Moderner Mythosbegriff - Ingeborg Robles spürt Familie, Sprache und Zeit als mythischen Strukturen im Frühwerk Thomas Manns nach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Interessieren sich LiteraturwissenschaftlerInnen für die literarische Verarbeitung von Mythen im Werk Thomas Manns, wenden sie sich in aller Regel dessen späten Romanen zu, allen voran der Josephus-Trilogie. Ingeborg Robles spürt in ihrer Dissertation hingegen den mythischen Strukturen im Frühwerk des Autors nach.

Im Anschluss an eine von Vico bis zu Benjamin und Blumenberg reichende philosophischen Tradition definiert die Autorin Mythos als Simultanität beziehungsweise Duplizität einer "Wirklichkeitsübermacht" und dem gleichzeitigen Versuch, sie zu bewältigen. Ein Mythos, so Robles, solle eine Antwort auf die "Probleme des Individuums" bieten, auf die "Bedrohung der Individualität", das "Ausgeliefertsein an die Zeit und den Tod". All diese Themen werden auch in Manns frühen Texten prominent verhandelt, wie die Autorin etwa an den Erzählungen "Der Wille zum Glück" "Tristan", "Wälsungenblut" - aber auch an der "Freud-Rede" zeigt.

Vor allem aber wendet sie sich der zerfallenden Familie Buddenbrook zu. Denn in dem gleichnamigen Roman kommen Zeit, Familie, Sprache und Tod als mythische Strukturen zusammen. In einzelnen Abschnitten zu Manns Nobelpreis-gekröntem Werk beleuchtet Robles zunächst die verwandtschaftlichen Verhältnisse und die "Familienkonflikte" der Buddenbrooks insgesamt. Näher untersucht sie sodann die in die Familie zu integrierenden "Schwiegertöchter und Schwiegersöhne" sowie das Verhältnis, dass die Brüder Thomas und Christian zueinander pflegen. Weitere Abschnitte sind etwa "Tony und d[en]Atlasschliefen" gewidmet, dem Handlungsort Lübeck sowie Ärzten, Philosophen und Göttern.

Zwar sind Thomas Manns Frühwerke der eigentliche Gegenstand der Arbeit. "[I]m Hintergrund" steht jedoch immer auch "die Frage nach der Bedeutung des Mythos für die Moderne im allgemeinen" und der Versuch der Autorin, "einen Mythosbegriff zu entwickeln, der der Situation des modernen Menschen gerecht wird".

R. L.


Titelbild

Ingeborg Robles: Unbewältigte Wirklichkeit. Familie, Sprache, Zeit als mythische Strukturen im Frühwerk Thomas Manns.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2003.
239 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-10: 3895284254

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