Ein intelligentes Kunstbuch

Katy Couprie und Antonin Louchard stellen den Louvre für Kinder vor

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für "Die ganze Kunst" durften Katy Couprie und Antonin Louchard mit Mitarbeitern wochenlang den Louvre nach geeigneten Motiven durchstöbern. Sie fotografierten verschiedene Kunstobjekte: Gemälde, Statuen, Skulpturen etc.; sie fotografierten sie sowohl ab, wie sie sie als ausgestelltes Kunstwerk aufnahmen, also mit Rahmen, in unterschiedlicher Perspektive, mit Betrachtern. Die Ergebnisse wurden in ein kleines, dickes, quadratisches Buch zusammengefasst, also genau so aussehend wie der Vorgänger, "Die ganze Welt", und mit dem gleichen ebenso originellen und reizvollen wie intelligenten Konzept.

Es beginnt mit der Fotografie einer kleinen Pappmaché-Figur eines Malers in einem stilisierten Atelier. Der Maler dreht dem Betrachter den Rücken zu, vor ihm auf der Leinwand sehen wir die Zeichnung einer Glaspyramide, den berühmten Eingang in den Louvre. Auf der gegenüberliegenden Buchseite sehen wir einen blauen menschenähnlichen Hasen - der uns viel später wieder begegnen wird -, der wie ein Tourist vor dem Eingang steht und mit dem wir das Museum betreten. Der blaue Hase steht dann als knapp meterhohe Pappmaché-Figur auf der Rolltreppe und fährt hinab. Die vielen Silhouetten der Menschen, die mit ihm hinabfahren, verwirren den modernen Holzschnitt "Besucherplan", und rennende Menschenmengen beherrschen auch den Ausschnitt der Predella von Borgo San Sepolcro, "Der selige Ranieri Rasini befreit die Armen aus einem Florentiner Gefängnis", von Il Sassetta (um 1440).

Das Prinzip der kommentarlosen Aneinanderreihung von Bildern dürfte klar geworden sein: zwei aufeinander folgende Bilder haben etwas gemeinsam. Das Gemeinsame kann in der Abbildung liegen. Über den fliehenden Befreiten von Il Sassetta schwebt der selige Rasini. Ihm folgt ein über den Wolken und einem Flugzeug schwebender Engel in Ölkreide, der von den Verfassern selber stammt; diesem folgt eine Schar schon reichlich luziferisch aussehender fallender Engel des Ausschnitts aus dem Tempera-Bild "Der Aufstand der Engel" (um 1342); diesem die verfremdend in Dunkelheit und Schatten gehüllte Fotografie "Der überraschte Engel" von Étienne Maurice Falconets Marmor-Skulptur "Der drohende Amor" (um 1757). Der kopflosen Statue "Die Nike von Samothrake" (um 190 v.Chr.) wurde ein von den Verfassern angefertiger Hühnerkopf aus Pappmaché aufgesetzt; die selbe Nike dann nach Pop Art verfremdet. Von den Engeln kommt man zu Vögeln, in Umrissen, in Hieroglyphen-Details, schließlich als Quietsche-Entchen auf dem Foto eines badenden Mädchens. Fortan geht es um Menschen im Wasser. Der Wechsel von Théodore Géricaults berühmtem Öl-Gemälde "Das Floß der Medusa" von 1819 folgt allerdings kein Übergang, der im Motiv, sondern der im Thema liegt: die Radierung und Monotypie "Gesicht der Medusa".

Manche Übergänge werden vorbereitet. In einer langen Reihe von Gesichtern wird nach und nach immer mehr Gewicht auf die Beleuchtung gelegt, bis es um die Lichtquelle geht. Georges de La Tours Öl-Gemälde "Der heilige Josef als Zimmermann" (um 1642), welches nur von einer Kerze illuminiert wird, folgt die einfache Fotografie einer Tischlampe, der wiederum das kolorierte Fotogramm einer Glühbirne. Auf der nächsten Abbildung sieht man, wie ein Angestellter des Louvres in der ägyptischen Sammlung auf einer Hebebühne die Deckenbeleuchtung erneuert, wonach man sich den Ausstellungsstücken dieser Sammlung widmen kann.

Andere Übergänge wiederum sind mehrfach codiert: Jean Honoré Fragonards Öl-Gemälde "Der Riegel" (vor 1784) folgt die Fotografie eines in einem Türschloss hängenden Schlüsselbundes, in dessen Schlüsselanhänger eine Miniatur dieses Gemäldes eingeschlossen ist. Auf der nächsten Abbildung sieht man in Samuel van Hoogstratens Öl-Gemälde "Die Pantoffeln" aus dem 17. Jahrhundert wieder einen Schlüsselbund, der diesmal aber in einer geöffneten Tür steckt, welche den Blick auf eine Stube und die titelgebenden Pantoffeln eröffnet.

"Die ganze Kunst" ist also keine Einführung für Kinder in die Kunst, in ihre Geschichte, Stilrichtungen et cetera. Es sind zwar alle Epochen, Stile, Darstellungsformen und Materialien vertreten, es fehlt aber dankenswerterweise jede Didaktik, ja sogar jede Erklärung, die die Lust an der Betrachtung durch Anspruch und Intention verderben könnte. Man sieht nur seitenfüllende Bilder. Der Zusammenhang kann - bis auf wenige Ausnahmen - auch von Kindern erkannt werden, und indem der jeweilige Zusammenhang explizit gemacht wird, findet die Auseinandersetzung mit dem Dargestellten statt. Kunst wird hier nicht als Kunst rezipiert. Hier werden nicht Kinder 'spielerisch an Kunst herangeführt', wie es in kinderpädagogischen Kulturkonzepten gerne heißt, sondern Kinder tun hier nur das, was sie stets tun: Bilder der Welt betrachten und Zusammenhänge zwischen diesen herstellen. Indem sie es mit diesen bestimmten Bildern tun, bekommen sie mal etwas anders zu Gesicht als den üblichen Kinderkosmos. Vertreter 'kindergerechten Bildmaterials' seien gewarnt: Coupry und Louchard muten den Betrachtern auch Andrea Mantegnas Öl-Gemälde "Heiliger Sebastian" (um 1480) zu, ein übergroßes, detailreiches, leidensversessenes Hinrichtungsbild. Aber Kinder haben ohnehin ihre eigene Wahrnehmung von Gewalt, die von der besorgter Eltern meist weit entfernt ist.


Titelbild

Katy Couprie / Antonin Louchard: Die ganze Kunst.
Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2006.
256 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-10: 3806751358

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