Unausgereift

Johann A. Sajdowskis "Maßgebliche Gedanken" sind eher unmaßgeblich

Von Josef BordatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josef Bordat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Jeder ist ein Philosoph." Das bekannte Diktum Karl Poppers stand wohl Pate bei der Idee des "unmaßgeblichen" Johann A. Sajdowski, 20 Jahre lang eine stattliche Zahl "maßgeblicher Gedanken" zu sammeln und als Buch zu publizieren. Beachtlich ist dabei der Mut, der zweifelsohne hinter der Entscheidung steht, die Öffentlichkeit an einer Art "philosophischem Tagebuch" teilhaben zu lassen. Vielleicht liegt darin aber auch schon die Hauptschwäche des Buches: Vieles kann nicht nachvollzogen werden, weil es für den Außenstehenden schlicht unverständlich ist, anderes wiederum - mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit formuliert - kratzt allzu sehr an der Oberfläche.

Doch der Reihe nach. Der Titel "Maßgebliche Gedanken eines Unmaßgeblichen" macht zunächst neugierig, die kurze "Einleitung" mit der Rede von "Aphorismen und Sentenzen", die einer "ständigen Auseinandersetzung mit philosophischen Fragen" entsprungen seien, noch viel mehr. Das folgende professorale nihil obstat des Religionsphilosophen Hermann Schrödter macht stutzig, rechtfertigt dieser doch zunächst einmal die Herangehensweise des Verfassers, indem er dessen "Philosophieren" zur akademischen "Philosophie" in das Verhältnis setzt, in dem Religion und Theologie zueinander stehen. Doch dieser Discount auf den Anspruch, den Schrödter damit gibt, bestärkt eher die Vorfreude auf eine erfrischende Lektüre. Zudem weckt der Verfasser selbst gewisse Erwartungen, durch seine, nun ja, recht unbescheidene Ankündigung "faszinierender Spuren philosophischer Beschäftigung", die dem Leser zu einem "philosophischen Appetitanreger" werden sollen.

Leider bleibt es in der Tat bei fader Hausmannskost, zumindest, wenn man die Gedanken des Autors an seinen eigenen Ansprüchen misst. Zur Erinnerung: Unter Aphorismus versteht man eine kurzgefasste Aussage, die schlagkräftig und prägnant einen bestimmten Gedanken erhellt oder eine Sache genau auf den Punkt bringt. Andere Attribute zur Typologisierung sind "geistreich", "originell" und "subjektiv". Das einzige, was im vorliegenden Fall mit Sicherheit bestätigt werden kann, sind die Kriterien "kurzgefasst" und "subjektiv". Der Verfasser kocht sein eigenes Süppchen, was sein gutes Recht ist. Doch liegt der Sinn einer Buchveröffentlichung im Mitteilungswert und der Vermittelbarkeit der Aussagen.

Die Gedanken, die mal an das Niveau eines "Sponti-Spruchs" heranreichen, mal als vordergründiger Sprachwitz formuliert sind und mal als interessante Frage ohne Antwortversuch in den Raum gestellt werden, diese Gedanken "Aphorismen" zu nennen, ist denn wohl auch nicht mehr nur mutig, sondern schon übermütig. Auch nach wohlwollender Suche sind mir nur wenige Bemerkungen aufgefallen, die als Aphorismen lesenswert sind. Man meint zum einen, vieles von dem, was der Verfasser erdacht hat, schon zur Genüge zu kennen. Zum anderen bleibt bei dem wenigen Neuen das große "Aha-Erlebnis" aus, das man von den Aphorismen Senecas, Blaise Pascals und Lichtenbergs kennt. Oder von Mark Twain, Oscar Wilde und Kurt Tucholsky. Man vermisst das raffinierte, alogisch-paradoxe, ironisch-witzige Moment, das die Gedanken großer Aphoristiker so prägnant und unvergleichlich macht.

Das Problem liegt dabei schon im Ansatz begründet. Marie von Ebner-Eschenbach schrieb einmal: "Ein Aphorismus ist der letzte Ring einer langen Gedankenkette." Der letzte Ring! Er ist also ein gesättigter Gedanke am Ende konzentrierter Betrachtung. Als ein solcher vermag er anderen Menschen etwas auf unterhaltsame und kluge Art mitzuteilen. Ob es dagegen sinnvoll ist, den 20jährigen Prozess des eigenen Betrachtens mit allen Wirrungen und Irrungen in kurzen Sätzen mitzuteilen, mag nach der Lektüre des Buches stark bezweifelt werden.

Bleibt der (es scheint: unredigiert wiedergegebene) E-Mail-Wechsel mit Professor Schrödter ("Exkurse"), der sich interessanter Fragen annimmt, etwa der nach dem Spannungsverhältnis von "Vernunft und Glauben" oder - ganz aktuell - der "Neurophilosophie" oder auch den anthropologischen Dauerbrennern zur Stellung des Menschen in der Welt. Aber auch dieser Informationsteil ist schwach. Zwar tut "Hermann" seine Pflicht und gibt auf "Johanns" Fragen brav Antworten im Stil eines Schülerlexikons, aber auch dafür lohnt die Lektüre kaum - für den Einstieg in Sachfragen gibt es schließlich "Wikipedia". Man vermisst bei den Erläuterungen den Anschluss an bedeutende Denker, die es ja in den letzten 2500 Jahren durchaus gab, und die uns auch interessante Antworten auf die Fragen des Verfassers hinterlassen haben. Doch die Möglichkeit, ideengeschichtliche Linien zu ziehen, wird vertan.

Leider steht die äußere Form dem schwachen Inhalt kaum nach: Selbst beim Überfliegen finden sich zahlreiche Druckfehler, so dass sich insgesamt ein sehr unprofessionelles Erscheinungsbild ergibt, das ein besseres Prädikat als "unausgereift" nicht zulässt. So liegt die Stärke des vorliegenden "philosophischen Tagebuches" schließlich einzig in der befreienden Bedeutung für den Autor, der jedoch an seinen eigenen hohen Ansprüchen scheitert.


Titelbild

Johann A. Sajdowski: Maßgebliche Gedanken eines Umaßgeblichen.
Die Blaue Eule Verlag, Essen 2007.
113 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-13: 9783899241808

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