Theatermann, erfolglos

Heinrich Manns Theaterstücke in neuer Ausgabe

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Das erste Stück war nicht viel. Das letzte gab drollige Sitten, bei schwacher Entknotung. Das mittlere Stück hat mir etwas gesagt." Alfred Kerr hat sich, wie es sich für einen prominenten Theaterkritiker gehört, kaum zurückgehalten mit Verrissen, auch nicht bei großen Namen, auch nicht bei Heinrich Mann. Mann, der - noch vor seinem Bruder Thomas - als vielleicht bester Romanautor seiner Zeit galt, das heißt vor allem der 1910er und 1920er Jahre, hat mit seinen Theaterstücken kaum Furore machen können. Die Stücke erlebten wenige Aufführungen, den wohlwollenden Kritiken standen nicht minder deutliche Ablehnungen gegenüber, von denen die Alfred Kerrs die bedeutendste ist. Bis auf das 1913 entstandene Revolutionsdrama "Madame Legros", das Mann selbst als sein erfolgreichstes Stück verstand und das in der Tat zahlreiche Aufführungen, auch an großen Häusern erlebte, ist Mann als Theaterautor wohl gescheitert.

Das wundert angesichts der Rezeptionszeugnisse nicht. Bei den Rezensionen ging es, wie der Herausgeber und Bearbeiter der nun erschienenen Ausgabe der Stücke Heinrich Manns, Volker Riedel zu berichten weiß, oft genug weniger um das aufgeführte Werk als um den Autor und seine Stellung in der und zur deutschen Kulturlandschaft: Wenn also Mann vorgeworfen wird, er sei in die Schule der "brutal-naturalistischen Russen", der "geheimnisvoll-grüblerischen Nordländer" und der "erotisch-frivolen Franzosen" gegangen und habe für die deutsche Theaterkunst nichts wirklich Gehaltvolles beizutragen, dann zielt eine solche Kritik auf den großen Autor der Moderne, der sich weniger auf's Gemüt und auf's Repräsentieren als auf das eingreifende Denken und Schreiben verstehen wollte. Kulturkampf eben auf dem Gebiet der Theaterkritik. Der aber hat Mann eigentlich nicht geschadet, sondern sein Profil geschärft und seine Position in der deutschsprachigen Literatur gestärkt. Er war zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer der ganz Großen in Deutschland, weshalb es ja auch nachvollziehbar ist, weshalb sich Manns Bruder Thomas an ihm abarbeitet und nicht an irgendeinem anderen Repräsentanten der Moderne zwischen 1910 bis 1920. Demgegenüber sind Verrisse wie die von Alfred Kerr von einem anderen Kaliber, verweisen sie doch darauf, dass Heinrich Mann als Theaterautor in der Tat nachrangig war.

An den Inhalten hat das nicht gelegen: Zweifelsohne hat Mann in seinen Dramen große Themen behandelt, die - unabhängig davon, ob wir sie heute für spielenswert halten - in ihrer Zeit Wirkung entfalten konnten (oder hätten entfalten können). Das Revolutionsstück "Madame Legros" ist wohl das beste Beispiel dafür. Die sich abkühlende Kriegsbegeisterung machten Stoff und Ausführung attraktiv. Das Stück wurde aufgeführt und besprochen, nicht zuletzt der Druck in den "Weißen Blättern" hat die Aufmerksamkeit für das Stück erhöht.

Dass sich Mann trotzdem nicht hat durchsetzen können, ist auch insofern erstaunlich, als das Theater nicht nur im Leben Manns eine zentrale Rolle einnahm, sondern auch in seinem Romanwerk. Berühmt sind die Theaterszenen im "Untertan" - brillant, wie Mann Diederich Heßling bei einer Wagner-Aufführung beobachtet. Ohne den Tingeltangel ist "Professor Unrat" nicht zu denken, und wir wären um einige wunderschöne und zum Teil groteske Filmbilder ärmer, wenn es dieses Buch nicht gegeben hätte (zum Beispiel die Röcke, die die arme und bewundernswerte Marlene Dietrich auf der Bühne hat tragen müssen). Oder die Beobachtungen und Beschreibungen, die Mann im "Henri Quatre" aneinanderreiht und die von einer Begabung für die Inszenierung von Auftritten zeugen. Wunderbar zu nennen sind auch zahlreiche Dialoge, ja, die Massenszenen, die Mann in seinen Romanen abliefert: In "Die kleine Stadt" zum Beispiel die Zuschauerkommentare und -dialoge, die die Opernaufführung begleiten. Da capo! Wer so etwas kann, der muss doch auch gute Arbeit fürs Theater liefern können.

In der Tat sind zahlreiche dramatische Arbeiten Manns aus Prosawerken entstanden, Prosawerken zudem, die zumeist schon dialogischen Charakter hatten. Die Übertragung allerdings ist anscheinend nicht gelungen. Dass aus der heutigen Perspektive die Sprache der frühen Stücke antiquiert, ihre Entwürfe wenig brisant wirken, wird man hinnehmen können. Schwer wiegender ist jedoch, dass Mann anscheinend der Ansicht war, dass sich die Stücke beinahe von selber schrieben. Dass ein Stück fertig sei, wenn die Szenenfolge feststeht, wie Mann mit Berufung auf einen "Tragödiendichter des 18. Jahrhunderts" schreibt, klingt im Nachhinein beinahe leichtsinnig. Dass ein Dialog, bei den richtigen Voraussetzungen, von selber abläuft - immerhin braucht man nur niederzuschreiben, was die Personen reden - ist für einen routinierten Dramenautor glaubhaft. Der war Mann aber nicht. Und ist es auch nicht geworden.

Dass die Überlieferung der Stücke bruchstückhaft blieb, ist angesichts dieser Situation kaum verwunderlich. Erst die von Alfred Kantorowicz im Auftrag der Akademie der Künste zusammengestellten "Ausgewählten Werke" brachten Manns Dramen im Jahre 1956 gesammelt in den Druck. Zuvor waren lediglich die drei Einakter "Der Tyrann", "Die Unschuldige" und "Varieté" gesammelt veröffentlicht worden. Die übrigen Dramen lagen nur als Manuskripte, Theatermanuskripte oder im Zeitschriftendruck vor, zum Teil an entlegenen Fundstellen. Selbst die Werkausgaben des Kurt Wolff-Verlags aus dem Jahr 1917 und des Paul Zsolnay-Verlags (1925-1932) haben das Theaterwerk des prominenten Romanciers, das im Wesentlichen aus den Jahren bis 1920 stammt, nicht berücksichtigt. Eine Neuausgabe, zumal in der mittlerweile vorzüglich aufbereiteten "Studienausgabe in Einzelbänden" war also genau das, was man sonst gern und unangemessen ein Desiderat nennt, das heißt höchst überfällig. Dabei gilt es nicht in erster Linie einen verkannten oder vergessenen Dramatiker wiederzuentdecken. Zu beurteilen, ob Heinrich Manns Dramenwerk heute noch spielbar ist, bleibt den Theaterleuten vorbehalten (daran zu zweifeln ist immerhin).

Bedeutender ist jedoch, dass mit der nun vorliegenden Ausgabe zweierlei geschehen ist: Eine Lücke im Werk Heinrich Manns wurde geschlossen, es liegen nun Materialien vor, über die nun einfacher und gehaltvoller zu reden ist. Zum anderen sind diese Stücke historische, literatur- wie kulturhistorische Dokumente, die Aufschluss geben können über Mentalitäten, Haltungen und Konzepte zum Beginn des 20. Jahrhunderts, über eine Zeit also, die uns so unglaublich fern zu sein scheint, mit der uns aber eine Menge verbindet.


Titelbild

Heinrich Mann: Madame Legros I. Sämtliche Schauspiele.
Herausgegeben von Volker Riedel.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
710 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3596167124

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Titelbild

Heinrich Mann: Madame Legros II. Sämtliche Schauspiele.
Herausgegeben von Volker Riedel.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
830 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3596167132

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