Ein Kostensteller weniger

Martin Suter bewegt sich in seiner Kolumnensammlung nur scheinbar "unter Freunden"

Von Lino WiragRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lino Wirag

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die ersten zwei "Business Class"-Bände waren wunderbar: Was der Schweizer Autor Martin Suter da für eine Arbeits- und Lebenswelt entwarf, mit diesem Personal, diesen Accessoires und vor allem - dieser Sprache: Suter beherrschte sie, die Codes und Kodizes des Oberen Managements, deren Vertreter sich "Chief Executive Officers" nennen, in "Human Resources" arbeiten und überhaupt ihre Viten nach kryptischen Systemen verschlüsseln: "Küttel und Baumann sind beide Ende Dreißig, beide Elektroingenieure, beide MBA, beide d/f/e mit Kenntnissen in it, beide vernetzt denkend, teamfähig und belastbar."

Suter persiflierte und parodierte das oft aufgeblasene und redundante Rotwelsch der Wirtschaftsmacher. Das war neu und reizte zum Lachen; die ironische, dabei nicht überhebliche Distanz des Erzählers kam lieb gewonnenen Vorurteilen entgegen; und jenseits von Kostenstellen, Handhelds und Humankapital traten die Menschen zutage, mit Schwächen, Eitelkeiten und Ressentiments. Und bewiesen, dass auch "wir" in der Economy Class mit den gleichen Problemen zu kämpfen hatten wie die Arbeitstiere "da oben".

Der dritte Band nun spielt keineswegs "unter Freunden", wie der Titel lächelnd suggeriert, sondern - wie auch die beiden ersten - unter analytisch denkenden Fressfeinden, die sich gegenseitig Arbeitsplätze, Boni und Sympathien streitig zu machen versuchen: Ein survival of the fittest scheint das obere Management, wie es Suter zeichnet, im Klammergriff zu halten - jeder bereitet sich darauf vor, an der entscheidenden Stelle gut dazustehen, sucht die Schwächen der anderen auszunutzen, um die eigene Stärken herauszustreichen. Die "deformation professionelle des Homo Oeconomicus" nennt Gieri Cavelty das.

Doch die "Geschichten aus der Business Class" sind strukturell und narrativ sehr ähnlich aufgebaut: Eine Figur (fast immer männlich) wird ein-, entlang- und schließlich (mit der obligatorischen Pointe) vorgeführt. Gerne tritt ein Überambitionierter ins Fettnäpfchen, weil er sich über-, und andere falsch eingeschätzt hat; gerne wird der Betreffende / Betroffene am Ende "freigestellt". Ein Kostensteller weniger.

Natürlich ist es auch der Form geschuldet, dass Thema und Durchführung einigermaßen feststehen: Schließlich dürfte die Leserschaft der Magazine, in denen Suters Kolumne erscheint, vor allem männlich und vom Ängsten über den Verlust ihres Arbeitsplatzes bedroht sein.

Und so erscheinen die neuen Business-Class-Geschichten zunehmend wie Warmschreib-Übungen für den beeindruckenden Erzähler Martin Suter (so in "Lila, Lila").

Wenn der Autor es sich aber handwerklich wirklich so leicht macht, wie hier behauptet wird, dann müsste sein Prinzip doch leicht anzuwenden, gar nachzubauen sein. In fünf Minuten zur Suterglosse also? Machen wir die Probe.

Wir brauchen:

1. Figur
2. Ziel
3. (übersteigerte) Mittel, die eingesetzt werden, um es zu erreichen
4. Gegenteil von 2. tritt ein (Pointe!)

Die Figur (1) erhalten wir, indem wir einmal auf die Tastatur tapsen ("dhlk") und die Konsonanten mit Vokalen auffüllen: Dahlke. Dahlke nun will (wir wählen die erstbesten Ideen) den Posten seines CEO (Managersprache!) besetzen (2). Der CEO heißt Leuher. Dahlke versucht deshalb, Leuher bei dessen Vorgesetztem (Insterbrück) - der als konservativ gilt - anzuschwärzen, indem er ein Geheimnis ausplaudert (3): Der Chef trägt rosa Unterwäsche. Das hat Dahlke auf der Toilette beobachtet.

Natürlich geht der Schuss nach hinten (4.) los - Insterbrück entgegnet kennerhaft: "Das müssen die neuen Calvin Klein sein; Leuher hat Geschmack, das muss ich mir merken - aber sind Sie wirklich hier, um mit mir über Unterhosen ihres Vorgesetzten zu reden?"; oder sagt milde lächelnd: "Meiner Frau ist auch schon mal eine rote Socke in die Maschine geraten - aber sind Sie wirklich hier, um etc." oder verschmitzt: "Ja, das tut er für mich - aber sind Sie wirklich hier usw."; sich jeweils eine Notiz mit dem Namen Dahlkes auf einem rosa (!) Memozettel machend.

Einverstanden: reichlich konstruiert. Aber das ist es ja auch.

Und deshalb, Herr Suter, gibt es einen kleinen Abzug in der B-Note (B wie Bauform). Aber wirklich nur einen kleinen. Denn Originale schafft nur das Original, und das sind - glücklicherweise - immer noch Sie.


Titelbild

Martin Suter: Unter Freunden. Und andere Geschichten aus der Business Class.
Diogenes Verlag, Zürich 2007.
198 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783257065688

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