Heilige Sünderinnen, charmante Biester und Self-made-women

Brigitte Ebersbach gibt zehn Porträts weiblicher Idole der 1950er-Jahre heraus

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Fünfziger Jahre, war das nicht jene graue Vorzeit, in welcher der ritterliche Tänzer auch schon mal das Mauerblümchen aufforderte, der Herr beim Restaurantbesuch die Speisekarte erhielt, um der Dame daraus einige Gerichte vorzuschlagen, aus denen sie dann auswählen durfte, und die - wie es in einem zeitgenössischen Ehe-Ratgeber hieß - "gescheite Frau" nicht ausgerechnet dann zur natürlich stets bereitliegenden Handarbeit griff, wenn der Mann gerade "etwas wichtiges" zu erzählen hatte?

Richtig. Es war aber auch die Zeit von Frauen wie Hildegard Knef, Françoise Sagan und Marilyn Monroe. Sie und einige andere weibliche "Idole der 50er-Jahre" werden in einem von Brigitte Ebersbach unter dem Titel "Engel und Sünderinnen" herausgegebenen Sammelband vorgestellt. Vermutlich ist es das Ziel des Buches, auf die Frauen aufmerksam zu machen, auf ihre Filme, ihre Bücher und auf sie selbst als Personen.

Dies gelingt ihm zweifellos. Ob allerdings alle der porträtierten Frauen in den 50er-Jahren tatsächlich Idole gewesen sind, mag dahingestellt bleiben. Marlen Haushofer, deren von Jutta Rosenkranz verfasstes Porträt unter der zutreffenden Überschrift "Schriftstellerin und Hausfrau" steht, dürfte wohl kaum eines gewesen sein. Weder eignete sich ihre Persönlichkeit dazu, noch erreichten sie oder ihre Bücher den dazu notwendigen Bekanntheitsgrad.

Mit einem wirklichen Idol nicht nur der 50er-Jahre (zumindest was große Teile der weiblichen Bevölkerung betrifft), sondern der Frauenbewegung der gesamten zweiten Hälfte des 20 Jahrhundert wie auch des beginnenden 21. wird die Reihe der Porträts eröffnet. Von wem anderen, als von Simone de Beauvoir könnte die Rede sein. Doch sie wie Nathalie Hillmanns in ihrem Porträt als "sagenumwobene Gestalt" mit einer "sagenumwobenen Lebensweise" zu beschreiben, die nicht weniger als eine in den "Olymp der Frauenbewegung" aufgestiegene "Lichtgestalt" sei, klingt dann allerdings doch selbst für eine Frau von der Bedeutung Simone de Beauvoirs allzu hymnisch. In der Entrückung ihres Lobgesanges greift Hillmanns auch schon einmal zu nicht eben glücklichen Bildern und preist de Beauvoirs Buch "Das andere Geschlecht" als "Bibel der Frauenbewegung".

Wie Bitte? Bei der Bibel handelt es sich bekanntermaßen um ein aller Vernunft Hohn sprechendes Buch, in dem eine Menge Unsinn steht, der jedoch von den Schriftgläubigen unbefragt für bare Münze genommen wird. Eine solche Metapher hat weder de Beauvoirs Buch noch die Frauenbewegung verdient. Über den Inhalt des so gepriesenen Werkes, das seine Autorin "zum Vorbild einer ganzen Generation von Frauen" machte, verrät Hillmanns wenig. Auch gerät ihr das Porträt ihrer Protagonistin nicht ganz widerspruchsfrei. So unterstreicht sie einerseits, "mit welcher Naivität Simone de Beauvoir und auch Sartre mit ihrem Leben an die Öffentlichkeit gehen" konstatiert aber andererseits, dass "[d]ie eher zurückhaltende Beauvoir [...] ihre Gefühle selbst Nahestehenden nur selten offenbart" habe. All dies wird mit gelegentlichen Geschlechterklischees garniert. So etwa mit dem, dass "jeder Mann Tränen hasst und sich von den anderen [Geliebten] nicht trennen kann".

Auch der Beitrag von Unda Hörner über Ingeborg Bachmann bedient ein Klischee - und zwar schon gleich im Titel, der die österreichische Autorin als "Diva und Denkerin" apostrophiert. Vermutlich ist es allerdings in erster Linie dem Wohlklang der Alliteration anzulasten, dass Hörner das bekannte Bachmann-Klischee der Diva aufgreift. Denn im Text hält sie sich von derlei Zuschreibungen eher fern und konzentriert sich weitgehend auf ihre ganz persönliche Leseerfahrung bei der Lektüre von Bachmanns Werken.

Ganz anders als Hillmanns hagiografisch anmutender Beitrag wirft Corinna Weidner einen durchaus kritischen Blick auf das Leben und Werk ihrer Protagonistin, die "[h]eilige Sünderin" Hildegard Knef. Dass das "Sexsymbol mit intellektueller Ausstrahlung" in ihren Filmen "ganz offensichtlich nur dann richtig überzeug[en konnte], wenn die Rolle ihre eigene Verfasstheit, ihr eigenes inneres Bild trifft", ist ja fast schon eine vernichtende Kritik der schauspielerischen Fähigkeiten Knefs. Ganz nebenbei ruft Weidner in ihrem gelungenen Porträt die seinerzeit gegen den 1950 gedrehten Film "Die Sünderin" von christlicher Seite angefachte Hetze in Erinnerung, die der Geistliche Carl Klinkhammer 1993 noch einmal rechtfertigen durfte.

Weit gelungener als der Text zu de Beauvoir ist auch das Porträt des "charmante[n] Biest[es]" Françoise Sagan, die nach einem Selbstzeugnis Whisky, Ferraris und Glückspiel "[a]lles in allem [...] unterhaltsamer" fand als "Strickzeug, Haushalt und Ersparnisse". Susanne Nadolny stilisiert Sagan zwar etwas über Gebühr, charakterisiert sie aber im Ganzen doch recht zutreffend.

Gleiches gilt für das von Gertrud Lehnert entworfene Bild der "Selfmade-woman" Coco Chanel, die in den 1950er-Jahren den misogynen Zumutungen des Modeschöpfers Christian Dior mit eigenen Kreationen Paroli bot. Zurecht geißelt Lehnert Diors Entwürfe nicht nur als "ästhetischen Rückschritt", sondern auch als "Rückgriff auf ein veraltetes Frauenbild: das des abhängigen Weibchens, das den Reichtum des Mannes demonstrativ zur Schau stellt und sich darin erschöpft, schön, sexy und nutzlos zu sein". Merkwürdig mutet allerdings an, dass Lehnert den "unpraktischen Pomp" von Diors Mode "wunderschön" findet.

Einen der Glanzpunkte des Bandes bietet zweifellos das bereits erwähnte Porträt Haushofers, deren "Doppelleben" als "Hausfrau, Mutter, Zahnarztgattin - und Autorin" Rosenkranz den Lesenden lebendig vor Augen setzt. Auch erinnert sie an manch wichtiges Detail der Autorinnen-Biografie. So erwähnt Rosenkranz etwa, dass Hans Weigel Haushofer riet, einen "frühen Romanentwurf" nicht zu publizieren. Heute muss der Text als verloren gelten. Haushofer, so vermutet Rosenkranz, hat das Manuskript verbrannt. Dass dem patriarchalischen Mann, der sich gerne als Förderer junger Nachwuchsautorinnen gerierte, zu denen er flugs ein Liebesverhältnis begann, einen Text nicht mochte, "in dem ein paar Frauen gemeinsam einen lästigen Mann ermorden", kann man sich leicht vorstellen.

In Rosenkranz' Porträt kommt Weigel dennoch - ebenso wie in Hörners Beitrag zu Ingeborg Bachmann - erstaunlich gut weg. Das dürfte einer der wenigen Punkte sein, die in dem Beitrag zu monieren sind. Ein anderer ist Rosenkranz' Interpretation von Haushofers großem Roman "Die Wand", der Rosenkranz zufolge "die radikale Abkehr einer Frau von der Welt beschreibt". Eine Abkehr ist eine aktive Handlung, die einen entsprechenden Entschluss voraussetzt. Haushofers Protagonistin wacht dagegen eines Morgens auf und findet sich auf ihrer Almhütte ganz ohne ihr Zutun - und auch ganz ohne entsprechenden Wunsch oder Willen - durch eine undurchdringliche, gläsernen Wand von der Welt abgeschnitten.

Mag Haushofer auch nicht gerade ein Idol der 50er-Jahre gewesen sein, weit wichtiger ist, dass zahlreiche ihrer Werke wie etwa "Die Wand" oder auch "Wir töten Stella" die Jahrzehnte unbeschadet überstanden haben und heute so lesenwert sind wie eh und je. Manche Passagen ihrer Bücher gewinnen in einer Zeit, in der verschiedene Herren und eine Eva das Hohe Lied auf Mutterschaft und Hausfrauendasein anstimmen, gar an Aktualität.

"Eine Frau", schreibt Haushofer in ihrem Roman "Die Tapetentür", "die ein Kind hat, hört auf, ein freier Mensch zu sein", und in einem Brief klagte sie einmal: "Die Hausarbeit wird mir auch sauer und hängt mir nachgerade zum Hals heraus, weil sie idiotisch ist und mich nur Zeit und Kraft kostet." Glücklicherweise besaß sie genügend Kraft, der Hausarbeit die Zeit für ihre wunderbaren Bücher abzuringen, die all jene sollten lesen, die das Hausfrauenleben noch immer als ein erfülltes Dasein propagieren. Nein, überhaupt alle sollten sie lesen. Alle!


Titelbild

Brigitte Ebersbach (Hg.): Engel und Sünderinnen. Idole der 50er Jahre.
ebersbach & simon, Berlin 2006.
232 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-10: 3938740221

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