Abgelauschte Aggression

Ein Sammelband fragt nach dem literarischen Engagement von Ingeborg Bachmann und anderen AutorInnen gegen Krieg und Gewalt nach 1945

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In einer der letzten Ausgaben von "Literaturen", auf deren Titelblatt das Konterfei Ingeborg Bachmanns prangt, meint Frauke Meyer-Gosau, in letzter Zeit sei es still geworden um die österreichische Schriftstellerin. Doch weit gefehlt: Bachmanns Werke dürfen sich mal um mal neuer Auflagen und Ausgaben erfreuen, und die Bachmann-Forschung ist nicht nur virulent wie eh und je, sondern erlebt seit einiger Zeit nachgerade einen neuen Produktionsschub.

Zu den jüngsten Ergebnissen der Bachmannforschung zählt ein von Dirk Göttsche, Franziska Meyer, Claudia Glunz und Thomas F. Schneider unter dem Titel "Schreiben gegen Krieg und Gewalt" herausgegebener Sammelband. Er geht auf ein Anfang 2005 an der University of Nottigham abgehaltenes Symposium zurück, dessen TeilnehmerInnen sich zum Thema "Ingeborg Bachmann and German Language Literature since 1945" zusammengefunden hatten. Im ersten der beiden mit "Aspekte des Schreibens gegen Krieg und Gewalt bei Ingeborg Bachmann" und "Von Versuchen der Kriegsbewältigung zum Postkolonialismus" betitelten Teile des Buches gehen die Beitragenden etwa den "Postwar Musical Aesthetics in Ingeborg Bachmann's 'Musik und Dichtung'" nach (Beate Willma), machen auf den Zusammenhang von "Auschwitz-Diskurs und Dante-Rezeption in Ingeborg Bachmanns Roman 'Malina'" aufmerksam (Tabea C. Kretschmann) oder vergleichen "Bild, Schrift und Gewalt" in Bachmanns Nachlass-Fragment "Das Buch Franza" und Peter Weiss' "Ästhetik des Widerstands" (Elisabeth Wagner). Anders als der Titel des Buches erwarten lässt, wendet sich der zweite Teil ganz von Bachmann ab und Werken von Margret Bovar, Stefan Heym, Georg Saiko, Hans Lebert, Albert Drach und Uwe Timm zu. Zwei weitere, von Heike Bartel und Martin A. Hainz verfasste Beiträge gelten Paul Celan.

Im Bachmann gewidmeten Teil ragen vor allem die Beiträge von zweien der profiliertesten Kenner des Œuvres der Autorin heraus. Hans Höller fragt, was es nach 1945 bedeutete, gegen den Krieg zu schreiben, und Mitherausgeber Göttsche geht der Sprachkritik in Bachmanns kritischen Schriften nach. Ihre Werke, erklärt Höller, wollten die "offene und verborgene Gewalt" in der nach dem Krieg herrschenden Sprache abhören. So eröffne das Thema der Tagung die Möglichkeit, Bachmanns Werk in politische und soziale Kontexte zu stellen und so "die Konstellationen von Biographie und Zeitgeschichte, von Leben und Schreiben, von Alltagskultur, Literatur und Philosophie auf neue Weise zu entdecken". Bachmanns gesamtes Werk könne somit als "eine in viele Genres und Formen gegliederte Antikriegsschrift" gelesen werden. Da mag Höller recht haben, es darauf zu reduzieren, wäre dann aber doch etwas eindimensional.

Göttsche nimmt Bachmanns "Skepsis" gegenüber einem Konzept von "engagierter Literatur", wie es etwa von Sartre vertreten wurde, zum Anlass, um "das Verhältnis von Literatur und Politik bei Ingeborg Bachmann noch einmal zu überdenken" und zu fragen, ob und in welchem Maße Bachmanns Haltung noch Raum für eine "Vermittlung von Literatur und politischem Diskurs" ließ. Zur Beantwortung zieht er nicht zuletzt den jüngst erschienen Band mit Bachmanns "Kritischen Schriften" heran, (siehe literaturkritik.de 5/2005) dessen Texte Göttsche zufolge zeigen, dass und wie Bachmann versuchte, "ihr sprachkritisches Literaturverständnis in essayistischer Form mit politischer Kritik zu verbinden". Zwar stellten Bachmanns nachgelassene "Entwürfe zur politischen Sprachkritik" ihren "vielleicht einzigen Versuch" dar, "politische Zeitgenossenschaft und literarisches Schreiben tatsächlich in der Form einer politischen Essayistik und Aphoristik miteinander zu vermitteln", doch liege der "Schwerpunkt" ihrer "Einsprache" gegen die politischen Entwicklungen der deutschen Nachkriegsgesellschaft "in ihrem literarischen Werk selbst".


Titelbild

Dirk Götsche (Hg.): Schreiben gegen Krieg und Gewalt. Ingeborg Bachmann und die deutschsprachige Literatur 1945 - 1980.
V&R unipress, Göttingen 2006.
205 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-10: 3899712684

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