Gottes großer Fürsprecher

Kiran Nagarkars großer bunter Roman "Gottes kleiner Krieger" irritiert die Schemata der Kulturkritik

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die seit den letzten Jahren gängigen Analysen stellen den islamistischen Extremismus gerne in irgendeinen Zusammenhang mit denen, die diesen bekämpfen. Manchmal wird eine direkte Kausalität zwischen den beiden feindlichen Lagern konstruiert (der islamistische Extremismus sei das Resultat westlicher ökonomischer, politischer und kultureller Überfremdung und Unterdrückung), manchmal wird der Zusammenhang nur allgemein und ebenso suggestiv wie nebulös assoziiert: man müsse eine fatale Ähnlichkeit der Feinde konstatieren. Bin Laden wie Bush seien schließlich Fundamentalisten, diese beiden nur zwei Spielarten derselben verkehrten Weltanschauung. In diese Sicht wurde auch "Gottes kleiner Krieger" von der Rezeption in Deutschland gespannt, denn Nagarkar erzählt die lange Geschichte des intellektuell überdurchschittlich begabten Inders Zia Khan, der über einen Zeitraum von über zwanzig Jahren vom Moslem zum Christen und schließlich zum Hinduisten konvertiert.

Unter dem Einfluss seiner strengen, hartherzigen und frömmelnden Tante entwickelt Zia sich zum strenggläubigen Moslem. Bereits als Schüler geißelt er sich bei einer Büßerprozession besonders blutig. Als junger Erwachsener gehört er zu den Mudschaheddin, wo "sein Geschäft [...] darin bestanden [hatte], so viele Menschen wie möglich so rasch und effektiv wie möglich zu töten und zu terrorisieren", und wird in Afghanistan, Pakistan und im Iran eingesetzt. Nachdem ein Mordanschlag auf Salman Rushdie in England fehlschlägt, flüchtet er in die USA, wo er einem christlichen Orden beitritt. Hier engagiert er sich mit teilweise terroristischen Methoden zunächst bei der fundamentalistischen Anti-Abtreibungsbewegung und gründet dann ein riesiges religiös fundiertes Waisenhaus-Unternehmen. Zuletzt wird Zia alias Lucens zu Téjas, dem Hinduisten.

Nagarkar wolle zeigen, so meint die wohlwollende Rezeption, dass Fundamentalismus überall zu finden sei. "Seine Erkundungen des gefährlichen Potentials von abgeschotteten Glaubenssystemen machen deutlich, dass es sich nicht allein um ein Problem des Islam handelt. Auch im Konvertitentum lauert die Gefahr der Besserwisserei, der Unbedingtheit, des Machtanspruchs aufgrund einer neu gefundenen Wahrheit" ("Deutschlandradio Kultur"). Für "ARD online" hat Nagarkar "so etwas wie eine negative Version von Lessings 'Nathan der Weise' geschrieben: ein Buch darüber, was religiöser Fanatismus, gleich ob islamischer, christlicher oder hinduistischer Prägung, aus Menschen macht: nämlich todbringende Jünger Luzifers." Hier werde "exemplarisch vorgeführt", so der mit dem Karl Marx-fürs-Feuilleton vertraute "Freitag", "dass Religion in jeder Form nicht nur das Seufzen der bedrängten Kreatur, sondern auch ihr hasserfülltes Schäumen sein kann."

Und genau dies scheint "Gottes kleiner Krieger" zunächst zu erfüllen. Tatsächlich aber differenziert Nagarkar die drei Religionen deutlich. Der Islam kommt am schlechtesten weg. In ihr offenbart Gott sich nicht, er zeigt sich nicht, gibt kein Zeichen. Die Religion existiert alleine als Glaube in Zias Innerem und in seinen Taten: in der Unnachgiebigkeit und Grausamkeit, die er sich und anderen antut. Zum Christentum kommt Zia, nachdem er lange Zeit von einem leidenden Bettler verfolgt wurde, den er schließlich als Jesus identifizieren kann. Gott zeigt sich: Jesus ist schwach, aber hartnäckig; er streckt nur die Hand aus und verspricht ihm keine Triumphalismen wie der Islam. Er wirbt um ihn, gibt ihn nicht auf, und er lässt ihn nicht allein in seiner Verzweiflung.

