Verträumte Melancholie

Marc-Alastor E.-E.s "Maliziöse Märchen" wirken angenehm anachronistisch

Von Micha WischniewskiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Micha Wischniewski

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Prinzessin verliebt sich in einen feindlich gesonnen König, der ihre Gefühle erwidert und um ihretwillen sogar den Rückzug in dem vom Vater der Begehrten entfachten Krieg antritt - glücklich wird das Paar trotzdem nicht. Ein Junge an der Schwelle zur Jugend rächt eine Schmach, die ihm von Gleichaltrigen zugefügt worden ist - aber es ist doch ein Junge, oder? Als Kind eine begabte, doch rein improvisierende Musikerin, greift die mittlerweile als eigenwillig verschriene Frau nach schweren Schicksalsschlägen wieder in die Tasten. Die Noten beginnen allerdings, mit ihr zu reden. Als ein junger Mann nach Jahren des Reisens wieder in seine Heimatstadt kommt, reagieren seine Mitbürger aus zunächst unerfindlichen Gründen verstört bis abweisend. Schon als Heranwachsende nie zu einem Lächeln in der Lage, begibt sich eine junge Frau auf die Suche nach der Essenz der Melancholie - und trifft auf einen Kobold namens Freudlos. Als Venedigs bester Glasbläser eines Abends durch die Kanäle fährt, vernimmt er eine wunderschöne Melodie. Er folgt ihr und erkennt, dass es wortlose Töne sind, gesungen von einem nicht minder schönen Mädchen. In ihrer Perfektion realisiert er die Makelhaftigkeit seiner eigenen Kunst, die er bisher für unbefleckt hielt - die einzige Möglichkeit, sich von diesem Stigma zu befreien, ist, die namenlose Fremde zu besitzen.

Auch wenn der Titel dieser Anthologie Marc-Alastar E.-E.s "Maliziöse Märchen" lautet, sollte man sich davor hüten, Geschichten dieser Gattung im rein akademischen Sinn zu erwarten. So gut wie keiner der hier vorliegenden Texte kann mit typischen Genremerkmalen wie Charakterflachheit oder Dreierepisode aufwarten. Stattdessen trifft eher der Begriff der Märchenhaftigkeit - auf jene Weise, wie etwa Tim Burton-Filme oder Peter S. Beagles "Das letzte Einhorn" märchenhaft sind. Es ist eine verträumte Melancholie, die allem eigen ist, ein genüssliches Schwelgen in der eigenen Schwermut, das sich durch den gesamten Sammelband zieht und - wenn man ihn denn sucht - den verbindenden roten Faden darstellt.

Dass Marc-Alastor E.-E. schon lange kein unbeschriebenes Blatt mehr ist, wird nicht nur mittels der atmosphärischen Stimmigkeit, sondern auch auf der unmittelbaren Textebene deutlich. Konnte er mit der "Kriecher"-Trilogie schon mehr als einen bloßen Achtungserfolg verbuchen und beweisen, dass 'innovative Fantasy' kein Oxymoron ist, zeigt er mit den "Maliziösen Märchen" nun, dass er an dem, woran seine Texte bisher zumeist krankten, intensiv gearbeitet hat: der Sprache. Nicht, dass er sie jemals nicht zu beherrschen vermocht hätte, ganz im Gegenteil, doch war speziell im erwähnten Fantasyzyklus bei aller Versiertheit eine Diskrepanz von Intention und Können zu bemängeln. Ebenjene Serie wie auch der neu erschienene Sammelband strotzen nur so vor 'alldieweil', 'sintemal' und 'itzo' und erschaffen ein angenehm angestaubtes, geradezu anachronistisches Flair, doch während "Kriecher" bei aller Dichte stellenweise darunter litt, dass der Autor haarscharf am Gemeinten vorbeiformulierte, haben sich diese Passagen in "Maliziöse Märchen" merklich rarer gemacht. Wenn sie auch nicht gänzlich verschwunden sind, so hält sich ihre Anzahl in überschaubaren Grenzen, so dass der aktuelle Band dem Freund phantastisch-zauberhafter Literatur, die nicht vor einem prätentiösen Sprachgebrauch zurückschreckt, durchaus empfohlen werden darf.


Titelbild

Marc-Alastor E.-E.: Maliziöse Märchen.
Verlag Lindenstruth, Giessen 2006.
203 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-10: 3934273289

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch