Andere Globalisierung?

Horst-Eberhard Richter schreibt über die "Krise der Männlichkeit in der unerwachsenen Gesellschaft"

Von Sandra KluweRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Kluwe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wann ist ein Mann ein Mann? Die Frage ist prekärer denn je: Der bis in die rasierten Achselhöhlen hinein gepflegte Mann der "Metrosexualität" hat neuerdings einem wiederauflebenden Kult männlicher Stärke und Raubeinigkeit Platz gemacht.

Horst-Eberhard Richter, renommierter Psychiater und Autor mehrerer internationaler Bestseller, betrachtet diese Renaissance des Hagen-von-Tronje-Typus mit skeptischer Besorgnis. Seine Diagnose einer "Krise der Männlichkeit" zielt also nicht auf die Gefahr einer Entmännlichung, einer "Männerdämmerung" im Sinne Frank Schirrmachers, sondern auf deren Gegenteil: auf den phallischen "Machtehrgeiz" und dessen "Wettlauf im System des Stärkekults".

Softies seien im Zuge dieser Renaissance des toughen Typs zu Spottfiguren, Pazifisten mit dem "Weicheier-Stigma" abgestempelt worden. Richter, der sich der Friedens-, Menschenrechts-, Völkerrechts- und Versöhnungsbewegung verpflichtet weiß, setzt diesem Trend die Rehabilitation des Gutmenschen entgegen, ohne freilich die Gefahr zu übersehen, sich auf Kosten der Herabwertung der/s Anderen des eigenen Gut-Seins zu versichern. Der Superman-Traum im Gefolge eines Bacon oder Nietzsche wird denn auch nicht moralistisch, sondern geschlechtertypologisch definiert.

Dem Sexismus entgeht Richter dabei nicht: Ohne auch nur einen Seitenblick auf die Gender-Theorie zu werfen, schreibt er die von ihm propagierten Werte der Sensibilität, des Mitgefühls und der Fürsorge der weiblichen "Bindungsenergie" zu, während die falsche Männlichkeit durch Machtbesessenheit und "Siegen-Müssen" definiert wird. Bei letzterer handelt es sich, so Richter, um eine "unerwachsene Schein-Männlichkeit", die aus der Abwehr von "Ohnmacht und Niederlage" entstehe. Unter Berufung auf Willy Brandts Politik der compassion, den gewaltlosen Widerstand Gandhis und das psychotherapeutische Konzept C. G. Jungs fordert Richter die weibliche "Vervollständigung" des Mannes, während er die zunehmende "Vermännlichung" der Frau kritisiert: So wird die weibliche "Identifizierung mit männlichem Kampfgeist" in einem Atemzug mit Lyndie England genannt, jener Soldatin aus Abu Ghuraib, die einen irakischen Gefangenen am Halsband führte. Um solchen Auswüchsen vorzubeugen, beschwört Richter die Frauen, "bei allem Vermännlichungsehrgeiz ihre Bindungskräfte genügend" zu "hüten", sich also wie gehabt als Hüterinnen von Netzwerk-Nestern zu profilieren.

Überzeugender als dieses reichlich reaktionäre Weiblichkeitsmodell ist Richters Vision einer geschlechterübergreifenden "Elterlichkeit", die er als Prinzip langfristiger Verantwortung definiert. Dem neoliberalen Prinzip "Eigenverantwortung", das Richter mit dem Motto "Du hast keine Chance, aber nutze sie!" umschreibt, wird so das Plädoyer für die "Wir-Gesellschaft" mit unhintergehbaren sozialen Interdependenzen entgegengesetzt. Das "Zusammenströmen" von Millionen Menschen unterschiedlicher Nationen anlässlich der Fußball-WM 2006 sieht Richter als Vorbote einer solchen "Wir-Gesellschaft". Zerstört werde die Chance auf internationale Solidarität durch eine ",präventive' Sicherheitspolitik", die mit ihrer "Strategie des Einschüchterns" das atomare Wettrüsten in Gang setzte, und dabei einem "Allmachtswahn" unterlag, den Richter im Anschluss an sein gleichnamiges Buch als "Gotteskomplex" bezeichnet.

Genauer gesagt handelt es sich beim "Gotteskomplex" um die "wechselseitige Verstärkung von Allmachtsstreben und Vernichtungsangst" - oder, klinisch gesprochen, um die manische Abwehr einer latenten Depression. So werde der amerikanische Krieg gegen den Terrorismus nur deshalb so unerbittlich geführt, weil er sich gegen die Verletzbarkeit und die Sterblichkeit schlechthin richte - die Gigantomachie des Supermans verberge dessen Zerbrechlichkeit. Konkret zeige sich die Kompensation der männlichen Angst vor Sterblichkeit, Kastration und Impotenz in monumental erigierten Hochbauten wie dem 541 Meter hohen Freedom Tower, der auf Ground Zero entstehen soll. Richter hält diesen Plan für eine "protzige Demonstration" westlicher Überlegenheit, die den Terrorismus zu weiteren Gewaltakten herausfordere.

Das gewichtigste Protestpotential gegen den illusionären Stärkekult von Wissenschaft, Technik und Militär sieht Richter bei den alten Männern: Sacharow, Bertrand Russell und Erwin Chargaff, die altersgemäß "Schwachheit, Leiden, Demut" in ihr Selbstbild aufgenommen hätten und nicht mehr auf narzisstischen Triumph, sondern auf "Stiftung von Vertrauen und Verlässlichkeit in der Anerkennung der Abhängigkeit aller von allen" bauten, sind Richters Gewährsleute einer reifen und weiblich vervollständigten Männlichkeit.

Der Ausblick des Buches gilt den Repräsentanten einer 'anderen Globalisierung', die über die Schranken der Ethnien, Religionen und sozialen Unterschiede hinweg für internationale Solidarität kämpfen.


Titelbild

Horst-Eberhard Richter: Die Krise der Männlichkeit in der unerwachsenen Gesellschaft.
Psychosozial-Verlag, Gießen 2007.
288 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783898065702

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