Im katholischen Orden trifft Zia zwar auf Fundamentalisten, aber vor allem (und dies in leitenden Funktionen) auf äußerst sympathische, besonnene, weise und vergebende Menschen. Die Mönche begegnen dem Neuling mit Vorsicht und Misstrauen. Der Abt redet Zia/Lucens treffend ins Gewissen: "Maßen Sie sich selbst nicht an, Gott zu spielen. Wenn Sie sich selbst gegenüber so unduldsam sein können, dann wage ich mir nicht vorzustellen, wie intolerant Sie sich anderen gegenüber erweisen könnten. Die Grenze zwischen Ihrem Selbsthass und Ihrer Selbstgerechtigkeit ist fließend." Ohne es zu wissen, hat der Abt damit über Zias Leben als Moslem gesprochen. Er - ein katholischer Klosterleiter! - ist entsetzt, als er erfährt, dass Zia einem Bruder, der ihm homoerotische Avancen machte, nicht vergeben konnte und wollte, woraufhin dieser sich erhängte.

Zia erfährt hier zum ersten Mal massive Kritik an seinen rigoristischen Glaubensvorstellungen, denn "Jesus ist kein rachsüchtiger Gott, kein Gott der Vergeltung. Er ist der Gott der Liebe." Später schreibt der Abt an Zia: "Die Lust, die Sie am Zufügen von Schmerzen empfinden, ist grauenvoll und erschreckend. Das Betrüblichste an der ganzen Sache ist, dass Sie Ihre rasende Unduldsamkeit durch Berufung auf moralische Grundsätze rechtfertigen [...], Sie sich dabei gar nicht bewusst sind, etwas Verwerfliches zu tun." "Woher diese grenzenlose Arroganz, Lucens? Wenn Sie weiter auf diesem Irrweg bleiben, werden Sie sich zuletzt noch die Privilegien und Befugnisse Gottes anmaßen."

Das tat Zia und das tut Lucens weiterhin. Dabei kann er im Übrigen zu seiner Frustration nicht auf die angeblich fundamentalistischen amerikanischen Gläubigen zählen, denn "das provinzielle Amerika stellte Lucens auf eine härtere Probe als seine schlimmsten Tage bei den Mudschaheddin." So religiös sie auch sein mögen, Lucens hasst die Amerikaner dafür, dass er sie nicht aus ihrer "Lethargie" aufzurütteln, ihnen nicht ihre "selbstgefällige[...] Engstirnigkeit" zu nehmen vermag. Mögen sie auch freigiebig sein, mit Spenden allein könnte Lucens sein Waisenhausprojekt nicht finanzieren. Deswegen ist er, der eine magische Beziehung zu Zahlen hat, an der Börse aktiv. Eines Tages versagt seine Intuition, und zur Wiederherstellung seiner Geschäftstüchtigkeit vertraut er sich einem Guru an und wird Hinduist.

Um Téjas werden zu können, muss Zia/Lucens sich einem grauenhaften Ritual totaler Entmenschlichung, Selbstaufgabe, Isolation und Entfremdung unterziehen. Hinduismus, so lernt Zia, ist weniger eine Religion als vielmehr eine Haltung. Hier hat man es nicht "nötig, andere auszuschließen, um das Gefühl zu haben, auserwählt zu sein", denn dieses erhabene Gefühl - so genügsam ist man als Hinduist - hat man auch so. Die östliche Religion dient als Fitmacher für den Markt. Aber für was für einen!

Den einzelnen Religionen entsprechen bei Nagarkar spezifische Wirtschaftsweisen: dem Islam ein blutrünstriges marodierendes, die eigene ökonomische Basis ruinierendes semi-feudales Bandenwesen; dem Christentum ein prosperierender Kapitalismus; dem Hinduismus, dessen Ziel der Selbstüberwindung eben auch alle Skrupel zu überwinden hilft, der rücksichtslose Schattenmarkt des weltweiten Waffenhandels im großen Stil.

Diese deutliche Unterscheidung der Religionen sowie die Tatsache, dass Zia keineswegs das identisch Fundamentalistische in allen drei Religionen ist, das mühelos überall andocken kann, die Tatsache, dass Zia sich in und durch die Religionen verändert, sich vom Islam löst und im Hinduismus nie richtig ankommt, - all dies irritiert. Umso mehr in der Linken, wo man die Aneignung fernöstlicher Religionen hinter und die Sympathie für den Islam gerade vor sich hat. Die "taz" meint zu wissen, was Nagarkar "zeigen möchte: dass ein fanatischer Charakter nicht unbedingt von äußeren Umständen zum Fanatismus getrieben worden sein muss, sondern eben einfach so ist, wie er ist." Weil er sich den üblichen Erklärungsmustern für islamistischen Terror (Verzweiflungstaten von in die Ecke getriebenen Unterdrückten und Ausgebeuteten) verweigert, deswegen wirft der "Freitag" ihm vor, er habe überhaupt "kein Psychogramm seiner Hauptfigur geschrieben, und so kann man nur rätseln, wie der Selbsthass und die Selbstgerechtigkeit Zias zustande kommen."

