Ein Zeitalter wird besichtigt

Zur Neuauflage von Curzio Malapartes Skandalroman "Die Haut"

Von Christoph JürgensenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Jürgensen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schon lange, bevor Malaparte mit seinen Skandalromanen "Kaputt" (1944) und "Die Haut" (1949) zu Weltruhm gelangte, ging ihm der Ruf eines 'Chamäleons', eines zwischen den politischen Extremen flottierenden Opportunisten voraus. Galt Malaparte Anfang der 20er-Jahre noch als einer der wichtigsten Autoren der faschistischen Bewegung in Italien, so setzte er seine Hoffnungen nach dem Sturz des Mussolini-Regimes auf die revolutionäre Kraft des Kommunismus, nahm nach dem gescheiterten Antrag auf Aufnahme in den PCI die Haltung eines autonomen Intellektuellen ein und soll noch kurz vor seinem Tod zum Katholizismus konvertiert sein. Er erscheint so als die lebendige Vorwegnahme von Jandls berühmtem Diktum: "manche meinen / lechts und rinks / kann man nicht / velwechsern. / werch ein illtum".

Sicher hat dieses Image Malapartes, der eigentlich Kurt Erich Suckert hieß und sein Pseudonym bezeichnenderweise als Antonym zu (Napoleon) Bonaparte auswählte, wesentlich zu den heftigen Reaktionen auf seine Texte und namentlich seine bis heute bekanntesten Romane "Kaputt" und "Die Haut" beigetragen. Doch schon die Werke selbst bergen hinreichend viel provokatorisches Potenzial für heftige Auseinandersetzungen in der literarischen wie politischen Öffentlichkeit, ein Potenzial, das sich damals schnell entfaltete: Zunächst sorgte "Kaputt" wegen der im Text ungelösten Spannung zwischen Dokumentation und literarischer Inszenierung einerseits und zwischen Komik und Tragik andererseits für Aufregung bei der italienischen Kritik und wurde dem Werk und damit gleichermaßen Malaparte als indifferenter Sarkasmus ausgelegt. Während die Reaktion auf "Kaputt" in Italien allerdings noch halbwegs moderat war und insgesamt versucht wurde, den Roman und seinen Autor zu marginalisieren, so löste die Veröffentlichung des formal und thematisch anschließenden Romans "Die Haut" dann einen veritablen Skandal aus. Fast einhellig wurde dem Roman Amoralität und Antipatriotismus vorgeworfen und er folgerichtig indiziert. Malaparte wurde mit einem Bann der Stadt Neapel belegt, weil deren Bewohner sich durch die Darstellung verunglimpft fühlten. Dennoch - oder gerade deshalb - wurde der Roman ein internationaler Sensationserfolg, der gerade auch im restaurativen Nachkriegsdeutschland (wo im Jahr 1950 zunächst "Die Haut" erschien, ein Jahr später dann "Kaputt") eine außerordentliche Resonanz erreichte und schnell über 300.000 Mal verkauft wurde.

Diese beiden Romane sind nun in Neuauflagen des Zsolnay Verlages zu besichtigen, und offensichtlich vermögen sie noch immer Kontroversen anzuregen: Als im Jahr 2005 zunächst "Kaputt" erschien, reagierten einige Kritiker nämlich begeistert auf diesen "verlegerischen Glücksfall" (so Kurt Flasch in der FAZ), während andere gereizt dagegenhielten, es handele sich hier nur um die Neuauflage der ästhetisch misslungenen "Rechtfertigungsschrift eines Mitläufers" (Yaak Karsunke in der FR). Und für "Die Haut", die nun vorliegt, sind ähnliche Reaktionen zu erwarten, denn in der Tat sind Malapartes Romanreportagen über den Krieg zumutungsreiche, verstörende Lektüren, die keineswegs nur wegen der Biografie ihres Verfassers die Frage nach dem Verhältnis von Ästhetik und Ethik provozieren.

Der Roman entwirft in zwölf Kapiteln und einer irritierend schillernden Legierung aus Fiktion, Essay und Reportage ein Sittenbild Italiens während des Befreiungskrieges der Jahre 1943/44, an dem der Ich-Erzähler als Offizier des italienischen Befreiungskorps teilnimmt - ein Ich-Erzähler übrigens, der zwar 'Curzio Malaparte' heißt und der Verfasser von "Kaputt" sein soll, aber nicht mit dem empirischen Autor Malaparte verwechselt werden darf, denn das Spiel mit der Unschärfe zwischen Wahrheit und Fiktion ist wesentlich für die Poetik des Textes.

