Aus dem Thomas-Mann-Archiv

In der Reihe der Thomas-Mann-Studien erscheinen "Briefe an Jonas Lesser und Siegfried Trebitsch" sowie ein Band zum 50-jährigen Bestehen des Archivs

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 11. Juni 1956 wurde zwischen den Erben Thomas Manns, vertreten durch Ehefrau Katia sowie den Kindern Erika, Golo, Monika, Elisabeth und Michael und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) ein Schenkungsvertrag unterzeichnet. Mit diesem Vertrag verfolgten die Erben die Absicht, "den literarischen Nachlass des Dichters beisammen zu haben und ihm in Zürich eine würdige und allen Interessenten offenstehende Heimstätte zu schaffen," und "der Verbundenheit des Dichters und seiner Erben mit der Eidgenössischen Technischen Hochschule sichtbaren Ausdruck zu geben." Die Erben überließen der ETH "den gesamten, in ihrem Eigentum stehenden literarischen Nachlass des Dichters, umfassend Manuskripte, Notizen und Materialien von seiner Hand, seine Tagebücher, sowie Quellenmaterial, Nachträge und Zusätze zu seinen Werken", sowie "die gesamten Gegenstände, die sich im letzten Arbeitszimmer des Dichters befinden, umfassend den Schreibtisch und das weitere Mobiliar, sowie die Bücher und Bilder." So entstand das Thomas-Mann-Archiv (TMA) samt dem Museum, dessen eindrucksvoller Mittelpunkt das rekonstruierte Arbeitszimmer Thomas Manns ist.

Zum 50-jährigen Bestehen des TMA 'leisten' sich die vom Archiv herausgegebenen Thomas-Mann-Studien einen Band in eigener Sache. Neben einer von seinem derzeitigen Leiter Thomas Sprecher verfassten detaillierten Geschichte des Archivs, findet sich in diesem Band auch ein interessanter Überblick über "Gedenkstätten, Institutionen und private Sammlungen", die Thomas Mann "auf vier Kontinenten" gedenkend oder forschend verpflichtet sind. Man mag mit gewisser Wehmut zur Kenntnis nehmen, dass ausgerechnet die beiden bedeutendsten Wohnhäuser Thomas Manns, die Münchner Villa im Herzogpark ("die Poschi") und das letzte Domizil im schweizer Kilchberg als Gedenk- und Erinnerungsorte der Öffentlichkeit nicht mehr zur Verfügung stehen. Nützlich ist auch die ausführliche Beschreibung der Bestände des Archivs sowie eine Beschreibung des Museums im Bodner-Haus.

Zu den zentralen Aufgaben des TMA gehört die Pflege der Briefe und Briefwechsel Thomas Manns. Man vermutet, dass der Dichter Zeit seines Lebens über 30.000 Briefe geschrieben hat. Unter ihnen sind auch 47 Briefe Thomas Manns an den in Czernowitz geborenen Essayisten Jonas Lesser (1895-1969) und 39 Briefe beziehungsweise Kartengrüße an den Wiener Schriftsteller Siegfried Trebitsch (1868-1956), die vor einigen Jahren in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek gefunden wurden. Sie sind nun im vorliegenden Band der Thomas-Mann-Studien versammelt.

Jonas Lesser und Siegfried Trebitsch, beide als Juden von den Nazis zur Emigration aus Wien gezwungen, pflegten neben einer freundschaftlichen Beziehung zu Thomas Mann auch eine besondere zuweilen altmodisch anmutende Verehrung für den Schriftsteller. Wie bei vielen anderen seiner Verehrer mochte Thomas Mann solches gerne erdulden in jedem Fall "dankte" er es mit freundschaftlichen Gesten. Sie schlugen sich in den Briefen als aufmunternd freundschaftlicher Ton nieder, der den Briefempfängern als willkommene Bestätigung ihrer ehrerbietigen Freundschaftsgefühle dienen konnte. Dabei überlasen sie freilich das Maß routinierter Distanz, das dem heutigen Leser dieser Briefe auffällt und für das er seinerseits sehr oft Bestätigung findet in den Tagebuchaufzeichnungen, in denen Thomas Mann dann doch anklingen lässt, wie anstrengend zuweilen die verehrende Treue mancher "Freunde" war.

Jonas Lesser war ein besonders engagierter Verehrer Thomas Manns. Im Exil hatte er sich zu einem Spezialisten des Werks entwickelt. Hiervon machte er dem Verehrten in langen, oftmals zweistellige Seitenzahlen umfassenden Briefen regelmäßig Mitteilung. Diese Briefe, die im vorliegenden Band "wegen ihrer ausufernden Länge und ihrem devot-betulichen Duktus" nur zusammengefasst sind, veranlassten Thomas Mann aber immer zu brieflichen Antworten. Die Briefe sind kaum von besonderer literaturhistorischer Bedeutung. Bemerkenswert sind sie aber dennoch, weil zuweilen ihr Urheber nicht ganz so diplomatisch wohlbedacht formuliert wie bei anderer 'offizieller' Gelegenheit. So bieten beispielsweise die Klagen Lessers über die zögernde Akzeptanz seiner Werkanalysen bei deutschen Verlagen Thomas Mann Gelegenheit zu Bemerkungen zur politisch-kulturellen Lage in Westdeutschland. "Heute, wo man es überall so tief bedauert, mit Russland Hitler geschlagen zu haben und nicht lieber umgekehrt", sei einer wie er, "der gewissermaßen am Siege mitschuldig ist, ein Humanist und beinahe ein Sozialist, kurz ein 'Linker' [...] ein Ärgernis". Nicht oft bezeichnet Thomas Mann sich als "Linker". Indes förderte das Klima gehässige und kleinkarierte Angriffe aus der westdeutschen Provinz auf den Weltbürger und mit staunender Verwunderung würdigt Thomas Mann die tapferen Verteidigungsschriften des Briefpartners, mit denen dieser jeglichen auch noch so unbedarften "Angriff" auf Thomas Mann abzuwehren versucht. "Wozu führen Sie nur solche Korrespondenzen?" fragt er ihn im letzten Brief am 3.11.1954, nachdem Lesser ihm einmal mehr einen solchen Schriftverkehr geschickt hatte. "Diesen Leuten ist nicht beizukommen[...]" - und, so hätte er wohl hinzufügen wollen, es lohnt sich auch nicht.

Die Briefe an den Schriftsteller Siegfried Trebitsch sind weniger ergiebig. Trebitsch galt im Hause Mann als eine Art Kuriosum, "[...] ein ungewöhnlich dummer, aber nicht un-lieber alter Mann" hatte Klaus Mann einmal nach einem Zusammentreffen mit Trebitsch in Wien festgehalten, und Thomas Mann urteilte über die literarischen Qualitäten der Memoiren des Wieners: "Ein sonderbarer Fall. Lieb und deppert wie der ganze Mann." Die Briefe bezeugen trotz allem aber auch die Ernsthaftigkeit, mit der Thomas Mann die Freundschaft zu Trebitsch pflegte. Mag da auch, wie der Herausgeber schreibt, etwas von einer "Mitleidskonzession" an dessen "gutmütig komischen Seiten" zu finden sein.


Titelbild

Thomas Mann: Briefe an Jonas Lesser und Siegfried Trebitsch 1939-1954.
Herausgegeben von Franz Zeder.
Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt a. M. 2006.
234 Seiten, 59,00 EUR.
ISBN-10: 3465035003
ISBN-13: 9783465035008

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Thomas Sprecher (Hg.): Im Geiste der Genauigkeit. Das Thomas-Mann-Archiv der ETH Zürich 1956-2006. Thomas-Mann-Studien Band 35.
Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt a. M. 2006.
451 Seiten, 74,00 EUR.
ISBN-10: 3465034988

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