Friedhelm Rathjens "Einführung ins Werk" Samuel Becketts

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieser Band ist gewissermaßen das ideale Seitenstück zur rororo-Monografie "Samuel Beckett", die im vergangenen Jahr erschien und vom selben Autor stammt. Während in "Samuel Beckett" primär der Beckett'sche Lebensgang vorgestellt wird und Werkanalysen aus Raumgründen nur sehr verknappt geboten werden, bietet die Werkeinführung "Beckett" nun umfassenden Zugang zum Werk Samuel Becketts. Beiden Büchern gemein ist eine jargonfreie Darstellungsweise: Stil, Duktus und Inhalt zielen darauf ab, weder Beckett-Novizen zu verschrecken noch Beckett-Experten zu langweilen.

Die Werkeinführung orientiert sich weitgehend an der Entstehungschronologie, da erst im chronologischen Nachvollzug sichtbar wird, woher Becketts Œuvre kommt und worauf es zielt. Ausgangspunkt der beschriebenen Entwicklung ist die hochskeptische Wahrnehmung der Außenwelten; sie ist die Initialzündung für eine reflexhafte Flucht zunächst vor und schließlich hin zum eigenen Ich. Das Ich ist das Zentrum des Beckett'schen Werks, doch die Linie der Werkentwicklung steuert keineswegs geradlinig darauf zu. Vielmehr weicht sie ihm zunächst sogar aus, schlägt einen Bogen um das Ich und kreist erst dann, eingefangen wie von einer Gravitationskraft, in einer sich nach innen drehenden Spiralbewegung darauf zu. Von der Perzeption von Außenwelten geht diese Spiralbewegung zur Expression von Innenwelten über; schließlich frisst sich die Spiralbewegung in den Schädel hinein und dringt zur selbstreflexiven Imagination von Kunstwelten vor. Die Initialzündung der Entwicklung nach innen ist also die Wahrnehmung der Außenwelt, wenngleich lediglich als Ausgangspunkt einer Beckett'schen Rückzugsstrategie. Wenn Becketts Figuren sehen wollen, schließen sie die Augen oder legen sich rück- oder bäuchlings in eine dunkle Raumlosigkeit.

Die Außenwelt, deren abgründige und absolute Fürchterlichkeit vorausgesetzt werden kann, wird abgehakt. Statt dessen geht es sehr bald um die Wahrnehmung des Innenraums, das heißt des Bewusstseins und seiner Mechanismen. Der Held des Romans "Murphy" rechtfertigt diese Einschränkung (oder besser Umkehrung) des Horizonts mit einer von dem Philosophen Geulincx entlehnten Vorstellung, nach der im Universum des Geistes alle Elemente des äußeren Makrokosmos auch enthalten seien - ein Verständnis, das natürlich mehr philosophische Behauptung als Frucht der Erfahrung ist und etwas Konstruiertes an sich hat.

Das Dilemma seiner Helden, das macht Beckett zusehends klar, liegt in ihrem ungeklärten Verhältnis zum Ich, dem sie lange Zeit zu entfliehen suchen. Erst die Romantrilogie der Nachkriegszeit verknüpft die Außenwahrnehmung mit dem Ich und dieses wiederum mit der Expression. Molloy und vor allem Malone sind besessen von dem Zwang, auszudrücken; unentwegt erzählen sie Geschichten - Lügen, wie sie meinen. Sie tun dies, bis Geschichten und Außenwelt gleichermaßen erschöpft sind, bis - in dem Roman "Der Namenlose" - Perzeption und Expression in einem Zirkelschluss in eins fallen: "Ich sage, was ich höre, ich höre, was ich sage". Im "Namenlosen" gewinnt dabei auch das Ich eine neue Qualität, und in Verbindung damit wird zum vorrangigen und beinahe einzigen Beckett'schen Thema das künstlerische Schaffen selber: der Akt der Imagination, in dem Wahrnehmung, Ich und Ausdruck vollends identisch sind.

Nachdem es Beckett - vor allem mit der Romantrilogie - gelungen ist, sich allen Dreck von der Seele zu schreiben - jenen psychischen Dreck, der der Bodensatz des äußeren Drecks ist -, ist er frei, sich den Mechanismen jener Imagination an sich zuzuwenden, der Imagination von Imagination, freilich auch dem Scheitern der Imagination und der Imagination des Scheiterns von Imagination, die sich in seinem Werk unter dem Signum des Schädels im Schädel antreffen lässt. Erschöpfungszustände und Schreibblockaden gehören in diesen Prozess durchaus mit hinein.

Diesem Dreischritt von Perzeption, Expression und Imagination gehen im Detail die Kapitel drei bis fünf dieses Einführungsbandes nach. Zuvor wird geklärt, wie Samuel Beckett sich von den Fesseln übermächtiger fremder Einflüsse, derjenigen von Joyce und von Proust nämlich, zu lösen vermochte und so sein eigenes Werk erst auf den Weg brachte. Um Becketts Wege in vielfacher Hinsicht geht es schließlich im Schlusskapitel, einem Exkurs über Stehenbleiben und Weitergehen, Ruhe und Bewegung.

F. R.

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Titelbild

Friedhelm Rathjen: Beckett. Eine Einführung ins Werk.
Edition ReJOYCE, Scheeßel 2007.
165 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783000206900

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