Selbst Mythisches wird nicht ausgespart: Kipling schrieb seinem Rolls besonderes Charisma zu, und Ninon Hesse zitiert nach bestandener Fahrprüfung aus Pindars Siegesliedern für Wagenlenker.

Für Kipling diente der Wagen dazu, nah an die Natur heranzukommen, während Proust sich auf die Suche nach Entlegenem machte und Virginia Woolf feststellt, man könne nun mit der Zehe neue Planeten entdecken. Für Raymond Chandlers Detektive ist das Auto Werkzeug und Lokalkolorit zugleich, für Proust Inbegriff der verfliegenden Zeit.

Geyersbach widmet sich aber nicht in erster Linie den Werken, sondern vorrangig den Autoren - den Fahrern (nicht alle freilich fuhren selbst: Kipling hatte stets einen Fahrer, an den er hohe Anforderungen stellte, und Nabokov suchte per Flugblatt in Cornell Studenten, die ihn chauffierten). Brechts Werbetexte werden gemustert, und wir erfahren, dass Remarque Redakteur der "Sport im Bild" war und sich dort beruflich dem Auto widmete. Ganz körperlich wird es, wenn wir von dem Dichter Donald Hall hören, Gertrud Stein habe ausgesehen "wie ein altes Auto" (an der Abbildung aus dem Zeitschriften-Artikel 'Gertrud Stein and Her Fords' ist das zu überprüfen), und Hesses dritte Frau Ninon leide infolge des Fahrens unter Rückenschmerzen und Schlaflosigkeit.

Das Buch ist weitestgehend um sprechende Anekdoten aufgebaut und enthält sich jedweder Moralisierung. Nicht Umweltverschmutzung oder Verkehrstote stehen im Vordergrund, sondern Familienfotos mit einem meist stolz vorgeführten Fahrzeug. Politische Implikationen (das Demokratische von Verkehrsregeln, Enteignung des Wagens durch die Nationalsozialisten, Luxusautos als Statussymbole auch 1968) werden nur gestreift.

Positive, ja oft zärtliche Äußerungen zu Automobilen überwiegen, aber es wird nicht verschwiegen, dass Thomas Mann zwar stolzer Besitzer eines luxuriösen Fiat 509 Kabriolett war, diesem aber in seinen Werken keinen Platz einräumte, und dass der literarisch so moderne Joyce ein Auto-Hasser war. Von Françoise Sagan heißt es dagegen, dass Fahr- und Schreibstil ("Sparsamkeit der Mittel") übereinstimmten.

Auch Geyersbachs Stil ist seinem Sujet angemessen. Zu Remarques automobilem "Gang" ins Exil 1933 stellt er fest: "Nun war Deutschland für lange Zeit zu umfahren." Glücklicherweise wird solche Metaphorik aber umsichtig verwandt.

Der Band ist außergewöhnlich sorgfältig ediert, die Bildqualität ist durchgehend hoch, und die Texte sind flott lesbar. Wohl eher augenzwinkernd wird in Richtung eines möglichen Forschungsfeldes "Automobil-Literatur" gedeutet. Ebenso trockener Humor drückt sich darin aus, dass es ein Register der Automarken gibt (Buick, Ford, Mercedes, Rolls Royce und Jaguar dominieren), aber kein Personenregister.


Titelbild

Ulf Geyersbach: "... und so habe ich mir denn ein Auto angeschafft.". Schriftsteller und ihre Automobile.
Nicolai Verlag, Berlin 2006.
128 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3894793406

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