Gleich der erste Satz der Aufzeichnungen macht deutlich, was für ein Szenario auf den Leser wartet: "Es waren die Tage der 'Pest' in Neapel." Mit der Ankunft der Amerikaner ist die moralische Seuche in die Stadt eingezogen, eine Stadt, die nicht nur stellvertretend für den ethischen Verfall Italiens, sondern vielmehr den "Haufen fauligen Fleisches" insgesamt steht, als der Europa erscheint. Dieser Diagnose entsprechend trifft der Erzähler auf Gängen durch die Stadt, die er mit amerikanischen Soldaten unternimmt, auf eine moralisch verfallene, korrupte Welt, in der alles zu Ware wird und jeder jeden und sich selbst verkauft - und zwar im wörtlichen Sinn, denn Prostitution ist allgegenwärtig. Besonders anschaulich wird diese Käuflichkeit des Menschen in einem "Die Jungfrau von Neapel" überschriebenen Kapitel: Der Erzähler begleitet einen amerikanischen Offizier zur Vorführung einer Jungfrau, und dem Leser bietet sich das schockierende Bild, wie Soldaten geduldig anstehen, um für einen Dollar einen Blick auf ein junges Mädchen zu werfen, dass ihnen mit gespreizten Beinen ihre Jungfräulichkeit präsentiert - und daneben steht ihr Vater und rühmt sie mit den Worten: "She is a virgin, you can touch."

Der Krieg hat offensichtlich keine höhere Idee überleben lassen, er ist zu einem amoralischen Kampf gegen den Hunger und um die nackte Haut geworden, wie Malaparte in einer Passage erklärt, der der Roman seinen Titel verdankt: Auf die Frage eines Generals, was die Italiener moralisch so zugerichtet habe, zieht Malaparte die Haut auf seinem Handrücken hin und her und antwortet: "Einst erduldete man Hunger, die Folter, die schrecklichsten Qualen und Entbehrungen, man tötete und man starb, man litt und machte leiden, um die Seele zu retten, die eigene Seele und die der anderen. [...] Es ist die moderne Zivilisation, diese Zivilisation ohne Gott, welche die Menschen zwingt, ihrer eigenen Haut eine solche Bedeutung beizumessen. Es ist nichts als die Haut, was heute zählt."

In immer neuen, grausigen Bildern erzählt Malaparte von diesem Kampf um die eigene Haut. Er erzählt davon, wie ein Mann beim Einmarsch der Alliierten in Rom von einem Panzer überrollt wird und wie "ein Teppich aus Menschenhaut" auf dem Boden zurückbleibt, erzählt von dem so grotesken wie apokalyptischen Schauspiel, das sich ihm bietet, als die Menschen vom Ausbruch des Vesuvs aus ihren unterirdischen Höhlen getrieben werden, in die sie vor den Bombardements geflohen sind. Und immer wieder berichtet er davon, wie er den naiven, seelisch gesunden Amerikanern vergeblich das "mysteriöse" Europa zu erklären versucht, das sich mit cartesianischer Vernunft nicht verstehen lasse.

Man mag Malaparte das gelegentlich Effekthascherische seiner Ästhetisierung des Schreckens vorwerfen, die Zuspitzung des Grauenhaften, um eine Pointe zu erzielen, ebenso wie seinen Hang zur Selbststilisierung, ja die Eitelkeit, mit der er sich immer wieder in der Schande des Besiegten zelebriert und so moralisch erhöht. Dennoch lässt sich kaum an seiner Absicht zweifeln, die schreckliche Wahrheit des Krieges in der Übertreibung und Überzeichnung gleichsam noch 'wahrer' und schrecklicher zu machen und ihr auf diese Weise jede Romantik zu nehmen. Und vor allem enthüllen nur wenige Romane so eindrucksvoll die "abgründige Dialektik von Besiegen und Befreien", wie Thomas Steinfeld in seinem instruktiven Nachwort zu Recht betont, eine Dialektik, die der pessimistischen Anthropologie Malapartes zufolge nicht nur die italienische, sondern vielmehr jede Nachkriegswirklichkeit prägt und in den Schlusssatz des Romans mündet: "Es ist eine Schande, im Kriege zu siegen."


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Curzio Malaparte: Die Haut. Roman.
Übersetzt aus dem Italienischen von Hellmut Ludwig.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2006.
448 Seiten, 25,90 EUR.

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