Eine Erklärung dafür, wie Zia zu einem rigoristischen Fanatiker wurde, liefert Nagarkar in der Tat nicht. Aber die sozialpsychologischen Entwicklungslehren, sie erklären auch nichts: der negative oder positive Einfluss führt beim einen zur autoritären Revolte, beim zweiten zur stillen Anpassung und beim dritten zur echten Opposition. Ein Psychogramm Zias allerdings liefert Nagarkar sehr wohl und zwar das sehr umfangreiche farbige eines autoritären Charakters. Zia ist zwanghaft im allgemeinen und im besonderen von Reinheitszwang besessen. Weil Gott für ihn "stets ein Streben nach Reinheit [ist], schlichter und absoluter Reinheit", betätigt er sich während einer Persönlichkeitskrise in England als Straßenkehrer. Denn "wer räumt den ganzen Müll im Universum weg? Es sind die Straßenkehrer, die sweeper der Welt, die unablässig die Menschen-, Hunde- und sonstige Scheiße beseitigen müssen, die für Zia Khan das Verhängnis, der diabolische und wahrhaftige Satan ist."

Die große Säuberung soll der Wiederherstellung einer prästabilierten kosmischen Harmonie dienen, denn eigentlich hält sich alles "mit allem die Waage. Es gibt nicht ein Körnchen Überschuss im Universum. Alles ist verbucht und verrechnet." Deswegen sind für Zia, das intellektuelle Genie und den Zahlenakrobaten, Zahlen "das Mächtigste, was es auf der Welt gibt, [...] Zahlen stehen fest, fester und unverwandelbarer als der Polarstern." Schließlich glaubte er, "Gott selbst sei eine Zahl." Diese mathematische Ordnung exekutiert er rücksichtslos in seinem eigenen Leben und erwartet dies auch von anderen. Seinem schwächlichen Bruder wirft er vor: "Du bist unfähig - besser gesagt, Du fürchtest Dich davor -, aus den Fakten die logischen Schlussfolgerungen zu ziehen." Ständig muss er bekämpfen, was diese Ordnung, diese irrationale Rationalität von innen wie von außen bedroht. Er wusste, "dass der Zweifel die Nahrung des Teufels ist." Deswegen hasst er andere für die Fehler, die er selber an ihnen begeht; deswegen verachtet er die, denen er schadet und die ihm nicht Gleiches mit Gleichem vergelten.

Nagarkar entwirft diesen Charakter in einem farbenprächtigen Tableau. Aber nie belehrt er. Selten liest man bei ihm kommentierende Zusammenfassungen wie diese: "Lucens lebte in einem äußerst strengen moralischen Universum. In ihm ist kein Platz für Zweifel und menschliche Schwäche. Die Erfahrungen bei den Mudschaheddin haben ihn in seiner Belagerungsmentalität bestärkt: Man ist allein gegen die ganze Welt. Man kämpft für eine gerechte Sache, aber gegen eine erdrückende Übermacht. Die einzigen Freunde, die man hat, sind die Kampfgefährten. Das eigene Leben sowie das seiner Brüder hängt von einem einzigen Faktor ab: unbedingte Loyalität."

Er kaut seinen Lesern nicht alles vor, er schreibt nicht alles auf, was passiert: zu den knapp 700 Seiten muss der Leser sich immer noch eine Menge hinzudenken. Er ist so verschwenderisch in und mit seinen Einfällen, Grotesken und Aberwitzigkeiten, dass er vieles nur andeutet. Besonders von Zias Bruders erstem Roman hätte man gerne mehr gelesen, weil man die Auszüge, die Zia missbilligend liest, Günther Anders' Parabeln aus Molussien gleichsetzen kann. Nagarkars Roman ist eine ebenso seltene wie gelungene Synthese von Geist, Witz und Unterhaltung. Unglaublich.


Titelbild

Kiran Nagarkar: Gottes kleiner Krieger. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Giovanni und Ditte Bandini.
A1 Verlag, München 2006.
712 Seiten, 28,80 EUR.
ISBN-10: 3927743887

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch