Reisen Helden pauschal?

In "Die Heldenreise im Film" beschneidet Joachim Hammann die vielfältigen Erscheinungsweisen der bewegten Bilder auf der Leinwand

Von Martin RichlingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Richling

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist ja ein ehrenwertes Unterfangen, wenn sich jemand gegen all die normativen und eingleisigen Vorgaben eines Syd Fields oder anderen Drehbuchgurus wendet und einen Ausweg aus dem eng geschnürten dramaturgischen Korsett des Drehbuchschreibens verspricht.

So ist man anfangs noch gerne bereit, einem solchen Buch Dinge nachzusehen, die man unter der Kategorie ,falsch aber verständlich' einordnen könnte. Beispielsweise, dass Hammann den schriftlichen als den eigentlichen schöpferischen Akt bei der Entstehung eines filmischen Werkes ausruft und die Gemeinschaftskunst Film, das enge Miteinander von Autoren, Regisseuren, Kameraleuten, Schauspielern, Ausstattern und Produzenten ignoriert. Schließlich ist der Autor ja auch selbst Drehbuchautor und die Stärkung der eigenen Position ein nachvollziehbares Anliegen. Noch so einiges mehr wäre man bereit zu überlesen, wenn nicht die sich in einem ärgerlichen Duktus der Ausschließlichkeit stetig wiederholende Hauptthese die verschiedenen Facetten des Films noch mehr ignorierte, als es in der einschlägigen Literatur zum Thema schon geschieht. Hammanns Patentrezept für gute, bewegende Filme ist dabei weder neu noch vergessen. Es lautet schlicht: Der Held muss eine Entwicklung durchmachen. In Hammanns Worten: Er muss eine Reise unternehmen.

Damit diese Weisheit (sie ist unter anderem in jedem Drehbuchhandbuch zu finden) etwas glitzernder daherkommt, bettet Hammann sie gleichermaßen in einen neuen Kontext ein, wie er dafür den Film aus allen bekannten Zusammenhängen reißt: Letzteres bereitet dem Leser schon erhebliche Kopfschmerzen. Im Tonfall höchster Überzeugung teilt uns der Autor mit, dass der Film keine dramatische Kunst sei und deshalb auch keine Gemeinsamkeit mit dem Theater oder dem Roman teile, vielmehr stehe er in der Tradition der Mythen, und noch viel früher der Initiation.

Zu den visuellen Künsten sieht Hammann schon gar keine Nähe, da die Bildsprache betreffend "sich Amateur- und Pornofilme ja nicht wirklich von den Meisterwerken des Kinos unterscheiden: Großaufnahmen, Nahaufnahmen, Totalen, Schwenks". Bei einer derartigen Naivität und Unkenntnis gegenüber der Bildlichkeit des Films muss man sich ernsthaft fragen, ob manche Drehbuchautoren statt dramaturgischen Ratgebern nicht eher Fortbildungskurse in visueller Gestaltung nötig hätten. Kein Autor käme wohl auf den Gedanken, den Roman eine nicht sprachliche Kunst zu nennen, da ja schließlich sowohl die Werke Goethes wie Gebrauchsanleitungen aus Wörtern, Silben und Satzgefügen bestehen.

Die in dem Buch vorgenommene Betrachtung der Heldenreise unter psychologischen Gesichtspunkten ist dabei keinesfalls missglückt, in den meisten Punkten sogar durchaus nachvollziehbar und stimmig. Durch Identifikation mit dem Helden erlebe der Rezipient eine Katharsis, die ihm helfe, von seinem unvollständigen, schwachen Ich zu seinem wahren Selbst zu finden. Der Drehbuchautor sei somit weniger Künstler als Therapeut und stehe ganz in der Tradition der Schamanen. Mit dem Rückgriff auf C.G. Jungs Kategorien des ,Ichs' und des ,Selbst' bezeichnet Hammann gleichsam Ausgangspunkt und Ziel jeder Heldenreise. Die ebenfalls auf Jung referierenden vier Funktionen des Willens, des Geistes, der Emotion und der Spiritualität bieten ein jederzeit passendes Gefüge, das erklären kann, warum der Held zu Beginn der Handlung unvollständig ist und warum er überhaupt eine Reise anzutreten hat: Um eine dieser inferioren Funktionen zurückzugewinnen.

Leider mindern die häufig fast wörtlichen Wiederholungen der Thesen sowie die in der Manier eines amerikanischen Motivationstrainers daherkommenden kurzen und affirmativen Sätze immer wieder die Freude an den oft treffenden Beobachtungen zur (Mikro-)Struktur der Heldenreise. Auch fragt man sich, warum ausgerechnet der Film die therapeutische Funktion mehr erfüllen soll als die anderen Künste - und vor allem ausschließlich diese. Hammann beantwortet dies mit der mehr als fragwürdigen These, dass die "bewegten, lebendigen Bilder uns ein naturgetreues Abbild der Wirklichkeit zeigen", so dass der Zuschauer sich hier am einfachsten mit dem Held identifizieren könne.

Wenn Hammann sich mehrmals explizit wundert, warum die Filmtheorie seinen Ansatz nicht schon längst entdeckt hat, tritt ein grundsätzliches Problem des Buches zu Tage. Eine Theorie macht sich zur Aufgabe, einen bestimmten Bereich in dessen Gesetzmäßigkeiten, Regeln und Begriffe zu zergliedern, während Hammann einen Teilbereich, eine Teilfunktion des Filmes heranzieht, um dann alles, was hier nicht herein passt, als misslungen zu betrachten. Dabei gibt es durchaus seit langem eine funktionierende psychoanalytische Filmtheorie, die etwa den ,psychischen Apparat' aus der Freud'schen Terminologie analog zum ,kinematographischen Apparat' (Baudry) setzt.

Im Gegensatz zu Hammanns Ansatz ermöglicht dieser Gedanke, sämtliche Filme in ihrem Zusammenwirken mit dem Zuschauer zu sehen und nicht nur einen (großen) Teil. Viele Filme, die Hamman heranzieht, passen wunderbar in die Tradition der Heldenerzählungen, viele aber eben auch nicht. Es macht einfach keinen Sinn, einen neorealistischen Klassiker wie Luchino Viscontis "Rocco und seine Brüder" (1960) unter dem Aspekt der Heldenreise zu betrachten und ihn dann als misslungen zu bezeichnen, wie es hier geschieht. Gerade dieser Film macht deutlich, dass es noch viel mehr erfolgreiche Möglichkeiten im filmischen Kosmos gibt, den Zuschauer zu berühren als die Heldenreise.


Titelbild

Joachim Hammann: Die Heldenreise im Film.
Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2006.
600 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3861507625

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