Ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit

Isabella Rameder geht der Beziehung zwischen Ingeborg Bachmanns lyrischen Nachlass-Texten und dem "Todesarten"-Projekt nach

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gemeinhin gilt Ingeborg Bachmanns Gedicht "Böhmen liegt am Meer" als utopisches, gelegentlich auch als heterotopisches Vermächtnis der Autorin. Die Nachwuchswissenschaftlerin Isabella Rameder ist hingegen der Meinung, das Werk drücke "ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit" aus. Eine widerspenstige, zum Forschungsstand querliegende und alleine schon darum interessante These. Rameders Begründung fällt allerdings denkbar dürftig aus, und mit gegenteiligen Lesarten und Interpretationen setzt sie sich gar nicht erst auseinander. Ebenso ignoriert sie Bachmanns Selbstauskunft, mit der die österreichische Literatin in einem Interview bekannte, das Böhmen ihres Gedichtes sei "ein Utopia", "die Hoffnung und das einzige Land, das es gibt", und an das sie "so fest" glaube.

Nachzulesen ist die interessante These mit der dürftigen Begründung in Rameders für die Drucklegung überarbeiteter Diplomarbeit, die sich unter dem Titel "Ich habe die Gedichte verloren" mit der Beziehung zwischen Bachmanns aus dem Nachlass veröffentlichten lyrischen Texten und deren "Todesarten"-Projekt befasst. Ziel der Arbeit ist es, zu zeigen, dass Bachmanns in den Jahren 1962 bis 1964 entstandene und in dem Band "Ich weiß keine bessere Welt" veröffentlichte Texte "grundsätzlich nicht als eigenständige Gedichte konzipiert waren". "[I]n Wirklichkeit" seien es vielmehr "intime Bekenntnisse", "geschrieben, um den Schmerz zu überwinden, um Abstand zu gewinnen". Denn Bachmann habe sich - wie Rameder formelhaft schreibt - "am Rande des Wahnsinns" befunden. Ganz ungerührt von ihrer eigenen 'Diagnose' hält sie Ronald Pohl etliche Seiten später vor, er "schaff[e]" eine "verzerrte Vorstellung der Dichterin", indem er sie als Frau abstempele, "die mit ihren Nerven am Ende war".

Doch nicht die vermeintliche therapeutische Funktion, welche das Schreiben der Gedichte für Bachmann hatte, steht im Zentrum von Rameders Interesse, sondern deren Konnex zum "Todesarten"-Projekt. Denn da Bachmann in ihnen "Gedankengänge und Ideen" festgehalten habe, die "zum Teil" in das "Todesarten"-Projekt "miteingeflossen" seien, handele es sich bei diesen Texten nicht nur um "bloße Worte der Verzweiflung" oder "Dokumente einer Krisenzeit". Vielmehr machten sie zudem deutlich, "wie die Autorin in einer für sie schweren Zeit Eindrücke sammelte, die sie später in veränderter Form in ihr Prosa-Projekt einfließen ließ".

Um diese zentrale These stark zu machen, strebt Rameder nicht weniger an als "alle formalen und inhaltlichen Übereinstimmungen" zwischen den lyrischen Texten aus dem Nachlass und dem "Todesarten"-Projekt aufzufinden. [Hervorhebung R. L.] Dass sie etliches zusammentragen konnte, kann kaum überraschen. Für eine Diplomarbeit scheint es dennoch nicht genug gewesen zu sein, zumindest, was den Umfang der so entstandenen Arbeit betrifft. Jedenfalls lässt sich anders schwer erklären, warum Rameder noch zwei Abschnitte angehängt hat, die mit dem eigentlichen Forschungsvorhaben nichts zu tun haben. Inspiriert von der "psychoanalytischen Methode" versucht sie im ersten dieser beiden Anhängsel, "Sigmund Freuds Theoreme" auf einige der "Gedichtfragmente" anzuwenden. Im zweiten wendet sich die Autorin der Rezeption der von ihr untersuchten Texte zu. Auch dies lässt sich aus dem eigentlichen Vorhaben nicht wirklich motivieren. So kommt das Büchlein (inklusive Literaturliste) zwar doch noch auf 126 Druckseiten; dies allerdings auf Kosten seiner inneren Kohärenz.

Zu monieren ist auch Rameders unmittelbar biografische - um nicht zu sagen: biografistische - Lesart der untersuchten Texte. So findet sie ihren "Eindruck, daß Ingeborg Bachmann manche Textseiten einfach weggeworfen oder verlegt hat", durch eine Textpassage in "Malina" bestätigt, in der Bachmann ihre "chaotische Arbeitsweise [...] dokumentiert" habe. [Hervorhebung R. L.] An anderer Stelle beruft sich Rameder auf den fragwürdigen Gewährsmann Adam Opel und dessen Bericht über eine "Orgie", an der - glaubt man ihm - nebst ihm selbst, zwei Griechen und Bachmann teilnahmen. Eben diese Orgie, so Rameder, habe Bachmann in ihrem "Wüstenbuch" nun nicht etwa literarisch verarbeitet - was man immerhin schon bezweifeln könnte - sondern "beschrieben".


Titelbild

Isabella Rameder: Ich habe die Gedichte verloren. Ingeborg Bachmanns lyrische Texte aus dem Nachlass und ihre Beziehung zum Todesarten-Projekt.
Wieser Verlag, Klagenfurt 2006.
126 Seiten, 18,80 EUR.
ISBN-10: 3851296095

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