Zickenzauber

Olivier Maus Roman "Myrtille am Strand" stellt eine neue Antiheldin vor

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was tun, wenn man zur Beerdigung des eigenen Vaters geflogen ist, eigentlich schon wieder abhauen will, und auf dem Flughafen wird von drei durchgeknallten und vollgedröhnten Killern ein Massaker verübt? Was tun, insbesondere dann, wenn man eine dreißigjährige Polizistin ist? Selbstverständlich gibt man den Kollegen vor Ort Auskunft, und wenn nötig bleibt man auch da. Auch dann, wenn das bedeutet, in das ungeliebte Vaterhaus zurückkehren zu müssen, um dort die verhasste Halbschwester samt halbwüchsiger Brut anzutreffen.

Familiengeschichten sind eine wüste Sache, vor allem dann, wenn Ehrgeiz eine Rolle spielt, kaum verhohlener Neid sowieso und Ansprüche aufs umfängliche Erbe zu verteidigen sind. Wenn dann noch hinzukommt, dass die beiden fraglichen Schwestern den Kampf ihrer Mütter um den gar nicht mehr so geliebten Vater ausfechten, dann lässt sich immerhin einiges erwarten. Wenn man denn Familiengeschichten mag. Der Rezensent mag sie nicht: Warum Töchter Väter verachten, weil sie angeblich oder tatsächlich ihre Mütter schmählich verlassen haben, kann man entweder nicht nachvollziehen oder man ist es am Ende nur noch leid. Solche Traumata verlieren, demonstrativ von den Autoren und ihren Helden vor sich hergetragen, mit der Zeit nach und nach an Schwere. Zumal dann, wenn sich die obligatorischen Liebesschwüre und Richtigstellungen häufen, in denen Väter, Mütter oder sonstige Traumatisierer klarzustellen versuchen, warum alles ganz anders war, alles nicht so gemeint und die Erinnerung hier mehr als trügt. Wie wäre es denn, wenn die normal durchgeknallten Typen einfach nur so durchgeknallt sind, und das, obwohl sich alle möglichen Sozialisierinstanzen die allergrößte Mühe gegeben haben?

Nichts gegen wirkliche Traumata, aber die Heilige Familie funktioniert gut oder schlecht und bringt gute oder schlechte Zöglinge hervor, die miteinander klar kommen oder eben nicht. Das aber sollen sie dann schon ganz schön selbst entscheiden dürfen und nicht immer alles auf die Zuchtanstalt Familie abladen. Zumal wenn man bedenkt, dass wir hier nicht von repressiven Elternhäusern reden, sondern von den heute so üblichen Patchwork-Familien mitsamt dem gewöhnlichen Psychokram. Soll heißen: Warum diese dämlichen Störmanöver in den Krimis? Warum packt Olivier Mau das alles in seinen Roman?

Nun, in diesem Fall hängt natürlich alles irgendwie doch zusammen. Das Massaker am Flughafen, der tote Vater, die zickige Schwester und alle anderen, die sonst noch durch die Szenerie stolpern dürfen (und es sind eine ganze Menge Gestalten, die Mau auf seinen paar Seiten zusammenbringt). Objekt einer Begierde, die derart ungezügelt ist, dass bis zum Ende noch eine ganze Menge Leichen hinzukommen, ist ein Renoir im Besitz des toten Vaters, dessen alter Besitzer spätestens jetzt wieder Rückerstattungsansprüche erhebt (selbstverständlich nicht gerichtlich, sondern via eigener, sagen wir "Kompetenz"). Das ahnt der alte Herr natürlich und legt ein paar falsche Fährten, denen dann alle möglichen Leute hinterherhecheln. Da von dem Ganzen allzu viele Randfiguren mitbekommen haben, gibt es Störfaktoren und Aberrationen en masse. Damit sich das alles löse, braucht es dann natürlich einen echten und sehr blutigen Showdown, an dessen Ende nicht nur das Bild an seine korrekte Eigentümerin zurückgelangt (die Guten also belohnt werden), sondern die Bösen auch bestraft werden. Dummerweise ist allerdings auch der Vater selbst tot, und schon sind die Familienangelegenheiten wieder Polizeisache.

Olivier Mau hat mit Myrtille, der asiatischen Schönheit in französischem Polizeidienst, eine Heldin erfunden, von der er behauptet, sie verstoße gegen alle Klischees des Genres - ist sie doch kleinmütig, großmäulig, unzuverlässig und nicht wirklich sympathisch. Die vermeintliche Antiheldin entpuppt sich bei näherer Betrachtung jedoch nur als weitere Variante im Spiel um die am meisten verkorksten Ermittlergestalten. Zugleich ist immer noch alles viel zu schön und erinnert deshalb auch an "Drei Engel für Charly". Die Sprüche sind zu cool, die vermeintlichen Kindheitstraumata werden quasi im Gesamtpaket mitgeliefert, ohne dass sie eigentlich wirklich eine Rolle spielten. Dass am Ende alles doch in der Familie bleibt - auch der Mord -, damit dann auch wirklich beide Handlungsstränge zusammenfinden können, wirkt ein wenig überkonstruiert. Alles muss besonders witzig, besonders gewagt, besonders schnell ablaufen, soll heißen: erzählt sein. Insgesamt also der Prototyp des modernen Buchautors, der moderne Romane schreibt, die Druck haben. Solche Jungs müssen dann auch auf dem Umschlagfoto Faxen machen und bekommen furchtbar originelle Paratexte. Die aber braucht wahrscheinlich keiner wirklich. Wer das, was als Maus Biografie hier geliefert wird, witzig oder gar informativ findet (wobei zu fragen ist, was ihm das beim Lesen des Buches hilft), der schaut wahrscheinlich auch "Germanys next Top-Model". Früher hätte man gesagt, solche Texte haben Schmiss, aber wer will das heute noch?


Titelbild

Olivier Mau: Myrtille am Strand.
Übersetzt aus dem Französischen von Richard Betzenbichler.
Shayol Verlag, Berlin 2006.
200 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3926126612

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