Fruchtbare Erde

Wulf Kirsten verdichtet alte und neue Sprach-Welten

Von Maren ArztRSS-Newsfeed neuer Artikel von Maren Arzt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er schreibt über Kindheitserinnerungen, Naturerlebnisse über Zugfahrten und den Zustand der Sprache. Wie unterschiedlich sich Wulf Kirstens Lyrik im Band "Wettersturz" auch zeigt, der Kontakt zur Erde und die Bodenhaftung seiner Gedichte bleiben stets gewahrt. Es ist ein Erinnern und Wiederentdecken der elementaren Bestandteile der Natur und ebenso ein Erforschen der Möglichkeiten ihrer Beschreibungen. Der Sprache der Natur und der Natur der Sprache wird buchstäblich auf den Grund gegangen: melancholisch, bissig, traurig, beschwörend.

Seine "Wortfelder", so nennt sie der Autor, kommen aus Sachsen, wo er 1934 geboren wurde. Der Bezug zu seiner Heimat klingt in allen Gedichten an, doch stets aus einer reflektierenden, distanzierten Perspektive. Das Verschwinden der Natur beklagt Kirsten zum Beispiel nicht mit pathetischer Tristesse, sondern vielmehr durch die Verwendung einer ureigenen Sprache, in der ganz verschiedene Vergangenheitsbilder miteinander verschmelzen, sich ergänzen oder auch mal sperrig gegeneinander stellen. Eine Sprache, die aus bäuerlichen Begriffen, Archaismen, Wortschöpfungen, Zauberformeln und Bibelanklängen besteht. In dem Gedicht "Memorabilien" heißt es: "geh nur zu, diese runse hieß einst/lilienfluß, nenn das flurstück, dem/die quelle nun versiegt ist, wie du willst,/für uns war es der quackenbusch [...]/[...] der letzte/ müller vom nußbaum gefallen, eine pechsträhne/an die andere geflochten, so ging es/schlag auf schlag, santrapantra, heil/und unheil, heißt es, muß irdisch/beginnen, wo aber enden? geh nur zu/ausgestiefelt hat sich's, was du/auch tust, dein gereut ist mit worten/umzirkt, die längst keiner mehr kennt."

Doch nicht nur die Vergangenheit, auch die Gegenwart spricht im Wettersturz ihre eigene Sprache. Die Worthülsen des Alltags, das fortwährende Geplapper, die verkommene Behördensprache: das ist die derzeitige Natur, ironisch beäugt und registriert, zum Beispiel in "sozusagen": "obschon wenngleich zu sagen wäre wenn nicht statt dessen/unumwunden dergestalt aber diesbezüglich wiewohl wessen/nötigenfalls hinsichtlich desohnerachtet in betreff/welchselbiges beifügig obzwar überdies aus dem effeff/solchermaßen wohlgemerkt mithin zumal ebendort/keineswegs ingleichen triffst du nur das zauberwort/[...]". Die Zeit, wo ein Lied in allen Dingen schläft, wie Eichendorff verkündete, ist unwiederbringlich verloren. Um so erfreulicher, dass uns heute dafür manch schöne, dichte und eigenwillige Klänge aus dem "Wettersturz" begleiten können.

Titelbild

Wulf Kirsten: Wettersturz.
Ammann Verlag, Zürich 1999.
90 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3250104027

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