Pinguinmörder und Salzfassdiebe

Stefan Slupetzky beweist, dass Österreicher andere Krimis schreiben

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lemminge sind angeblich oder tatsächlich kleine Pelzträger, die sich gelegentlich in Bewegung setzen, um sich dann unbeirrt von irgendwelchen Klippen zu stürzen. Das mag man Dummheit oder Selbstbewusstsein nennen, am Ende sind sie jedenfalls immer alle tot. Was macht ein ehemaliger Kommissar des Morddezernats, Leopold Wallisch mit Namen, der die Karriereleiter zum Nachtwächter des Wiener Zoos hinaufgestiegen ist und der merkwürdigerweise Lemming genannt wird, wenn er auf seiner Tour einen seiner Pinguine erhängt im Polarium auffindet? Mord im Tierreich? Da wird in Wien doch sofort ermittelt. Was ungefähr dasselbe ist, wie sich von einer Klippe zu stürzen. Naja, auch nur dann, wenn jemand ein Interesse daran hat herauszufinden, warum der Kollege Lemmings, den er an diesem Abend vertreten hat, verschwunden ist. Offensichtlich hat dieser Pokorny etwas mit dem gemeuchelten Pinguin zu tun.

Als Lemming sich nämlich, von seinem Chef legitimiert und von einem Gönner des Tierparks ausgestattet, auf die Suche nach dem Kollegen Josef Pokorny macht, findet er sich in merkwürdiger Gesellschaft. Zwei altbekannte, freilich zweitrangige Wiener Luden heften sich auf seine Fersen oder waren schon vor ihm da. Die Wohnung Pokornys ist jedenfalls verwüstet, als Lemming eintrifft. Dem Maler Riedmüller, den Lemming besucht, ausfragt und mit dem er die halbe Nacht säuft, weil beide, der geheimnisvolle Pinguin-Freund und der gesuchte Nachtwachen-Kollege, ein Bild von ihm haben (wie kommt ein Wiener Zoonachtwächter an das Bild eines international renommierten Malers?) brechen sie beide Arme. Natürlich kennen sich wieder einmal alle möglichen und unmöglichen Leute aus allen Sozialschichten, man ist immerhin in Wien. Und intrigiert wird, was das Zeug hält, getratscht auch, und natürlich auch Geld verteilt.

Lemming, eigentlich der Polizeiarbeit abtrünnig geworden, stürzt sich mit großem Schwung in seine Ermittlungen - was man Schwung bei einem Helden nennt, der vor allem am Anfang von Trotteligkeit kaum laufen kann, ohne hinzufallen. Aber das Misstrauen des Mannes reicht aus, um jede Kungelei und jede Unaufrichtigkeit zu erkennen, zumal dann, wenn es darum geht, dass er selbst für Zwecke missbraucht werden soll, die er wohl kaum wird tolerieren können.

Warum sind zum Beispiel so viele Leute hinter Pokorny her? Dass der neben seinem Nachtleben unter Pinguinen und Königstigern noch ein Leben als Musiker hat, wusste Lemming schon. Immerhin hat Pokorny Lemming darum gebeten, für ihn einzuspringen, weil er ein Konzert in der Provinz geben müsse. Aber dass er zudem ein enger Freund und Studienkollege des berühmten Riedmüller ist, kann man kaum ahnen. Und was ist mit den vier jungen Leuten, die nicht nur mit Pokorny musizieren (was Künstler musizieren nennen), sondern offensichtlich selbst auf der Suche nach Pokorny sind? Und was sollen die Geschichten um vier junge Künstler mit Tiernamen, Floh, Adler, Bär und die Löwin, die mit ihren extraordinären Aktionen die Wiener Kulturszene aufmischen? Welches Interesse hat nun der geheimnisvolle Zoosponsor, Pinguinliebhaber und Kunstfreund Hörtnagl an Pokorny? Wie hängt er mit dem nazistischen politischen Haudrauf und Krawallmacher Plessel zusammen, der die Wiener Politszene wild macht und die beiden Ganoven auf Lemmings Spur gesetzt hat? Was hat das schließlich alles mit dem grandiosen Kunstraub zu tun, bei dem das berühmteste österreichische Salzfass abhanden gekommen ist? Ja, Fragen über Fragen, die selbstverständlich hier nicht beantwortet werden, um bloß keine Spannung aus der Lektüre zu nehmen.

Spannung ist allerdings das wenigste, was an diesem Wiener Kriminalroman auffällt. Es ist, wie kaum anders zu erwarten, die Machart, die gefällt. Und die hat große Vorbilder: "Kottan ermittelt", Helmut Zenkers Romane um Minni Mann, Wolf Haas haben Furore gemacht und den Krimi österreichischer Machart als absurd, skurril und höchst lesenswert ausgezeichnet. Er ist dabei sprachlich und in der Konstruktion von offensichtlicher Kreativität, zwischen Liebenswürdigkeit und Kaltschnäuzigkeit pendelnd, dass es eine Lust ist. Wo Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek zu schimpfen beginnen, wenn es um Österreich geht, überziehen diese Autoren ihr Land anscheinend lieber mit Hohn und Spott, die sie auch gleich auf sich und ihre Lieblingsfiguren anwenden. Man kann also als Österreicher sein Land mit aller Inbrunst durch den Kakao ziehen, ohne sich von ihm distanzieren zu müssen. Man kann also eine Geschichte durchaus modern erzählen, ohne dass sie langweilig wäre und die Lektürefähigkeit auf die Probe stellt. Man kann also immer noch Krimis schreiben, die amüsieren, vor allem in Österreich. Und das ist doch immerhin mal eine gute Nachricht, oder?


Titelbild

Stefan Slupetzky: Das Schweigen des Lemming. Lemmings dritter Fall.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2006.
281 Seiten, 8,90 EUR.
ISBN-10: 3499242303

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch