Bollywood an der Nordseeküste

Merle Kröger versteht sich in "Kyai!" auf kräftige Mischungen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lange ist es her, dass sich der Argument-Verlag vom Polit- zum Krimiverlag gewandelt, herabgelassen - oder auch gemausert - hat. Bei Argument werden immer noch politische Bücher gemacht. Daneben hat sich aber unter dem Namen Ariadne ein augenscheinlich erfolgreicher verlegerischer Seitenzweig etabliert, der sich, was die Qualität seiner Bücher angeht, beträchtlich gesteigert hat.

Boten die frühen Ariadne-Krimis nichts als feministisch gespiegelte hard boiled-Stories, scheint der Hang zum Komplexen und Komplizierten, zur Variation und zu Extremen auch in Hamburg Freundinnen gefunden zu haben. Nun soll man linken Verlagen nicht deshalb böse sein, weil vielleicht ihre große Zeit vorbei und ihr Resonanzraum ("die kritische Intelligenz") verschwunden zu sein scheint. Dieser Umstand spricht oft genug lediglich gegen das Publikum und nicht gegen den Verlag, der sich in der neuen Medienlandschaft verlassen und verloren vorkommen muss.

Vorbei die Zeiten, in denen die Argument-Bücher in jeden guten Bücherschrank gehörten. Die Generation "Argument" tritt vielleicht auch einfach nur ab. Der letzte "Lektürekurs Kapital" von Wolfgang Fritz Haug an der FU Berlin ist beinahe so etwas wie eine Epochenschwelle gewesen - zumindest hat er sie angezeigt. Die Zeiten haben sich geändert, der Argument-Verlag auch, Merle Krögers Krimi vermag das angemessen anzuzeigen. Warum? Zum einen weil das gesellschaftskritische Profil des Verlags auch in "Kyai!" deutlich zu erkennen ist. Zum anderen weil aus den kämpferischen Feministinnen kritische, nachdenklich, kämpferische und kämpfende und vor allem sehr kluge Frauen geworden sind (next generation, könnte man sagen): "Women are always smarter."

Was macht also Kröger, um sich als intelligente Autorin in einem linken Krimiverlag zu etablieren und sich dann auch sogar auf die Krimibestenliste im Januar 2007 zu katapultieren? Solche Anerkennung kommt nicht von ungefähr. Sie zeugt von einem guten und intelligenten Konzept, das ausgezeichnet in Text umgesetzt worden ist und schließlich auch noch hohen Unterhaltungswert hat. Krögers Qualität besteht denn auch nicht darin, dass sie umwerfend Neues böte. Keine Ausweitung der Gattungsgrenzen, keine stilistischen oder strukturellen Experimente, sondern gediegene, ja eigentlich attraktive Erzählkunst. Was in diesem Fall vor allem bedeutet, dass sie es schafft, zahlreiche Hauptdarsteller und Erzählstränge zu organisieren. Dabei hält sie die Spannung angenehm hoch, und dass obwohl eigentlich erst mal kein reales Verbrechen, kein Mord, kein Einbruch, kein Skandal zu vermelden sind. Am Ende gibt es zwar zwei Tote (eigentlich vier Tote, jedoch füllen die beiden zusätzlichen bestenfalls Nebenrollen aus), aber eben erst am Ende.

Beeindruckend ist Krögers Personal in jedem Fall: Eine von einem iranischen Vater und einer deutschen Mutter stammende Kampfkünstlerin, die als Bodyguard arbeitet und Jura studiert. Eine Dreißigjährige, die ihren Lebensgefährten an einen indischen Filmkomponisten verloren hat und nun mit einem mobilen Kino durch die norddeutschen Lande tourt (sehr erfolglos übrigens) und zufällig Spezialistin für Bollywood-Filme ist. Der Verflossene, ein Journalist, der nun in Indien lebt und versucht, seine von dort inspirierten Reportagen zu verkaufen. Der indische Komponist, der eine Scheinehe mit der Tochter eines Medienmoguls eingehen muss (was wiederum zu Konflikten mit seinem Geliebten führt). Die depressive Mutter der Kinotourerin. Eine schleswig-holsteinische Politgröße, der Ambitionen auf die Nachfolge des grünen Außenministers nachgesagt werden, ihr Mann, der Therapeut ist und unter anderem für die Bundeswehr arbeitet. Irgendjemanden vergessen? Tote Brüder, verlassene und verlassende Väter, Iraner im deutschen Exil, die Probleme von Kindern mit Zuwanderervätern in Deutschland, all das ist dabei noch zu nennen, aber darf hier als Streiflicht lediglich aufscheinen. Dass das nicht einfach zusammenzuhalten und zu einem einigermaßen vernünftigen Plot zu machen ist, dürfte diese kurze Parade wohl klar gemacht haben. Schauplätze sind im Wesentlichen das meerumschlungene norddeutsche Bundesland und das ferne Indien. Von dort kommen hauptsächlich Filme, die nun die bundesdeutschen Lande überschwemmen und für große Begeisterung sorgen.

Den Handlungsauftakt bildet dabei ein einigermaßen banales Ereignis, nämlich eine Saalpöbelei gegen die indischstämmige Filmvorführerin. Die Übeltäter sind in der benachbarten Kaserne stationiert. Als wegen des Vorfalls, bei dem nicht nur die Frau beschimpft, sondern auch noch deren Projektor zerstört wird, interveniert wird, mauert der örtliche Kommandant. Dass sich dahinter mehr verbirgt als eine einigermaßen dämliche Öffentlichkeitspolitik, zeigt sich, als einer der Beteiligten tot aufgefunden wird. Angeblich ertrunken. Dabei soll er kurz vorher im Iran gesehen worden sein. Ein fast klassischer Auftakt für einen Politthriller, in den dann nach und nach das gesamte Personal involviert wird. Daneben finden sich natürlich auch die mittlerweile unumgänglichen Findungs- und Trennungsgeschichten, die Einblicke in das Leben von Mitteleuropäern geben, am Beginn des neuen Jahrtausends und nach den Enttäuschungen, die sämtliche Erweckungs- und Befreiungshoffnungen der letzten Jahrzehnte.

Angenehm, dass Kröger, obwohl sie in extenso Bollywood-Material ankarrt, am Ende doch nicht das obligatorische Happy End, sondern offene Handlungsfäden bietet. Das mag nach Fortsetzung riechen, aber im Eigentlichen funktioniert so doch das wirkliche Leben.


Titelbild

Merle Kröger: Kyai!
Argument Verlag, Hamburg 2006.
372 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3886198960
ISBN-13: 9783886198962

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