Orte des Terrors

Der vierte Band der von Wolfgang Benz und Barbara Distel herausgegebenen verdienstvollen "Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager" widmet sich den Orten Flossenbürg, Mauthausen und Ravensbrück

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Flossenbürg, Mauthausen, Ravensbrück - Ortsnamen, die kaum jemandem etwas sagen würden, hätten sie nicht während weniger Jahre der nationalsozialistischen Terrorherrschaft eine traurige Bedeutung erlangt, die bis heute nachwirkt. Seitdem kennzeichnen die Namen "Orte des Terrors": Das in der Oberpfalz gelegene Flossenbürg, Mauthausen in Oberösterreich sowie das im damaligen mecklenburgisch-preußischen Grenzland gelegene Ravensbrück waren nationalsozialistische Konzentrationslager.

Sind auch die Namen dieser Orte bekannt, so ist doch die Geschichte der Konzentrationslager der Nationalsozialisten im einzelnen noch vielfach unaufgearbeitet. Eben dies unternimmt nun die von Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin, und Barbara Distel, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, als Herausgeber betreute und auf neun Bände angelegte Publikationsreihe "Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager." In enger Kooperation mit den an vielen dieser Orte bestehenden Gedenkstätten wurden in den bereits erschienen ersten drei Bänden "die Organisation des Terrors" (Bd. 1) sowie die "frühen Lager" Dachau, Emsland (Bd. 2) und Sachsenhausen, Buchenwald (Bd. 3) bearbeitet. Der vorliegende vierte Band widmet sich den drei oben genannten Lagern, die, wie die Herausgeber erläutern, noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs "in Ergänzung des KZ-Systems, dessen Koordinaten bis dahin Dachau (ab 1933), Sachsenhausen (1936) und Buchenwald (1937) gebildet hatten" , gegründet wurden. Flossenbürg und Mauthausen wurden im Frühjahr und Sommer 1938, das "zentrale Konzentrationslager für Frauen" in Ravensbrück im Frühjahr 1939 errichtet.

Der "ursprüngliche und eigentliche Zweck des KZ-Flossenbürg" war die Ausbeutung der reichen Granitvorkommen der Gegend durch den SS-Betrieb "Deutsche Erd- und Steinwerke." Insbesondere für die geplanten Bauvorhaben auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände sollte das Lager Steine produzieren und liefern. Die Zwangsarbeit im Steinbruch verlor indes bald schon an Bedeutung und wurde durch Zwangsarbeit für die Rüstungsindustrie ersetzt. Seit 1943 "arbeiteten" die Häftlinge vor allem für den Regensburger Messerschmitt-Betrieb, der nach Flossenbürg verlegt worden war.

Mauthausen sowie das dazugehörige Außenlager Gusen, wurde als KZ-Standort zunächst ebenfalls wegen seiner Granitsteinbrüche ausgewählt. Wie in Flossenbürg wurden die Häftlinge aber auch in Mauthausen im Verlauf des Krieges zunehmend für die Rüstungsindustrie, und hier insbesondere der Konzerne Steyr-Daimler-Puch, Daimler-Benz sowie der Reichswerke Hermann Göring ausgebeutet.

Auch die Insassen des Frauenlagers sowie des im April 1941 "eröffneten" "Kleinen Männerlagers" in Ravensbrück wurden für die Rüstungsproduktion ausgebeutet.

Alle drei Orte des Terrors waren so genannte "Stammlager". Als solche waren sie das Zentrum eines Lagersystems, zu dem eine Fülle von Außenlagern gehörten, in denen die Häftlinge gezielt ausgebeutet wurden. Allein die Zahlen dieser über das ganze Land verstreuten Lager erschrecken ebenso wie sie verblüffen: Zum Lagersystem Flossenbürg gehörten "zwischen 1942 und 1945 [...] in Bayern, Böhmen und Sachsen insgesamt 92 Außenlager." 45 Außenlager gehörten zu Mauthausen, über 30 Außenlager gehörten zu Ravensbrück. Es ist ein außerordentliches Verdienst der vorliegenden Publikation, diese Außenlager, ihre Lage, Funktion sowie die Arbeits- und Überlebensbedingungen der Häftlinge im einzelnen vorzustellen.

Wenn überhaupt im Zusammenhang mit dem Konzentrationslagersystem der Nazis von einem wirtschaftlichen Zweck gesprochen werden kann, dann nur aus der Sicht der Ausbeuter. Die Darstellung der Geschichte der Orte des Terrors zeigt eindringlich, dass für die Häftlinge das ebenso zynische wie grausame Prinzip der "Vernichtung durch Arbeit" Alltagsrealität war. Die Stammlager sowie die meisten der Außenlager waren Orte des Todes, der Folterung und der Erniedrigung. Das betrifft in besonders drastischer Form die seit Kriegsbeginn zunehmend in die Lager eingewiesenen Kriegsgefangenen aus Polen und der Sowjetunion. Sie wurden systematisch ermordet. Seit dem Frühjahr 1941 begann in den Lagern auch der planmäßige Massenmord an den anderen KZ-Insassen. Die nach ihrem Aktenkürzel "Aktion 14 f 13" benannte Mordaktion traf insbesondere die in der Logik der Schinder nicht mehr arbeitsfähigen Häftlinge. Eine letzte todbringende Aktion erlebten die bis dahin überlebenden Häftlinge, als die Lager kurz vor Kriegsende hastig aufgelöst wurden. Während der "Todesmärsche" fanden viele von ihnen den Tod.

Die "Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager" versucht nichts weniger als eine Gesamtdarstellung des NS-Konzentrationslagersystems. Der vorliegende vierte Band belegt, dass dieses verdienstvolle Unternehmen gelingt. Es liegt ein umfassendes Nachschlagewerk vor, das Experten und interessierten Laien gleichermaßen zu Diensten sein kann.


Titelbild

Wolfgang Benz / Barbara Distel (Hg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager Band 4 Flossenbürg Mauthausen Ravensbrück.
Verlag C.H.Beck, München 2006.
644 Seiten, 59,90 EUR.
ISBN-10: 340652964X
ISBN-13: 9783406529641

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