Eine Schriftstellerin wider Willen

Briefe der Luise Adelgunde Victorie Gottsched

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Erfahrung, dass auch Männer, die sich für eine gewisse Emanzipation der Frau einsetzen, im Verhältnis zur eigenen Ehegattin, Geliebten oder Freundin oft ganz anderen Maximen folgen, musste schon vor gut einem viertel Millennium Luise Adelgunde Gottsched, geb. Kulmus, machen. Ihr Mann, Johann Christoph propagierte zwar ein Bildungsprogramm der „weiblichen Gelehrsamkeit“, das ganz aufklärerisch die Entwicklung von Kritikfähigkeit und zudem die Möglichkeit einer gewissen Teilnahme am Literaturbetrieb eröffnen sollte, seine Ehegattin Luise aber unterwarf er einer doppelten Ausbeutung. Neben der üblichen als Hausfrau machte er sich zudem ihre außergewöhnlichen intellektuellen Fähigkeiten zu Diensten. „Sie trieb Quellenforschung für seine sprachwissenschaftlichen Arbeiten, bibliographierte Dramen und Lustspiele […] und übersetzte Werke“, listet Inka Kording auf, die Herausgeberin der nach 225 Jahren erstmals wieder zugänglichen Briefe Luise Gottscheds.

Allerdings zeichnete sich Luise Gottsched ihrerseits gewiss nicht durch antipatriarchalische Rebellion aus, weder privat noch gesellschaftlich. Vielmehr war sie der Ansicht, dass die „Unterwerfung unter den Anspruch des Mannes auf Überlegenheit zwar beklagt, aber nicht bezweifelt“ werden dürfe. Daher scheint Kordings Vermutung zweifelhaft, dass sie der „Vorstellung einer ehelichen Partnerschaft mit wechselseitiger Unterstützung huldigte“. Zutreffender dürfte Lessings Urteil sein, der sie für „eine viel zu brave Ehefrau“ hielt, „als daß sie sich nicht den kritischen Ansprüchen ihres Gemahls blindlings hätte unterwerfen sollen“.

Die „intellektuelle und hochgebildete“ Louise Gottsched nahm die Vorherrschaft des Mannes nicht erst in der Ehe hin. Schon als Verlobte war sie der Auffassung, dass „Frauen in Männerdomänen nichts zu suchen“ hätten und dass „eine gelehrte Frau […] keine angenehme Gesellschafterin für ihren Mann“ sein könne. 1732 spottete sie über die damals bekannte Philosophieprofessorin Laura Bassi: „Ich vermuthe, daß, wenn dieser junge Doctor Collegia lesen wird, solcher in den ersten Stunden mehr Zuschauer, als in der Folge Zuhörer bekommen möchte.“ Man fühlt sich unangenehm an Immanuel Kant erinnert, der 34 Jahre später gelehrten Frauen, wie der „Marquisin von Chastelet“, empfahl, sich doch bitteschön gleich einen Bart wachsen zu lassen.

Die Intellektuelle Luise Gottsched konnte unter diesen Bedingungen, der doppelten Ausbeutung durch ihren Mann und ihrer eigenen Haltung intellektuellen Frauen gegenüber, kaum anders, als eine doppelt unglückliche Ehe und ein ebensolches Leben führen. Es sei „nichts als ein abwechslungsreiches Leiden“, klagt sie in einem Brief aus ihren letzten Jahren.

Die von Inka Kording vorgelegte Edition der Briefe Luise Gottscheds legen beredtes Zeugnis von der „Lebenstragik“ der „Schriftstellerin wider Willen“ (Silvia Bovenschen) ab, die trotz und neben ihrem Hausfrauendasein und einer über die Tätigkeit einer Amanuensa weit hinausreichende Hilfe für Gottsched noch Geist genug hatte, selbst Lustspiele, Theaterstücke und Aufsätze etwa „Ueber die Gelehrsamkeit des Frauenzimmers“ zu verfassen.

1771/72, zehn Jahre nach dem Tod der nur 49-jährigen, wurden Luise Gottscheds Briefe von Dorothea von Runkel, mit der sie eine „tiefe Freundschaft“ verband, erstmals herausgegeben. Die Neuveröffentlichung folgt dieser Edition dankenswerterweise bis ins Detail. Auch wurde aus guten Gründen die ursprüngliche Grammatik und Orthographie beibehalten. Hätte doch, wie die Herausgeberin feststellt, „jede noch so behutsame Modernisierung immer auch einen Verlust an Authentizität“ bedeutet. Ein zwar auf das nötigste beschränkter, gleichwohl aber informativer Kommentar erläutert die wichtigsten historischen Sachverhalte und beantwortet anfallende Fragen über Personen, Schauspiele oder Publikationen. Eine Zeittafel erleichtert die Orientierung.

Titelbild

Inka Kording: Louise Gottsched - mit der Feder in der Hand. Briefe aus den Jahren 1730-1762.
wbg – Wissen. Bildung. Gemeinschaft, Darmstadt 1999.
393 Seiten, 43,50 EUR.
ISBN-10: 3534137418

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