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Claes Neuefeind hat die CD "pressplay" herausgegeben, die sich der freien Hörspielszene widmet

Von Jan FischerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Fischer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das kann Theater sein oder Literatur, bildende Kunst oder Musik: Freien Szenen geht es nie so richtig gut. Da trifft sich ein Bündel Enthusiasten in irgendeinem ranzigen In-Gebäude, macht für wenig Geld Kultur für sich selbst, bejubelt sich selbst - und wenn mal andere sich dabei unterhalten fühlen, ist das eher ein gewollter Kolateralschaden und hinterher legt noch ein DJ auf. Meistens geht es darum, sich selbst zu versichern, dass man noch da ist und relevant. Deshalb hat auch jede Freie Szene ihre Helden, diejenigen, die es raus geschafft haben in die - so geht der Umkehrschluss - unfreie Szene, womit dann irgendwie so wischiwaschi etwas gemeint ist, das in kulturpessimistischen Kreisen Kulturindustrie geheißen wird und deshalb böse ist. Dass die Helden sich dem Feind verschrieben haben, ist ein lustiger Widerspruch, mit dem die Freien Szenen leben, ohne dass groß darüber nachgedacht wird. Wenn das Geld kommt, wird man schon irgendwie die künstlerische Autonomie leben können, besser als prekär ist's allemal.

Die Freie Hörspielszene ist in der Freien Szene eine relativ neue Erfindung, weil Hörspiele sich nicht so gut in ranzigen Szenelocations abspulen lassen. Andererseits aber auch, weil die technische Ausstattung teuer und ihre Handhabung nicht ganz einfach ist, mal ganz abgesehen davon, dass es Audioschnittprogramme für Heimcomputer auch noch nicht so lange gibt.

Die CD "pressplay" ist dann also die erste Anthologie der Freien Hörspielszene, die sich aber so verhält, wie es in der Natur der Freie Szenen liegt. Herausgeber Claes Neuefeind benutzt im Interview mit http://www.audioausgang.de/ Schlüsselworte wie "kreativer Austausch" und "besserer Zugang zu Sendestationen", es geht also im Wesentlichen darum zu sagen, dass es eine Freie Szene gibt und dass sie produziert. Die Hörspiele wurden "in Abstimmung mit den beiden großen Wettbewerben, dem Plopp in Berlin und dem Hörspielpreis der Leipziger Buchmesse" ausgewählt, und natürlich sollen sie eine möglichst große Bandbreite abdecken, den state of the art repräsentieren.

Was wäre dann also der state of the art der Freien Hörspielszene? "pressplay" lässt sich untergliedern in folgende Beitragsarten: Erzählendes, Avantgardeaudiospielereien, Sonstiges, wobei "Sonstiges" die beiden vorher genannten Kategorien meistens zu unterschiedlichen Anteilen vermischt.

Interessant ist, dass sich die meisten Hörspiele nicht mehr auf klassische dialogische Formen beziehen, es hat den Anschein, als sollten Dialoge geradezu aus dem Hörspiel getilgt werden. Das ist manchmal etwas uninspiriert und wirkt eher wie eingelesene, extrem monologische Rollenprosa, zu allem Überfluss noch abgeschaut aus der Sorte Befindlichkeitsschreibe, in der somnambule Frauen sich ständig Zigaretten anzünden. Dass hier und da ein paar Geräusche eingefügt sind, macht das ganze noch nicht zu einem Hörspiel.

Andere Beiträge, die "Linda im Kopf" von Stella Juncke und Josef Maria Schäfers nutzen ihre Möglichkeiten virtuos. Auch hier keine Dialoge: Der Beitrag ist ein Kreuzberger Stalking-Krimi und kommt daher als lose aneinandergeschnitte Straßeninterviews, die sich langsam zu einem überraschenden Ende kulminieren.

Was da Genre-Avantgardesoundspielereien angeht, sind das technisch perfekt gemachte Beiträge, die schon irgendwie atmosphärisch klingen, nur leider wird nicht ganz klar, welche. Das liegt daran, dass sie meistens Nabelschau betreiben und um sich selbst und ihre Macher kreisen, wie zum Beispiel "Absatz - Eigenmikroskopie in drei Vergrößerungen" von Cristian Gude, der sich sein eigenes Zuhause erschließen will in etwas, das man als verschwurbelte Soundinstallation bezeichnen könnte.

Auf "pressplay" gibt es kaum etwas zu hören, außer einer Freien Szene, die sich selbst bejubelt. Dass sie das auf einem technisch hohen Niveau tut, macht die Sache zwar erträglicher, aber nicht besser. "pressplay" offenbart aber gleichzeitig auch das Problem, mit dem alle Freien Szenen zu kämpfen haben, aus welcher Kultursparte sie auch immer kommen mögen: Den nie enden wollenden Dialog mit sich selbst, der eigentlich gar keiner ist, weil sich niemand dafür interessiert. Eine besonders schöne Pointe dazu liefert Jens Jarisch in der Kafka-Etüde "Die schriftliche Abteilung" ab, in der jeder Versuch zu reden schon im Keim erstickt wird dadurch, dass in der telefonischen Kundenbetreuung einfach niemand dafür zuständig ist.

In diesem Sinne ist "pressplay" natürlich gelungen: Die CD spiegelt den Zustand der Freien Hörspielszene wider. Die Mission, diese Szene in einem Dialog zu platzieren, musste scheitern. Die Freie Szene spricht mit niemandem. Sie spricht nur.


Titelbild

Claes Neuefeind (Hg.): pressplay - Die Anthologie der freien Hörspielszene. CD.
Mairisch Verlag, Hamburg 2006.
274 Minuten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3938539046

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