So richtig reinhauen

Wolfgang Nitschkes "Bestsellerfressen V" leert die Tafel neudeutschen Schrifttums einmal wieder ratzeputz

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Verrisse sind eine schöne Sache. Im Idealfall sind sie so polemisch, dass der Kritisierte und sein Buch komplett lächerlich erscheinen und der Autor der Besprechung am Ende auch noch als intelligenter Vertreter kompromissloser Vernunft dasteht. Walter Benjamin riet sogar einmal, nur wer "vernichten" könne, vermöge als "Stratege im Literaturkampf" zu reüssieren: "Echte Polemik nimmt ein Buch sich so liebevoll vor, wie ein Kannibale sich einen Säugling zurüstet".

So etwas in der Art macht auch der Kabarettist Wolfgang Nitschke, dessen bereits fünftes Programm mit dem passenden Titel "Bestsellerfressen V. Hauptsache Wind" in der edition TIAMAT erschienen ist. Nitschkes Auftritte, bei denen er mit einem dicken Stapel Bücher auf die Bühne marschiert und eines nach dem anderen mittels ausgewählter Zitate so unglaublich dumm erscheinen lässt, dass man kaum glauben kann, dass das, was er da vorliest, wirklich darin geschrieben steht, sind eine Wohltat und ein Genuss nicht nur für praktizierende Literaturkritiker.

Dass das aufklärerische Element dieses rücksichtslosen Rituals von mehr oder weniger offenen Beleidigungen derjenigen Wortführer begleitet wird, die das zweifelhafte Glück haben, dabei vorgestellt zu werden, ist Ehrensache. Den Bestsellerautor Joseph Ratzinger, der mit dem Pseudonym Benedikt XVI. (ausgerechnet) seit dem 20. April 2005 für Deutschland zwar nicht "Führer", dafür aber etwas ähnlich Populäres, nämlich Papst spielen darf, zitiert Nitschke liebevoll als "bayerischen Mützenmullah": "Manchmal kann ich fliegen. Wie ein Vögelein" - und antwortet darauf mit "Liebe Leser! Ich bin ja nun ein altgedienter Kiffer. Aber da... da kann man nur neidisch werden."

Ratzingers Vorgänger Johannes Paul II. ehrt Nitschke als "Gottesklon Pipifax II.", Günter Grass firmiert als "vielgepriesener Literaturnobelpreisträger & postseniler Nervtöter", "Nobel-Erotiker G-Punkt Grass" oder auch schlicht als "Nobelschwanzträger". Überhaupt bekommt jeder, den viel zu viele Deutsche so gerne lesen, bei Nitschke ordentlich den Marsch geblasen. Matthias Mattussek etwa wird freundlich als "neu-teutonischer Kulturstrizzi" gegrüßt und mit dem denkwürdigen Satz: "Ich fordere die bedingungslose Unterstützung der Fußball-Nationalelf durch das deutsche Volk" zitiert. "Und ich dachte immer, Gobbels hätte sich erschossen", kommentiert das Nitschke. "Ha, ha, ha, nee, komm, war'n Scherz! Jetzt woll'n wa mal nicht übertreiben. Denn der Goebbels hätte seinen Führer niemals so verharmlost wie der Matussek, der aus seinem Spiegel-Bunker in die Welt tickert: 'Hitler war ein Freak-Unfall der Deutschen.'"

Wie man diesem letzten Zitat allerdings auch ansieht, handelt es sich bei "Bestsellerfressen V" wie auch schon den vorangegangenen Teilen um einen Abdruck der Texte, wie sie ihr Autor für den Vortrag auf der Bühne verfasst hat. Das ist ein Manko. Denn was Nitschke dort durch seine schnodderige und grimassierende Präsenz zum unvergesslichen Ereignis macht, verpufft als Lesetext schnell zum eher aufgesetzt wirkenden Pennälergeschimpfe. Auch die teilweise fett gedruckten Passagen und Betonungen von Worten durch viele in Klammern gesetzte Ausrufezeichen mögen dem Kabarettisten in seiner Show als orientierendes Vortragsmanuskript gute Dienste leisten, entpuppen sich beim bloßen Leise-Lesen jedoch als lästige Stilmittel, die eher den Charme von E-Mail-Texten verströmen und den Verrissen so viel von ihrer möglichen Energie wieder nehmen.

Merke: Gedruckte Polemiken müssen nicht nur anders aussehen, sondern auch anders verfasst werden, um wirklich so zu funktionieren, wie sie funktionieren sollten. Das kann man Nitschke allerdings kaum vorwerfen, da sein Geschäft nun einmal das Kabarett ist und die 'Bücher zur Show' wohl eher Dokumentationscharakter (für Fans) haben sollen. Literaturkritiker oder auch solche Autoren, die es werden wollen, können sich hier zudem einige zünftige Anregungen holen und sich daran erinnern, wie weit die freie Meinungsäußerung und die Satire gerne einmal gehen können, dürfen und sollen. In einer Zeit, da große Teile der europäischen Presse vor der mörderischen Aufregung notorisch beleidigter Jihad-Islamisten kuscht, die nichts von der Aufklärung und einer vernunftbegabten Religionskritik wissen wollen, wie sie Nitschke im Übrigen selbstverständlich am Papst und seinen überkandidelten Schriften übt, ist das kein kleines Verdienst.


Titelbild

Wolfgang Nitschke: Bestsellerfressen V. Hauptsache Wind.
edition TIAMAT, Berlin 2007.
176 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-13: 9783893201051

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch